Arbeitsplatzsicherung durch gute Ausbildung?

Die Großfirmen, wie z.B. Siemens, beschäftigen heute im Bereich der technischen Angestellten nur ca. dreißig Prozent ihrer Mitarbeiter im regulären festen Mitarbeiterstatus, vor allem natürlich in Leitungsfunktionen samt Stellvertreter-Positionen; weitere dreißig Prozent der Mitarbeiter sind zeitlich befristet, maximal mit Zwei-Jahres-Verträgen, die restlichen dreißig Prozent sind als Leiharbeitskräfte jederzeit ihrer Verleihfirma rücküberstellbar. Der Erhalt und die Weiterentwicklung firmenspezifischen Knowhows bleibt dabei immer mehr auf der Strecke, da die Problemstellungen des Wissensmanagements für diese Situation längst noch nicht erforscht sind. Entscheidungsbefugte Personen in Leitungsfunktionen haben häufig relativ geringes fachliches Wissen, stützen sich also auf die Abteilungsmitarbeiter ab, die zeitlich befristet, manchmal sogar auch nur kurzfristig von Verleihfirmen überlassen, ihre fachliche Zuarbeit – nach ausreichender Einarbeitung, die sie autodidaktisch zu erledigen haben – für einen überschaubaren Zeitraum abliefern und das dabei erworbene Wissen wieder mitnehmen, oft wenig brauchbar am nächsten Arbeitsplatz, auf jeden Fall verloren für die bisherige Beschäftigungsfirma. Wie kann diese Wissensstagnation bzw. dieser Wissensabbau verkraftet werden? Wie können die bisher oder jedenfalls bis vor kurzem noch kowhowtragenden Firmen den dadurch drohenden Wettbewerbsnachteil vermeiden? Im Maschinenbau ist die betriebsinterne Situation heute dadurch gekennzeichnet, daß „Schnittstellenprobleme“ zu Informationsfluß-Behinderungen führen. Die Perfektionierung dieses Flusses wird mit dem Produktdatenmanagement-System des jeweiligen Unternehmens über den gesamten Produktlebenszyklus angestrebt. Nur funktioniert das System stets ausschließlich in Abhängigkeit von dem von knowhowtragenden Mitarbeitern „eingefütterten“ Input und der Verwendung des dabei entstehenden systemabhängigen Outputs durch „wißbegierige“ Mitarbeiter, die nach Abruf der Systemergebnisse auf der Basis ihres spezifischen Knowhows die erforderlichen Aktionen auslösen bzw. ausführen. Die Besetzung der hierbei relevanten Arbeitsplätze mit langfristig dem Unternehmen verbundenen Mitarbeitern ist heute leider eher selten, so daß versucht wird, mit komplexen Expertensystem durch Rechnereinsatz zu erledigen, was wegen der erforderlichen Entscheidungsflexibilität nur der Mensch erledigen kann. Letztlich funktioniert einderartiges Expertensystem, wenn überhaupt, nur bei Handhabung durch Experten.

Diese betriebs- und volkswirtschaftlich existentielle Problematik kann nur durch ein Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gelöst werden und ist heute eine der zentralen Fragestellungen unserer Dienstleistungsgesellschaft.

Die Aufgabe der Politik ist es,

  1. Rahmenbedingungen für die Förderung der Wissensträger und aller Maßnahmen zu deren evidenter Sonderstellung in unserer Gesellschaft zu schaffen

  2. Sicherstellung eines permanenten Wachstums des allgemeinen Bildungsniveaus in der Gesellschaft

  3. Schaffung einer Arbeitnehmergruppe „Wissensträger“ in Ergänzung zur Gruppe der „Leitenden Angestellten“

  4. Gesellschaftliche Herausstellung der „Wissensträger“-Gruppe und ihrer Repräsentanten, auch durch Preisverleihungen und Förderungen inkl. Nachwuchsprogramme

Aufgaben der Wirtschaft sind hierbei

  1. Verankerung des „Wissensträger“-Status in den Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern

  2. Schaffung von Stabsstellen „Wissensmanagement“ – ähnlich den KVP-Programmen – in möglichst vielen Betrieben

  3. Entwicklung und Pflege der Wissensmanagement-Aufgaben

  4. Bindung der Wissensträger-Mitarbeiter durch langfristige Festanstellung und herausgehobene Vergütung (von der Anfangsstellung bis zum Ruhestand)

Die Wissenschaft sorgt für

  1. Forschung zur Systemtheorie „Wissens-Management“

  2. Ausbildungsprogramme für die in der Wirtschaft gebrauchten „Wissensträger“, mit dem Schwerpunkt der „angewandten Wissenschaften“

Ergebnis dieser Wissensmanagement-Offensive wäre eine echte Sog-Erzeugung auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt. Die Behauptung „Bildung lohnt sich“ erhält wieder ihren Sinn: es lohnt sich für Wissensträger, Wirtschaft und Gesamt-Gesellschaft in dieses Gebiet zu investieren, jede Seite auf ihre Weise. Zwar wird heute bereits behauptet: Bildung ist die beste Investition in die Zukunft, aber in der Praxis beschäftigt jeder Arbeitgeber am liebsten billige Arbeitskräfte. Und diese nur, solange er die Lohnkosten konkret durch einen Auftrag abgedeckt hat. Hier fordert die Wissensmanagement-Offensive zum Umdenken auf: Konsens aller Beteiligten zur Bewahrung und Weiterentwicklung des vorhandenen Knowhows führt langfristig zur Unternehmenssicherung. Auf dem Wege hierhin sollte der Start nachhaltig Fördermaßnahmen etablieren.

Die Technik entwickelt sich Gott sei Dank ständig weiter, so daß eine Wissensmanagement-Offensive nicht zu spät kommt. Aber Beispiele aus der Vergangenheit könnten helfen, das Bewußtsein für die Notwendigkeit dieser Aktion zu schärfen:

  1. Der Transistor wurde von der AEG entwickelt – Grundlage der Entwicklung in der Elektronik; die Fachleute gingen zu General Electric

  2. Der flache Bildschirm wurde in Berlin an der TU erforscht; die Japaner konnten die wesentlichen geschäftlichen Lorbeeren ernten

  3. Der Transrapid kommt trotz aller deutschen Patente nicht in die kommerzielle Phase; Japan und China haben die Vorteile davon, Deutschland hat das Nachsehen

  4. Handy-Technik wurde von Siemens verschenkt; die deutsche Kommunikationstechnik hat sich längst noch nicht von dem Schock erholt

  5. Der deutsche Schiffsbau – wer kennt nicht HOWALDT oder BLOHM & VOSS? – wurde in den letzten Jahrzehnten „grausam“ reduziert; Hyundai-Kingdom in Ullsan hat die Vorteile davon und macht auf dem Werft-Markt mit modernsten Container-Schiffen unverändert gute Geschäfte

Von 800 Mrd. €, die die Bundesregierung bürgschaftsgerecht zur Verfügung stellt, um die lahmende Wirtschaft auf Trab zu bringen, sollten 10 % als Mindestbetrag für die Wissensmanagement-Offensive bereitgehalten werden. Denn von dem Wissen der Bankmanager kann die deutsche Volkswirtschaft nicht gesunden: Das wird auch der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für die Vergabe der Bundes-Sonderbürgschaften wissen, schließlich hat er sein Mandat zum Bundestag in der wirtschaftlich so dynamischen Oberpfalz in Weiden errungen. Hoffen wir auf diesen Bundestagsabgeordneten Rupprecht, daß er dem Wissensmanagement zu einer tatsächlichen, weil finanziell abgesicherten Offensive verhilft.

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