Auferstanden aus Ruinen oder von den Toten? – Serie: Über das Buch „Zwischen Endzeiterwartung und Repräsentation – Das Epitaph des Heinrich Heideck“ (Teil 1/2)

Das Sockelgeschoss trägt drei mit zahlreichen Verzierungen umgebene Bildnisovale. Das Mittlere ist das größte und wird von einem vergoldeten Posaunenengel bekrönt. Es zeigt, als Relief gearbeitet, eine Szene des Jüngsten Gerichtes: Die Toten erheben sich aus ihren Gräbern, um entweder von Engeln ins Himmelreich geführt zu werden oder von Teufeln in die ewige Verdammnis. Über all dem thront Christus der Weltenrichter, der da richtet die Lebenden und die Toten. Das Bildnisoval linker Hand für den Betrachter zeigt eine alttestamentarische Szene: Die Auferweckung eines toten Jünglings durch den Propheten Elias. Das Bildnisoval rechter zeigt ebenfalls eine alttestamentarische Auferweckungsszene, die Vision des Propheten Ezechiel von der Auferstehung der Toten mit vielen Posaunenengeln, die Posaunen sorgfältig vergoldet, versteht sich. Auferstehung, Auferstehung, Auferstehung! Das Auftragswerk für eine Mutter, die ihren einzigen Sohn, mit lediglich 30 Jahren, mitten aus glücklicher Ehe und glanzvoller Karriere gerissen, betrauert.

„Auferstanden aus Ruinen …“, so begann damals die Nationalhymne der DDR. Das eben geschilderte Kunstwerk stammt aus jener Leipziger Universitätskirche, die am 30. Mai 1968 auf Anordnung der SED-Bezirksleitung Leizig gesprengt wurde. Dieser Epitaph des Heinrich Heideck war kurz vor der Sprengung gerettet worden, hatte die Jahre bis 1989 dann zerlegt und unzureichend geschützt, dann in einem Depot überstanden. Demnächst wird er im Neubau der Aula der Universität, sorgfältig restauriert, wieder einen würdigen Platz finden. Aber was war das, mit dieser Sprengung? Richtige Antikommunisten haben damit sicherlich kein Problem: So sind sie eben, die Kulturbolschewisten, die kennen gar nichts Schöneres als Kirchen sprengen! Aber ist die Antwort so einfach?

Was ist das eigentlich, ein Epitaph? In der Kirche wollten die Menschen begraben werden, am besten in der Nähe eines Märtyrers oder Heiligen. Da hatte man dann nämlich weniger Schwierigkeiten beim Jüngsten Gericht in den Himmel zu kommen. Mit so einem an der Seite hatte man wohl einfach weniger Formalitäten mit Passkontrolle, Zoll und so. Und wenn im Kirchenraum an jemanden erinnert wurde, konnte er beim lieben Gott, wenn es denn so weit war mit dem Jüngsten Gericht, nicht so leicht vergessen werden. Das ließ man sich was kosten, wenn man konnte. Das fing dann an mit den Stifterfiguren. Wer etwas Geld für kirchliche Bauten locker gemacht hatte, konnte eine Figur seiner selbst zur Erinnerung an seine Person errichten lassen. Dieser Sitte, verdanken wir mit den Stifterfiguren des Naumburger Doms die schönsten und realistischsten Darstellungen unserer hochmittelalterlichen Vorfahren.

Was haben die denn noch alles weggesprengt, diese Kulurbolschewisten? Da sind ertsmal zwei Schlösser, eines in Berlin und eines in Potsdam. Waren zwar angeknackt vom Krieg, hätten aber wohl erhalten werden können. Die waren aber mit der Hohenzollerndynastie verbunden. Deren letzte Vertreter waren der Hauptkonterpart der sich entwickelnden Arbeiterbewegung gewesen, damals im wilhelminischen zweiten Kaiserreich. Diesen Gegensatz hatten die altgedientesten Arbeiterfunktionäre der nunmehrigen DDR-Führung noch am eigenen Leibe erlebt. Verbleichen wir es einfach mit dem Abriss des Palastes der Republik: Systementsorgung als Architekturpolitik. Dann haben sie die Reste noch einer Kirche gesprengt. Das war die Garnisonskirche von Potsdam. Die hatte nun wirklich einen üblen Leumund: Mit dem Tag von Potsdam, dem Händedruck von Hindenburg und Hitler hatte hier sozusagen die herrschende Klasse die Stafettenübergabe von der preußischen Monarchie an den Hitlerfaschismus vollzogen. Die baut man nun auch wieder auf, aber über die Auferstehung dieser Ruine kann ich keine Freude empfinden. Aber was hatte die Leipziger Universitätskirche verbrochen?

