Ameisen, Termiten, Bienen – Die kleinen Krabbeltierchen waren Darwins größtes Problem

Darwin hat auf seinen langen Reise jede Menge Kurzweiliges mitgebracht.

Hören wir uns an, welches Problem Darwin wohl schlaflose Nächte bereitete: „Ich kann nicht auf alle diese Fälle eingehen, sondern muss mich auf eine besondere Schwierigkeit beschränken, die mir anfangs so unerklärlich erschien, dass ich glaubte, sie könne meine Theorie umwerfen. Ich meine die geschlechtslosen oder die unfruchtbaren Weibchen der gesellig lebenden Insekten. Denn diese Geschlechtslosen unterscheiden sich an Instinkt und Körperbildung oft ebenso stark von den Männchen wie von den fruchtbaren Weibchen und können doch, eben weil sie steril sind, ihre Art nicht fortpflanzen.“ Da haben wir das Dilemma! Nach seiner Theorie belohnt die natürliche Umgebung sinnvolle Abänderungen des Körperbaus oder der Instinkte durch reichliche Nachkommenschaft, so dass sie erhalten bleiben und sich durchsetzen. Aber wie kann die natürliche Selektion sinnvoll angepasste Formen schaffen, wenn diese sich selbst gar nicht fortpflanzen?

Darwin fährt fort: „Allein die Arbeitsameise ist ein Insekt, das stark von seinen Eltern abweicht und dabei absolut unfruchtbar ist, so dass es keineswegs allmählich erworbene Abänderungen des Körperbaus oder der Instinkte auf Nachkommen übertragen kann. Wie lässt sich also dieser Fall mit der natürlichen Zuchtwahl erklären?“

Darwin kommt auf den Gedanken, dass der Wettkampf um die verfügbaren Ressourcen hier nicht in erster Linie zwischen den Individuen einer Species, sondern zwischen Familienverbänden dieser Species stattfindet, ebenso wie auf einer höheren Ebene zwischen den Unterarten einer Art oder nahe verwandten Arten derselben Gattung: „…so hat auch bei den geselligen Insekten die Zuchtwahl auf die Familie und nicht auf das Individuum zur Erreichung eines nützlichen Zuchtzieles eingewirkt. Wir können also schließen, dass sich geringe Änderungen des Körperbaus oder Instinkts in Korrelation mit der sterilen Beschaffenheit gewisser Mitglieder der Gemeinschaft als vorteilhaft herausgestellt haben; infolgedessen gediehen die fruchtbaren Männchen und Weibchen und übertrugen an ihre fruchtbaren Nachkommen die Neigung, unfruchtbare Mitglieder mit denselben Modifikationen hervorzubringen…“ In der Tendenz hat er damit wohl die richtige Lösung getroffen, aber etwas rätselhaft bleibt es wohl doch noch.

Mit den Erkenntnissen der modernen Genetik kann man dem Problem sicherlich noch näherkommen. Wir haben es also hier mit trimorphen Species zu tun. Viele Arten treten nur in einer Form auf, d.h. Männchen und Weibchen unterscheiden sich, außer eben im Geschlecht, in Körperbau, Instinkten und Lebensweise nicht wesentlich. Bei vielen Arten unterscheiden sich aber Männchen und Weibchen ziemlich stark; man spricht dann von Geschlechtsdimorphismus. Die Art ist also dimorph, kommt in zwei Formen vor. Staatenbildende Insekten sind nun trimorph, kommen in drei Formen vor: Männchen, Weibchen, Arbeitstier. Auch pentamorphe Insekten sind bekannt, also solche, bei denen fünf verschiedene Formen zu einer Art gehören, z.B. können dies dann Männchen, Weibchen, Arbeitstiere und Soldaten zweier verschiedener „Waffengattung“ sein.

