Anmerkungen zum Epochenbruch in Wort und Bild – „1989. Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft?“ in der Kunsthalle Wien

Sperrig ist die Ausstellung insofern, als zwischen den Worten und den dokumentarischen Bildern und „der Kunst“ säuberlich getrennt wird. Im unteren Bereich der Kunsthalle sind auf 21 großen Tafeln in sehr übersichtlicher Darstellung die politischen und sozialen Ereignisse dargestellt mit fotografischen Dokumenten. Oben gibt’s die Kunst. Mal die aus der damaligen Zeit in Ost und West, mal Reflektionen. Gewünscht hätte man sich eine Verschränkung, beispielsweise, welche Kunst in welchen Regimes gefördert wurde. Wie hat sich zum Beispiel die auf der Bildtafel hervorragend dargestellte geteilte Welt in ihren Kunstproduktionen unterschieden. Das ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich, aber das wäre ein Ansatz, der der Kunst das Private als Hervorbringung von einzelnen nähme und sie stärker in einen Überbau- Unterbau Verhältnis brächte, von dem jeder weiß, daß es das gab, gibt und geben wird. Denn ob heute die Kunst in den früheren Ostländern freier ist oder ob der Kunstmarkt des Westens die Kunst definiert und eine neue Unfreiheit produziert, muß diskutiert werden.

Bleiben wir erst einmal bei den historischen Tafeln. Zwar kennt der zeit- und politikbewußte Mensch das alles, aber es ist sehr sinnvoll, dies konsequent unter dem Gesichtspunkt der Entstehung der Blöcke und ihres Abschmelzens noch einmal durchzugehen. So haben wir alle Tafeln von oben bis unten durchgelesen, was Zeit braucht, aber nützlich ist. Von den „Wurzeln des Kalten Krieges“, über deren Schlüsselbegriffe, gesondert den „Eisernen Vorhang“, von dem nicht alle wissen, daß er aus der Theatersprache kommt und den Schutz der Zuschauer vor einem Übergreifen eines Brands auf der Bühne herrührt. Im politischen Feld hieß das dann, daß sich der eine Staat und seine Bewohner von denen auf der anderen Seite durch nicht Durchlassen schützt. Eine wesentliche Bedeutung erhält in diesem Kontext die Errichtung der Berliner Mauer am 13. August 1961 – einem Schlüsseldatum -, die immerhin 28 Jahre lang nicht nur die deutschen Länder sondern auch die Stadt Berlin teilte und 165 km lang war. Im Zeitraum zuvor, von 1949 bis 1961, so erfahren wir, verließen 2,5 Millionen die Deutsche Demokratische Republik, die man damals in Westdeutschland nicht so nennen durfte, auch nicht DDR, sondern später als „sogenannte“ als kaum existent und zuvor als Mitteldeutschland angesprochen hatte, mit den Brüdern und Schwestern dort.

136 Menschen starben an der Berliner Mauer nach 1961, aber davon ’nur’ 98 als DDR-Flüchtlinge, die anderen Toten sind ohne Fluchtabsichten versehentlich erschossen worden, Grauslich. So und so. Aber demgegenüber stehen dann 251 Reisende aus Ost und West, die im Verlauf der Kontrollen bei der Ein- oder Ausreise in oder aus der DDR/Westberlin/ Westdeutschland verstarben, meist an Herzversagen infolge der Aufregung. Denn aufregend waren diese Besucher auch für unsereinen. Man hatte immer Angst und wurde in rauhem Ton angesprochen, was zur Folge hatte, daß man sich immer leicht schuldig fühlte, obwohl wir brave Bundesbürger waren und nichts Falsches mitbrachten oder ausführten, schließlich wollten wir die Verwandten in der DDR nicht gefährden. Denn die brauchte man, um überhaupt ein Visum und die Einreise zu bekommen. Aber das sind dann so innerdeutsche Themen, die zu den Bücherschränken führen, warum man soviel Literatur aus damaligen DDR Verlagen hat. Ganz einfach. Der später Zwangsumtausch von 15 DM in DDR Mark, führte in einem Land, wo das landeseigene Geld wenig wert war, weil man nichts kaufen konnte, regelmäßig dazu, es in den sehr guten Büchern, der sehr guten Verlage anzulegen. Also kann man in heutigen bundesdeutschen Wohn- und Arbeitszimmern sehr gut deren DDR Aufenthalte studieren oder eben ob sie nicht dort waren. Aber das ist kein Thema für diese Ausstellung, die aber in der Anlage nicht nur eine zum Rezipieren des Gesagten ist, sondern nichts dagegen hat, wenn sich die Geschichten im eigenen Kopf fortsetzen. Da braucht man halt länger für den Ausstellungsbesuch, aber dagegen hat die Kunsthalle natürlich nichts, zumal die kleine Theke mit den Erfrischungen gleich ein paar Schritte weiter steht.