Im späteren Mittelalter wurde es dann immer wichtiger mit dem Erinnertwerden im Kirchenraum, denn der Vatikan hatte das Fegefeuer erfunden. Wo sollte man schließlich hin mit all den Toten, bis irgendwann mal das jüngste Gericht kam und endgültig zwischen Himmel und Hölle entschied? Und wer war schon frei von Sünden, ein paar Heilige vielleicht ausgenommen? Also muss der nicht sündenfreie Normalverbraucher erst mal brennen. Das kann lange dauern, Jahrhunderte, Jahrtausende. Wahrlich eine frohe Botschaft, nicht einfach tot wirst du sein, wie es die wenigen Attheisten dachten, die es bis dahin gegeben hatte, auch nicht einfach ein Schatten in der Unterwelt, wie es die alten Griechen sahen, ohne viel Freud aber auch ohne Leid, nein brennen wirst du, wenn du kein vollkommener Heiliger warst!

Aber die Kirche hatte auch Abhilfe! Umso mehr die Zurückgebliebenen für die Verstorbenen beteten , Kerzen stifteten, ihre Namen wieder und wieder beim Gottesdienst genannt wurden, konnte man ihre Zeit im Fegefeuer verkürzen, denn mitunter schritt der „gütige“ König des Himmels ja zu einer Amnestie. Da konnte man schon eine Ökonomie darauf bauen. Der Reiche mit schlechtem Gewissen, spendete eine Stiftung zu Speis und Trank der Armen, welche diese aber nur bekamen als Mehraufwandsentschädigung, wenn sie dafür für Seelenheil und Fegefeuerverkürzung des edlen Spenders regelmäßig beteten, ob sie den kannten oder mochten oder nicht. Seelenrettung der Reichen als Lohnarbeit und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Mittellosen! Für die letzteren beteten nur die unmittelbaren Angehörigen, aber sie hatten ja wohl meist auch weniger gesündigt als die Reichen.

Aber die Fürbittgebete konnten auch gestrichen werden. So erging es unbußfertigen Ketzern, Hexen und ähnlichen Verdammten. Der Name des Ketzers wird nicht mehr verlesen beim Gottesdienst. Nicht gedacht soll seiner werden! Dem Ketzer sei kein Angedenken! Es reicht nicht das er weg ist, oder tot, es darf ihn nie gegeben haben, umgeschrieben muss die Geschichte werden, auch aus der Vergangenheit muss er entfernt werden. Erst diese Streichung macht die Bestrafung vollkommen. So machten es schon die Pharaonen mit ihren Ketzern und nach den Katholiken setzten es die stalinistischen Kommunisten setzten es in Moskau fort und mitunter wird es bis heute versucht, jemanden zu bestrafen, indem man ihn aus Geschichte und Angedenken entfernt, wie nie gewesen.

Deshalb das Epitaph. Hast du ein würdiges Denkmal in der Kirche, in der du begraben liegst, kannst du nicht ganz vergessen werden, nicht von der Nachwelt und nicht von Gott.

Zurück zu den bilderstürmenden Kulturbolschewisten. Hatten die nicht aber auch den Dresdner Zwinger wiederaufgebaut, womit sie sich auf ihren frühen Briefmarkenserien als Wiedergewinner deutschen Kulturgutes priesen? Haben sie nicht zur 750-Jahrfeier Berlins die Nikolaikirche wiederaufgebaut und die Restauration des Berliner Domes begonnen? Haben sie nicht viel mehr restauriert und wiedererbaut, zwecks Auferstehung aus Ruinen? Haben sie! Aber was hatte ihnen gerade die Leipziger Universitätskirche getan?

Die ökonomische Bedeutung der im Fegefeuer brennenden Seelen entwickelte sich beim Übergang von Spätmittelalter zur frühen Neuzeit rasant. Die Geldwirtschaft hatte die Naturalwirtschaft endgültig verdrängt und irgendein Freidemokrat auf dem Stuhle Petri beschloss, dass nicht nur in dieser Welt alles fürs Gelde käuflich sein solle, sondern auch in jener. Und überhaupt sind Monopole dazu da, dass man die Preise hochtreibt und kassiert was man nur kann. Und das Monopol des Vatikans auf das Seelenheil war da ja noch viel besser als ein heutiges auf elektrischen Strom oder Gas. Energieträger lassen sich irgendwie gegenseitig substituieren. Das macht das Monopol unvollkommen. Das katholische Monopol auf das Seelenheil aber war vollkommen, so lange die Menschen daran glaubten. So wurde der Ablasshandel erfunden. Und Hand aufs Herz, wer kann denn noch in der Taverne nach Herzenslust fressen und saufen, wenn man für die Kohle auch den Opa aus dem Feuer holen könnte? Na gut, Onkel Otto auch noch rauszuholen aus der Geiselhaft, wäre Luxus.