Heute wissen wir, dass im Zellkern jeder unserer Zellen unser gesamtes Genom gespeichert ist. Damit aus einer Zelle allerdings eine Körperzelle mit einer ganz bestimmten Funktion wird, müssen ein Großteil der Gene des Genoms in diesen Zellen deaktiviert, abgeschaltet sein; eben jene die die Produktion von Proteinen codieren, die in dieser spezialisierten Zelle keinen Platz haben. Diese Abschaltung von Genen oder Gensequenzen erfolgt in der Regel durch ein spezifisches Protein. Betrachtet man das Genom als Analogon zu einem executabel file in der elektronischen Datenverarbeitung kann vielleicht die Stellung eines einzelnen Schalters oder die Blockade eines einzigen Zeigers auf eine Unterdatei, größere Unterprogramme ein- oder ausschalten. Wir können also bei den staatenbildenden Insekten davon ausgehen, dass die Baupläne der sterilen Formen ebenso im Genom der fruchtbaren Formen enthalten sind, wie umgekehrt. Nur die Schalter im Genom sind anders gestellt. Wie bewirken diese Insekten das? Die befruchteten Eier der Königinnen scheinen wohl zunächst gleichermaßen befähigt, sich zu einer Königin oder zu Arbeiterin zu entwickeln. Die Auswahl erfolgt instinktiv-planmäßig durch Gestaltung der Umgebungsbedingungen der Eier.

Ameisen, Bienen, sowie den ebenfalls z.T. staatenbildenden Hornissen und Wespen, ist es eigentümlich, dass sich die Männchen stets aus unbefruchteten Eiern entwickeln. Aus befruchteten Eiern entwickeln sich immer Weibchen, entweder Königin oder sterile Arbeiterin. Der männliche Bauplan ist also dem weiblichen Genom inhärent. In all den genannten Insektenfamilien sind die männlichen Individuen nur sehr kurzlebig. Etwas anders liegen die Verhältnisse bei den Termiten: König und Königin bleiben hier ein Leben lang zusammen. Die Kasten der Arbeiter und Soldaten bestehen sowohl aus weiblichen wie aus männlichen Tieren, welche aber unfruchtbar sind.

Bei den Bienen, welche ja sozusagen Haustiere sind, sind die Verhältnisse besonders gut bekannt: Die Entwicklung zur Königin oder Arbeitsbiene wird zum einen durch die Größe der wächsernen Zelle, in der sich die Eier und Larven entwickeln und zum anderen durch die Ernährung der Larven. Die Königinnen entwickeln sich in besonders großen Weiselzellen, während sich die Arbeitsbienen in weitaus engeren Behausungen heranwachsen müssen. Weiterhin wird die Entwicklung durch die Ernährung gesteuert: Drohnen und Arbeitsbienen erhalten nur in den allerersten Tagen jenes besondere Kraftfutter, welches als Gelee royal bezeichnet wird, die Königin wird damit lebenslang gefüttert. Bei den staatenbildenden Hornissen und Wespen erfolgt die Steuerung Königin/Arbeiterin zumindest ebenfalls über die Zellgröße, in welcher die Larven heranwachsen. Die Ameisen bewirken diesen Unterschied wohl in erster Linie durch das Nahrungsangebot. Bei den Termiten läuft es wieder etwas anders: Zur Erzielung der unfruchtbaren Arbeiter und Soldaten wird einfach die Metamorphose der Larven zum ausgereiften Imagonalzustand, zum geschlechtsreifen Tier, an einer bestimmten Stelle abgebrochen. Dies erfolgt durch sogenannte Pheromone, Sozialwirkstoffe.

Die natürliche Selektion bewertet also praktisch einen ganzen Insektenstaat wie ein Individuum: Eine der wesentlichsten Eigenschaften des Genoms einer Königin ist die, besonders geeignete Arbeiter und Soldaten hervorzubringen. Um so länger der Gesamtstaat existiert, kann die Königin Nachkommen hervorbringen, einschließlich neuer Königinnen, die neue Staaten gründen, Kolonien sozusagen. Das Verhältnis zwischen Geschlechtstieren und den sterilen Individuen ist im Grunde kein anderes als das zwischen Fortpflanzungszellen und spezialisierten Körperzellen im mehrzelligen Individuum: Letztere nehmen an der Gestaltung der nächsten Generation nicht teil, Abänderungen, die innerhalb ihrer Lebenszeit erfahren, werden nicht an die nächste Generation weitergegeben, ihre mehr oder weniger zweckentsprechende Ausbildung entscheidet jedoch über die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der Ersteren. Die Weiterentwicklung der staatenbildenden Insekten erfolgt also über zufällige Veränderungen jener Teile des Genoms, die die Ausbildung der niederen Kasten codieren, deren Zweckmäßigkeit von der natürlichen Auslese dann erst nach deren Ausprägung bewertet wird. Die staatenbildenden Insekten sind also ein Beweis gegen jene Evolutionstheorie, die von der Vererbung erworbener Eigenschaften ausgeht und in der Regel als Lamarckismus bezeichnet wird, obwohl dessen Theorie sich nicht auf diesen Mechanismus der Evolution beschränkt.