Sie merken also schon, wir sind von der Konfrontativ mit der eigenen Vergangenheit schwer beeindruckt und finden von daher schon all diese Tafeln hervorragend, die im übrigen ganz detailliert auf die Ost- und Südost Länder und ihren Emanzipationprozeß eingehen. Toll die Polen, die als erste ausbrachen. Ist uns das eigentlich bewußt? Auch wenn die Kraft des Widerstandes stark aus Kirchengründen erfolgt. Toll auch die Ungarn, die politisches Gespür und gesellschaftliche Sensibilität aufwiesen, als das Bisherige und ein freies Europa Spitze auf Knopf stand. Angesprochen wird auch der „Mythos von Freiheit“, der sich so oft im ungehinderten Reisen und dem Hörenkönnen der westlichen Pop-Kultur erschöpfte. Und dem Markt, könnte man noch hinzufügen, nämlich all den Unsinn kaufen zu können, die der westliche Markt hervorbringt. Die leise Kritik, die mit 1989 erfreulicherweise verbunden ist, drückt sich in solchen Bildtafeln wie „Das außereuropäische 1989“ aus, wo es heißt: „Global betrachtet ist 1989 ein vielschichtiges Schlüsseljahr und keineswegs ein durchgängiges Symbol für Demokratisierung und sozialen Fortschritt.“ China und der Platz des Himmlischen Friedens ist nur ein Beispiel dafür. Das Jahr 1989 wird dann noch einmal in die Monate unterteilt, so daß man wie auf dem Reißbrett die Folgeereignisse sieht, eine dramatische Zuspitzung in Europa.

Sie merken schon, noch immer sind wir begeistert. Und deshalb kommt jetzt zu kurz, was sich im oberen Stock tut. Da gibt es die Kunst der Kabakovs und ihr „Großes Archiv“ von 1993 zu erleiden, Marina Abramoví­cs steuert einen Video bei, Afrika ist auch dabei und Chantal Akerman. Freuen tuen wir uns, wieder einmal die Mappa zu sehen, die Alighiero Boetti 1989 weben lies und die – so ist das Leben – den alten Zustand der geteilten Welt noch einmal auf dem Teppich festhält. Viele Italiener sind dabei, auch Maurizio Cattelan, aber auch der Chinese Chen Danquing, der einmal nicht in Paris, New York oder London lebt, sondern zu Hause in Peking. Wir schlagen vor, gehen Sie auf jeden Fall in diese Ausstellung, strukturieren Sie Ihr Gedächtnis neu und setzen sich mit den Kunstwerken selbst auseinander.

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Ausstellung: bis 10. Januar 2010

Katalog: 1989 Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft? Anmerkungen zum Epochenbruch, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2009. Im Katalog sind nicht nur alle Kunstwerke wiedergegeben, sondern mit ausführlichen Beschreibungen und Erklärungen auch zum Lebensweg der einzelnen Künstler versehen. Sehr gut!

Internet: www.kunsthallewien.at

Reiseliteratur: Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22.oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.

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