Die euphorische Perspektive des mit dem 3Sat-Dokumentarfilmpreises ausgezeichneten Films kündigt sich in den Presseinformationen an: “Das Drama, den Schmerz und die Schönheit des In-die-Welt-Kommens” sollen gezeigt werden. Dass eine Geburt kein Waldspaziergang ist, dürfte selbst Machos klar sein. Eine Mutter will ein Schmerzmittel. Als wären die Worte an ihn gerichtet, verabreicht Wulff es seinem Publikum. Außer den üblichen Wehen gibt es kein Leid, keine bedrohlichen Erkrankungen von Mutter oder Kind. Seelisches Leid kennen Mütter angeblich ebenfalls nicht. Keine postnatale Depression, keine Zukunftsängste. Ob geplant oder nicht, jede freut sich auf das Kind. Keine jugendliche Mutter, keine Mehrfachmutter mit Geldsorgen, keine vom Partner Verlassene. Die Männer halten der Partnerin wacker die Hand oder den Rücken frei. Constantin Wulffs “In die Welt” ähnelt selbst einer Geburt. Theoretisch ist es erfreulich und beeindruckend. In der Praxis ist es langwierig und ziemlich unästhetisch anzusehen. Authentizität hat sich der Dokumentarfilm auf die Fahne geschrieben. Die Erfahrungen der meisten werdenden Mütter dürften jedoch nicht so harmonisch sein, wie die in der Dokumentation “In die Welt” geschilderten.
Die Frauenschicksale wirken erst gewöhnlich, dann beliebig, schließlich austauschbar. Identifizierung oder Mitgefühl mit dem Erlebten ist ausgeschlossen. Soviel zum Drama, bliebe noch die Schönheit. Eine Geburt mag ein schönes, im Sinne von freudiges, Ereignis sein. In einer nicht nur für die Mutter strapaziösen zehnminütigen Szene dokumentiert “In die Welt” eine Geburt und jede Verklärung von Schönheit und Zauber verfliegt. Wulffs Kamera kennt keine Diskretion. Aufdringlich rückt sie den Frauen auf den angeschwollenen Leib. Da bricht nicht nur Mami in Freudentränen aus, wenn alles überstanden ist. Doch mit einer Geburt ist es nicht getan. Immerhin ist dies das übergreifende Thema von “In die Welt”. Also muss man sich die ganze Prozedur noch einmal ansehen. Wieder eine stöhnende Frau und eine Kamera, die nichts der Vorstellung überlässt. Sieht man das Winden in diesen nie passenden Krankenhausnachthemden, die jeder Patient zu hassen gelernt hat, wünscht man sich fast ein Filmverbot im Kreißsaal. Das würde auch manchem die peinlichen Familienvideos ersparen. Die Eltern mögen ihr Einverständnis gegeben haben, die Kinder konnten es nicht und wie der Film sie für “Ach-wie-süß”-Momente ausbeutet, wirkt abgeschmackt.
Selig schlummern die Neugeborenen im Arm der fürsorglichen Krankenschwester. Im Brutkasten streicheln sie besorgte Väter, selbst der harte Kerl mit der Tätowierung muss sich die Tränen verkneifen. Ob es die Kleinen je wieder so gut haben, wie in Constantin Wulffs “In die Welt”? Wer sich nicht mehr an die Aufklärungsfilme aus dem Schulunterricht erinnert, braucht nur ins Kino zu gehen. An einen Unterrichtsfilm gemahnt die Dokumentation in ihrer unterschwelligen Biederkeit und Problemignoranz. Liegt dieses märchenhafte Krankenhaus womöglich nicht in Wien, sondern im Wolkenkuckucksheim in der Gummibärchengasse? Was hier angeblich Standard ist, gleicht der Wunschvorstellung eines Krankenhausaufenthalts. Die Klinik ist ein Marienhof voller Schwester Stefanies und Dr. Stefan Franks. Beim Patientengespräch klingelt das Handy eines Doktors. Energisch verweist er den ungebetenen Anrufer auf später. Die werdende Mutter geht vor. Kein gestresster Arzt, der eine besorgte Mutter vertröstet, keine überarbeitete Krankenschwester, der ein harsches Wort entfährt. Auf Unfreundlichkeit steht in der Märchenklinik vermutlich sofortige Entlassung. Doch wie sollte hier überhaupt Stress entstehen? Nur reibungslose Geburten erlebt man. Die größte Komplikation ist ein leichter angeborener Herzfehler. Kein Grund zur Sorge, der ist ausgezeichnet zu operieren, versichert der freundliche Arzt der gefassten Mami. Trotzdem wird sie in ein anderes Krankenhaus überwiesen. Damit alle hübsch ruhig bleibt im Filmkrankenhaus. Hier werden gemütlich Medikamentenpackungen sortiert und Betten in aller Ruhe gemacht.
Die befürchteten rührseligen Kommentare bleiben einem von Seiten des Regisseurs erspart. Dafür sorgen die Protagonisten vor der Kamera. Mit den Müttern sprechen die Ärzte und Schwestern in so infantiler Weise, als wären die Frauen die Neugeborenen. Unter dieser bemühten Offenheit sitzt Verklemmtheit. Mit Direct Cinema, in dessen Tradition sich Wulff sieht, hat der Film wenig gemein. Er verschweigt Sorgen, Bedenken und Ängste der Mütter und verkleinert und leugnet somit die Leistung, welche eine Geburt für jede Frau ist. Was Unvoreingenommenheit sein will, enthüllt sich als Desinteresse für die gefilmten Mütter. In der letzten Szene hat der umsichtige Doktor schon die nächste Mutter unter dem Ultraschal – dem einzig Durchleuchtenden an “In die Welt”. Wie die letzte froh Hoffende ihren Sprössling “In die Welt” setzt, verhüllt zum Glück der Abspann.
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Titel: In die Welt
Genre: Dokumentation
Land/Jahr: Österreich 2008
Kinostart: 28. Mai 2009
Regie und Drehbuch: Constantin Wulff
Verleih: Real Fiction
Internet: www.realfictionfilm.de
Laufzeit: 90 Minuten
FSK: ab 12