Dies hatte auch Darwin bemerkt: „Der Fall ist auch insofern interessant, als er beweist, dass bei Tieren und Pflanzen jede Summe von Modifikationen durch Anhäufung geringer, irgendwie nützlicher spontaner Abänderungen ohne Unterstützung durch Gebrauch oder Gewohnheit bewirkt werden kann… Es wundert mich, dass bisher niemand den Fall der geschlechtslosen Insekten gegen die wohlbekannte Lehre Lamarcks von den ererbten Gewohnheiten vorgebracht hat.“

Aber ist auch die evolutionäre Ausbildung von solchen staatenbildenden Insekten nachvollziehbar erklärlich? Stellen wir uns ein weibliches Insekt vor, welches sich sowohl mit der Fortpflanzung, der Brutpflege und der Nahrungsbeschaffung befasst. Bringt es durch irgendeine Mutation im Genom gelegentlich ein paar unfruchtbare Nachkommen zur Welt, deren Instinkt zur Brutpflege und zur Nahrungsbeschaffung aber voll entwickelt sind, so könnte sich durch diese, die Zahl oder die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Aufzucht der fortpflanzungsfähigen Nachkommen erhöht haben. Dies kann zum Ausgangspunkt einer evolutionären Entwicklungsrichtung geworden sein.

Interessant ist aber auch die Frage, warum sich gerade in der Klasse der Insekten dieses sonst eigentlich nicht vorkommende Phänomen gleich mehrmals herausgebildet hat, in verschiedenen Entwicklungslinien, die nicht untereinander stammesverwandt sind. Offenbar ist es für Insekten, die infolge ihrer geringen Größe keine hinreichend großen Zentralnervensysteme entwickeln können, um zu einer komplexeren Form der Datenverarbeitung zu gelangen, dies der einzige Weg dahin. Die kommunizierenden Individuen verkörpern in ihrer Gesamtheit eine weit höhere Datenverarbeitungskapazität, also defacto Inteeligenz, als jedes seiner Individuen, allerdings eine bewusstlose Intelligenz.

Auf den Aspekt der Arbeitsteilung wies schon Darwin hin: „Wir können verstehen, dass die Erzeugung dieser Arbeiter für eine soziale Ameisengesellschaft nützlich war, aus demselben Grunde, aus dem die Arbeitsteilung für den Kulturmenschen vorteilhaft ist. Die Ameisen arbeiten jedoch mit ererbten Instinkten und mit ererbten Organen und Werkzeugen, während der Mensch mit selbst erworbenen Kenntnissen und und selbst hergestellten Werkzeugen schafft…“

In der menschlichen Gesellschaft schlug, wie wir wissen, Arbeitsteilung, in der Biologie der Symbiose vergleichbar, oft schnell in Ausbeutung, in der Biologie dem Parasitismus vergleichbar, um. Die entstehende Arbeitsteilung zwischen körperlicher Arbeit einerseits, sowie geistiger und administrativer Arbeit andererseits, brachte im Alten Orient relativ schnell die ersten Klassengesellschaften hervor, in der sich die Klassen durch ihre Verfügungsgewalt über den Grund und Boden, dem damals wichtigsten Produktionsmittel, ihrem Anteil am produzierten gesellschaftlichen Reichtum, sowie in ihrer herrschenden oder beherrschten Stellung im Staate, unterschieden.

