Arzt am Krankenbett des Kapitalismus – Zum von Herbert Schäfer gelesenen Hörbuch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty

Thomas Piketty: "Das Kapital im 21. Jahrhundert". Gelesen von Herbert Schäfer.
"Das Kapital im 21. Jahrhundert" von Thomas Piketty, gelesen von Herbert Schäfer. © Der Hörverlag

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Dass die Verteilung von Hab und Gut, von Vermögen und Einkommen wird immer ungleicher wird, das ist eine Binsenwahrheit. Die Aussage des französische Ökonomen Thomas Piketty, der für den Fall einer weiter fortschreitenden und extremen Einkommenskonzentration „eine Revolution“ für wahrscheinlich hält, die „einer solchen Situation rasch ein Ende bereiten würde“, ist hingegen eine Prophezeiung.

Dabei behauptet der 1971 in Clichy geborene und als Professor an der Pariser École d’economie arbeitende Piketty, der 2013, als sein Buch „Le Capital au XXIe siècle“ veröffentlicht wurde, den Yrjö-Jahnsson-Preis der European Economic Association erhielt, das alles und noch viel mehr. Dass nämlich die Ungleichverteilung annähernd das unangenehm hohe Niveau von Anfang des 20. Jahrhunderts erreicht habe. Die einen erinnern sich daran, dass das eine Zeit von Klassenkämpfen gewesen sei, „eine Periode von spektakulären Klassenkämpfen, Revolutionsversuchen und gelungenen Revolutionen, die den globalen Kapitalismus schwer erschütterten“ (freu` sich, wer`s kennt), die anderen erinnern sich bitter an Mord und Totschlag, an Stellvertreterkrieg, an den 1. Weltkrieg und an den 2. Weltkrieg.

Darin wird auch beschrieben, wie die Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen seit Anfang der 1980er Jahre nicht nur in Frankreich und Deutschland größer geworden ist. Dass dabei das oberste eine Prozent der Gesellschaft, um nicht das Wort Bourgeoisie in den Mund zu nehmen, in hohem Maße Vermögen und Einkommen konzentriert, das wird Land auf, Land ab geschrieben und gesagt. Geändert wird nichts. Weder die Christen noch die Sozen und auch nicht die Sozialisten beziehungsweise solche, die sich dafür halten, ändern die Verhältnisse. Je weniger sie ändern, desto mehr scheinen sie ihre Stimmen zu erheben gegen die ungeahnte Anhäufung von Reichtum bei den Wenigen bei gleichzeitiger Verarmung der Vielen auf nationale und internationale Konferenzen und Kongressen, Parteitagen und Pressekonferenzen sowie Seminaren und Salons.

Das Thema füllt die Tagesthemen und Talkshows zur Nacht. Eine Kritik an den Kommentatoren der aktuellen kapitalistischen Gesellschaft kommt zu kurz.

Immerhin formulierten Günter Sandleben unter dem Titel „Enteignen! – Das Problem der gesellschaftlichen Ungleichverteilung, und wie man es lösen könnte“ im WELTEXPRESS (25.11.2016) wie folgt: „»Es liegt mir nichts daran«, schreibt Piketty, »die Ungleichheit oder den Kapitalismus als solchen zu kritisieren – zumal die soziale Ungleichheit an sich kein Problem darstellt, wenn sie auch nur im geringsten gerechtfertigt ist, das heißt ›im allgemeinen Nutzen begründet‹ ist, so wie es im Artikel 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heißt«. Eine rücksichtslose Kritik des Bestehenden ist bei einem derart unkritischen Standpunkt gegenüber einer Verfassung kaum zu erwarten. Die Grenze, die zu überschreiten Piketty nicht bereit ist, liegt dort, wo es um »die Ungleichheit oder den Kapitalismus als solchen« geht. Darüber soll nicht weiter geforscht werden. Exakt an dieser Stelle endet seine Kritik. Sein ethischer Begriff von »gerechter Gesellschaft« entspricht einem netteren Kapitalismus mit einer Verteilungshierarchie, die nicht mehr so steil ist. Nur Abweichungen von diesem Ideal erscheinen ihm als nicht zu akzeptierendes Übel, das zur Wahrung seines Dogmas politisch zu beseitigen ist. Der Kapitalismus selbst aber soll möglichst keinen Schaden nehmen.“

Piketty ist nur ein Arzt am Krankenbett des Kapitalismus. Wer die hohen Gehälter von Spitzenmanagern als Arbeitseinkommen erklärt, der hat das Kapital nicht erkannt, der stellt sie also nicht mit dem Profit, sondern mit dem Lohn in einen Zusammenhang. Kein Wunder, dass die die Lohnhierarchie zur eigenständigen Quelle der Einkommensungleichheit wird. Im Allgemeinen sei die Lohnhierarchie gut, solange sie gerechtfertigt und also im »allgemeinen Nutzen« liege. Im kapitalistischen Idealfall des Korporativisten Piketty würden alle „gerecht bezahlt“ werden, merkt Sandleben an: „die Unternehmer erhalten für ihre unternehmerische Arbeit angemessene Managergehälter, darunter Prämien, Boni, Aktien, die Lohnarbeiter den Lohn und die Vermögens- oder Kapitalbesitzer als Kapitalvergütung Dividenden, Zinsen, und sie reinvestieren Gewinne zum Zwecke der Wertsteigerung des Kapitals usw.“

Pikettys Befund als Doktor des ihm offensichtlich lieben Kapitalismus, der auch mal böse werde und dann gebändigt werden müsse, können sich Kunden des Hörverlages seit über drei Jahren in der von Herbert Schäfer gelesenen Fassung anhören. Wer die Kritik daran im WELTEXPRESS vorhier list, der wird das hoffentlich lassen und zum Kapital von Karl Marx greifen.

Bibliographische Angaben

Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, Gelesen von Herbert Schäfer, Übersetzt von Ilse Utz, Stefan Lorenzer, Hörbuch MP3-CD, 3 CDs, Laufzeit: 1798 Minuten, Originalverlag: C.H. Beck Verlag, Verlag: Der Hörverlag, 12.1.2015, ISBN: 978-3-8445-1834-4, Empfohlene Verkaufspreise: 29,99 EUR (D), 33,70 EUR (A), 41,50 CHF

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