Ja, natürlich, man kennt die Opernhäuser in Salzburg, Wien, München, New York. Vielleicht noch die Namen von drei bekannten Dirigenten, das war es dann. Hochglanzkultur gönnt man sich eben, wie ein Wellness-Wochenende oder den Shopping-Trip nach New York. Skrupellosigkeit des Kapitalmarkts hier, die Schlacht um Subventionen dort. Die Frage ist, wie lange der sich zuspitzende Markt das noch trägt, was er verheißt: Kunst. Oder andersherum: wie lange die Kunst ihn noch tragen kann. Hilft nur eins: abstimmen mit den Füßen. Aber wie, wenn die Menschen vermehrt nur Namen, die in den Medien regelmäßig gehandelt werden, als wahre Künstler zu sehen bereit sind?
Immer mehr Theater, Orchester und Opernhäuser kämpfen ums Überleben. Das Geld ist eben knapp, so lautet die meistbenutzte Negativformel unserer Zeit, dabei ist mehr Geld im Umlauf als je zuvor. Millionen werden in Hochglanzevents investiert, in Marketingstrategien und PR-Veranstaltungen, die letztendlich nicht viel mit Kunst zu tun haben. So mancher Opernintendant verdient weit mehr als die Bundeskanzlerin und Herr Intendant kann eigentlich alles als Kunst verkaufen, was ihm so gefällt; so lange er sein Budget nicht permanent überzieht, kann er schalten und walten, wie nur wenige Menschen im Land. Sind Kulturmanager die letzten Feudalherren der aktuellen Gesellschaft?
Könnte so sein, wenn man an die Vorkommnisse in einem bekannten Opernhaus denkt, die vor kurzem für Schlagzeilen sorgten. Tja, da fand die Semperoper Dresden doch endlich einen neuen Intendanten, der nach Sachsen zu ziehen bereit war. Serge Dorny hatte aus der etwas verschlafenen Lyoner Oper ein Kulturzentrum mit Charisma gemacht, das internationale Beachtung fand. Das wünschten sich auch die Dresdner, die mit dem Chef der Staatskappelle Dresden, Christian Thielemann, dem Lieblingsdirigent der deutschen Medien, unbedingt dauerhaft in der ’Champions League` der Klassik vertreten sein wollten. Serge Dorny sollte die Türen für internationale Gastspiele öffnen, die großen Gesangsstars nach Dresden holen sowie internationale Koproduktionen mit wichtigen Häusern einfädeln.
Noch vor Amtsantritt scheiterte Serge Dorny, denn der Wunschkandidat verlangte Wandel, damit auch Befugnisse, um diesen in die Wege zu leiten. Nein, so hatte man sich das in Dresden allerdings nicht vorgestellt. Herr Dorny wurde von der Wissenschafts- und Kultusministerin Sabine von Schorlemer in Dresden als Sonnenkönig tituliert, Christian Thielemann sprach von Hunden, die bellen, die man aber nicht beachten solle, schließlich habe man sich bei Schnitzel und Wein gut verstanden. Eine fristlose Kündigung wegen Störung des Betriebsfriedens wurde ausgesprochen. Serge Dorny hielt sich nach einem sachlichen Statement klug zurück, in dem er erwähnte, dass es ein Gerangel um Kompetenzen mit Christian Thielemann gegeben habe, die selbst nach Vertragsabschluss immer noch nicht geklärt waren. Nach seiner fristlosen Kündigung als Intendant der Dresdner Semperoper hat er allerdings nun gegen den Freistaat Sachsen eine Kündigungsschutzklage erhoben.
Maestro Thielemann hat schon an einigen Häusern für Turbulenzen gesorgt, dagegen kann Serge Dorny in Lyon hervorragende künstlerische sowie pädagogische Arbeit aufweisen. Dresden wird sich schwer tun, einen gleichwertigen Ersatz zu finden. Der Ministerin Sabine von Schorlemer hätte man eigentlich mehr diplomatisches Fingerspitzengefühl zugetraut, ihre Vita spricht von internationalen Erfahrungen. Sei’s drum, vielleicht hatte man auch nur Angst vor höheren Ausgaben, werden in Sachsen doch aktuell auch die Kosten für Hochschulen gekürzt, im Besonderen die der Sparte Geisteswissenschaften. Und hier wäre eventuell eine aufblühende kreative Musiktheaterlandschaft störend gewesen.