Sind die Insektenstaaten nun in dem Sinne Klassenstaaten, in denen eine oder mehrere Formen der Species parasitär auf Kosten der anderen Formen existieren? Davon ist zunächst nicht auszugehen, denn alle Formen verkörpern und verrichten zur Arterhaltung notwendige Arbeiten. Die verschiedenen Formen der tri- oder pentamorphen Arten existieren also in Symbiose. Auch herrscht in ihnen eigentlich niemand, alle werden beherrscht von ihren genetisch vorgegebenen Instinkten und indem sie tun, was diese ihnen vorschreiben, gleichermaßen „glücklich“ oder „unglücklich“, sofern man diese Begriffe überhaupt irgendwie auf Wesen anwenden kann, die im Prinzip reine Instinktmaschinen sind, wie eben die Insekten, im Unterschied zu den höheren Wirbeltieren.

Aber auch im Insektenreiche findet oft schnell der Umschlag von der Symbiose oder Arbeitsteilung zum Parasitismus, zur Ausbeutung, statt. Wir finden dies bei staatenbildenden Wespen in Form der Kuckuckswespen. Dies sind Wespenarten, die keine Arbeiterinnen hervorbringen, solche aber zur Aufzucht ihres Nachwuchses benötigen. Diese dringen in die Nester staatenbildender Wespen ein, töten deren Königin und nehmen dann deren Stelle ein, den Brutpflegetrieb der Arbeiterinnen für den eigenen Nachwuchs nutzend. Sie betreiben also Brutparasitismus, wie der Kuckuck unter den Vögeln. Allerdings ist die hier zunächst beschriebene Form des Brutparasitismus eine evolutionär noch primitive Form: Infolge der vollständigen Verhinderung der eigenen Fortpflanzung der Wirtsart bei Tötung der Königin und bei rascher Ausbreitung neuer Königinnen der Kuckuckswespe, rottet diese ihre Wirtsart in einer bestimmten Region schnell aus und findet dann keine Nester für ihren Brutparasitismus mehr vor und muss selbst zugrundegehen. Die evolutionär höher entwickelte Variante ist deshalb die, sich nur zusätzlich zur vorhandenen Königin einzunisten, die Arbeitskraft der Arbeitsbienen auszunutzen, ohne sie dabei auszurotten. Die Evolution hat den Wespeninstinkten also beigebracht, was neoliberale Ökonomen nicht mal nach der Professur begreifen: Man kann den Preis der Ware Arbeitskraft nicht dauerhaft unter ihren Wert senken, der arbeitende Mensch muss von ihm existieren können.

Leider ist Darwin bei seinem Vergleich zwischen Insektenstaat und menschlicher Gesellschaft, da er der bürgerlichen Klasse, aus der er stammte, trotz aller seiner fortschrittlichen oder sozialen Einstellungen im Einzelnen, immer verhaftet blieb, nicht noch einen Schritt weiter gegangen: Der Mensch ist nicht tri- oder pentamorph, ja selbst der Geschlechtsdimorphismus ist sehr gering ausgebildet, auch wenn ihm diese kleinen Unterschiede in der Regel viel Freude bereiten, er ist also nicht biologisch-genetisch determiniert zur Klassenspaltung, ja nicht einmal zur ewigen „Knechtung unter die Teilung der Arbeit“. Dies sind nur Übergangsstufen seiner Entwicklung.

Karl Marx, Zeitgenosse Darwins, schreibt hierzu: „Dass die Entwicklung der Fähigkeit der Gattung Mensch in sich zunächst auf Kosten der Mehrzahl der Menschenindividuen macht… dass alle die höhere Entwicklung der Individualität nur durch einen historischen Prozess erkauft wird, worin die Individuen geopfert werden…“ aber „Die Gesellschaft findet nun einmal nicht ihr Gleichgewicht, bis sie sich um die Sonne der Arbeit dreht.“

Zitieren wir noch Friedrich Engels, einen weiteren Zeitgenossen Darwins: „Erst die Sklaverei machte die Teilung der Arbeit zwischen Ackermann und Industrie auf größerem Maßstab möglich, und damit die Blüte der alten Welt, das Griechenzum.“ aber „Die ersten sich vom Tierreich sondernden Menschen waren in allem Wesentlichen so unfrei wie die Tiere selbst; aber jeder Fortschritt in der Kultur war ein Schritt in die Freiheit.“

Summa summarum: Im Unterschied zu Termite und Ameise ist der Mensch biologisch dispositioniert zu Freiheit und Gleichheit!

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