Scholar:

„In diesen Mauern, diesen Hallen

Will es mir keineswegs gefallen.

Es ist ein gar beschränkter Raum,

Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,

Und in den Sälen, auf den Bänken,

Vergeht mir Hören, Sehen und Denken“

Mephistopheles:

„Das kommt nur auf Gewohnheit an.

So nimmt ein Kind der Mutter Brust

Nicht gleich im Anfang willig an.

Doch bald ernährt es sich mit Lust.

So wird`s auch Euch an der Weisheit Brüsten

Mit jedem Tage mehr gelüsten. …

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie

Und grün des Lebens goldner Baum.“

So beschreibt der Altmeister Goethe sehr dialektisch den Erwerb höherer Bildung als Einheit von Theorie und Praxis. Klingt da schon der Marx`sche Praxisbegriff an? Da sich Fausts erster Ausflug mit Mephisto, denn das Titat ist natürlich aus dem „Faust“, in Auerbachs Keller in Leipzig abspielte, können wir wohl davon ausgehen, das Goethe seinen Faust als einen Gelehrten der Leipziger Uni ansah und auch das wiedergegebene Gespräch an dieser Uni angesiedelt ward, wenn der Text auch diesbezüglich keine eindeutigen geographischen Hinweise enthält. Aber wegen der Abneigung eines längst verblichenen Scholars gegen diese Universitätsgemäuer diese wegsprengen, ist das nicht etwas überzogen? Wie war man denn überhaupt in der DDR auf Goethe und seinen Faust zu sprechen?

Bekannt ist jedenfalls, dass ein Bibeldozent an der Universität Wittenberg, ein Dr. Martin Luther, garnicht gut zu sprechen war auf diesen Ablasshandel. Es dauerte nicht lange, nach seinem Berühmten Thesenanschlag und er musste sich vor den Häschern Roms auf der Wartburg verbergen. Während seiner Abwesenheit radikalisierte sich die Bewegung in Wittenberg. Hatte der Reformator zwar gelehrt, dass es ein Aberglauben sei, an die Wundertätigkeit von Bildern und Schnitzwerken zu glauben, so begann man dort nun einen Sturm auf die Bilder und verbrannte zunehmend viele von ihnen. Zurückgekehrt von der Wartburg, verbot der Reformator, selbst eng befreundet mit dem Maler Lucas Cranach d.Ä., diese Kulturbarbarei. Er konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass sich die Bilderstürmerei in Norddeutschland und den Niederlanden ausbreitete.

Selbige Reformation hat aus dieser Kirche in Leipzig erst die Universitätskirche gemacht, denn der Mönchsorden dem sie bis dahin gehört hatte, wurde aufgelöst. Nach einem Umbau für die Zwecke der Universität und die neue Glaubensform, wurde sie dann von Martin Luther höchstpersönlich wieder geweiht. Generell wurde es aber bei den Protestanten üblich, sich nicht mehr im Kirchenraum oder mitten in der Stadt begraben zu lassen, sondern auf Friedhöfen außerhalb der Mauern. Schließlich wurde es zu einem herausragenden Privileg, dass sich die wichtigsten Persönlichkeiten der Universität als einzige noch innerhalb der Mauern der Stadt, nämlich in der nunmehrigen Universitätskirche, begraben lassen durften. So wurde sie zu einer Sammlung ebensolcher Epitaphe der Leipziger Gelehrtenschaft.

Unsere zeitlichen Erzählebenen haben sich nun getroffen, denn der Dr. Luther und der Dr. Faust waren Zeitgenossen, wenn man auch einschränken muss, dass der wirkliche Faust, im unterschied zur Kunstfigur des Geheimrates Goethe, wohl kein wirklicher Doktor war und auch kein Universitätsgelehrter, sondern eher so ein fahrender Scharlatan. (Natürlich wissen wir auch von der gegenwärtigen Ökonomenzuft neoliberalen Ungeistes, dass auch ausgesprochene Scharlatane Universitätsdoktoren sein können.) Der letzte Satz des Faust, von jenem freien Grund auf dem er mit freiem Volke stehen möchte, als dem Augenblicke den er hinreichend schön fände, um sein Verweilen zu wünschen, wurde in der DDR jedenfalls als Vorahnung des Dichterfürsten vom Sozialismus ausgelegt. Vermessen vielleicht, den Grund hatte man ja mittels Bodenreform befreit, die Freiheit des Volkes ließ allerdings zu wünschen übrig, aber jedenfalls wohl kein ideologischer Grund, die Universitätskirche zu sprengen.