Dagegen hat sich die Oper Leipzig unter der Intendanz von Ulf Schirmer kontinuierlich erneuert und künstlerisch neu positioniert. Man konnte in Leipzig das Jahr 2013 mit enormen Zuwachszahlen abschließen. Im Wesentlichen verantwortlich für diesen Zuwachs war die Sparte Oper, die eine Auslastungssteigerung von 22,8% innerhalb eines Jahres auf 73,8% (2012: 51%) verzeichnen konnte. Mit einer Gesamtauslastung von 71% (Oper, Ballett sowie Musikalische Komödie) mit insgesamt 170.000 Besuchern und 322 Vorstellung sowie Konzerten, handelte es sich dabei um die prozentual beste Auslastung seit der Spielzeit 2006/2007. Schirmer, der gleichzeitig Generalmusikdirektor der Oper ist, arbeitet mit einem enorm engen Budget, dennoch werden nach den erfolgreichen Wagner-Festtagen 2013 auch in der neuen Spielzeit solche Sonderveranstaltungen stattfinden. Zum Jahresende kann man in Leipzig eine Puccini-Woche erleben, im Mai 2015 stehen erneut Wagner-Festtage auf dem Programm.
Leipzig und Dresden sind von alters her zwei feindliche Schwestern; man sagte in Sachsen schon früher, dass man in Leipzig das Geld verdient, das in Dresden ausgeben wird. Thielemanns ’Wunderharfe`, die Staatskapelle Dresden, kann zwar neben dem Leipziger Gewandhausorchester bestehen, aber nicht mehr. Seit Riccardo Chailly Chef dieses Orchesters geworden ist, konnte er das internationale Renommee stetig steigern. Ulf Schirmer ist gerade dabei im dritten Jahr seiner Intendanz das Opernhaus in eine gesunde wirtschaftliche Balance zu bringen, gleichzeitig ein interessantes Repertoire aufzubauen, das die Leipziger wieder in das Haus lockt. Der vielseitige Intendant und Dirigent ist für seine unermüdliche Suche nach neuen musikalischen Perspektiven bekannt, und kann als enorm kreativer Diener der Musik bezeichnet werden.
Schirmer ist sich auch nicht zu schade für intensive Jugendarbeit zur Verfügung zu stehen. Mit dem Münchner Rundfunkorchester, dessen Chef er ebenfalls schon seit 2006 ist, steht er den jungen Studierenden der Bayerischen Theaterakademie schon seit 7 Jahren für eine Operneinstudierung pro Jahr zur Verfügung. Gerade hat man dort international Schlagzeilen gemacht mit einer Uraufführung der vergessenen Oper ’Salomé, ein Einakter des Franzosen Antoine Mariotte (1875-1944). Eine echte Entdeckung, die Inszenierung wurde zu einem Publikumsmagnet. Musikalisch unterstützt wurden die jungen Studierenden von dem absolut grandios aufspielenden Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer.
Natürlich darf man davon ausgehen, dass in den neuen Bundesländern immer noch Positionierungsfragen im Raum stehen. Doch so kritisch die Lage für manche Kommune auch zu sein scheint, Kunst setzt kreative Energie frei, die für unsere Gesellschaft in der aktuellen Umbruchsphase von enormer Wichtigkeit ist. Dieser Faktor sollte von den Finanzplanern in den Entscheidungsetagen nicht unterschätzt werden. Menschen, die nicht mehr vielschichtig denken, nicht kreativ agieren sowie das Wort Empathie nicht kennen, können schnell zu einem gefährlichen Faktor für eine human ausgerichtete Gesellschaft werden. Wir benötigen weiterhin eine vielfältige Musikszene, um die vielen verkrampften Gehirnwindungen all der Menschen, die unter einer digital geprägten Welt leiden, wieder in Balance zu bringen. Man kennt es ja, das Prinzip der rechten und linken Gehirnhälften, welches heute allerdings keine Rolle mehr zu spielen scheint. So mancher Wissenschaftler sieht dennoch in der ’digitalen Demenz` ein enormes Risikopotential für unsere aktuelle Gesellschaftsform.