Aber wie war das nun mit Goethe und dem Sozialismus? Der Faust in seiner Endfassung mit beiden Teilen erschien 1832. Friedrich Engels charakterisiert diese Zeit in seiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ folgendermaßen: „Als nun die französische Revolution diese Vernunftgesellschaft und diesen Vernunftstaat verwirklicht hatte, stellten sich daher die neuen Einrichtungen, so rationell sie auch waren gegenüber den früheren Zuständen, keineswegs als absolut vernünftig heraus. Der Vernunftstaat war vollständig in die Brüche gegangen. Der Rousseausche Gesellschaftsvertrag hatte seine Verwirklichung gefunden in der Schreckenszeit, und das an seiner eigenen politischen Befähigung irre gewordene Bürgertum sich geflüchtet hatte, zuerst in die Korruption des Direktoriums und schließlich unter den Schutz des napoleonischen Despotismus…“ Der dialektische Denker Goethe, der aus der Ferne Zeitzeuge der großen Revolution der Franzosen war und diese Ereignisse intensiv verfolgt hatte, dürfte wohl begriffen haben, dass die heraufziehende neue Ordnung, die nach der Kanonade von Valmy noch wärmstens begrüßt hatte, nicht frei sein würde von tiefen Widersprüchen und somit wohl nicht das Ende der Geschichte. Als 1836 mit dem Bund der Gerechten dann die erste kommunistische deutsche Vereinigung entstand lebte der Herr Geheimrat nicht mehr.

Die Untersuchung hat die Kirchensprengung nicht plausibler gemacht. Das Gebäude hatte keine Verbindung mit den Traditionen des preußisch-deutschen Militarismus oder gar Faschismus. Alles was jedoch mit den Traditionen der klassischen Literatur zu tun hatte, oder auch mit denen der Reformation, oder der Gelehrsamkeit im Allgemeinen, und hier lassen sich die Verbindungslinien zu dem Gebäude herstellen, wurde in der Regel gepflegt und erhalten. Zweimal besuchten wir als Oberschüler Weimar, um die Stätten der Klassik kennen zu lernen.

Versuchen wir es mit dem Datum. 1968 ging wohl mal wieder eine Welle der Bilder- und Traditionsstürmerei um die Welt. Angefangen hatte es wohl im China der Kulturevolution. Die westlichen Studentenbewegungen, die man gern mit der Jahreszahl 68 abstempelt, hatten sich ja auch den Mief von tausend Jahren unter den Talaren zum Objekt ihrer Angriffe gemacht. Natürlich sind die deutschen Universitäten alle noch keine tausend Jahre alt, denn um das Jahr 900 gab es noch nirgendwo in Europa eine Universität. Und so richtete sich diese Losung ja wohl auch in erster Linie gegen Typen aus jenem „tausendjährigen“ Reich, welches es nur auf 12 Jahre brachte, die aber trotz ihrer Verstrickungen in der Bundesrepublik Universitätstalare tragen durften. Diese Studentenbewegung der späten 60er und 70er Jahre war natürlich in ihren Hauptstoßrichtungen völlig in Ordnung und nichts liegt mir ferner als mich denjenigen anzuschließen, die sie mainstreamig heute mit Dreck überkübeln möchten. Aber so ein wenig Kulturrevolution und Bildersturm gegen universitäre Traditionen gehörte auch dazu und all das muss wohl auf eine provinzielle Parteileitung in der DDR irgendwie abgefärbt haben. Die letzte Klärung steht da wohl noch aus. Nun aber erstmal genug des Glasperlenspiels.

Für alle an Kunst, Kultur und/oder Geschichte interessierten Leser ist das vorliegende Buch jedenfalls empfehlenswert.

Moritz Lampe: „Zwischen Endzeiterwartung und Repräsentation – Das Epitaph des Heinrich Heideck (1570 – 1603) aus der Leipziger Universitätskirche St. Pauli“, Plöttner Verlag Leipzig GbR 2009, ISBN 978-3-938442-68-5

Vorheriger ArtikelTutus Gebet – Weltweiter Boykott Israels?
Nächster ArtikelFC Hansa Rostock brodelt seit Wochen die Fanszene – Interview mit „Eggi“Sebastian Eggert, dem Capo der Rostocker Suptras