Alles Fritsch – oder issonstnochwasbeimtt? – „Der Biberpelz“ und „Nora oder Ein Puppenhaus“ von, mit, durch, über, unter und wegen Herbert Fritsch

Das Gesicht auf dem Plakat hat einen entsetzten Ausdruck, und außerdem steht dieser Kopf auf dem Kopf. Das ist kein Wunder, denn Frauen sind zwar ein wichtiges Gesprächsthema beim tt, besprochen werden jedoch fast ausschließlich die Frauen von Herbert Fritsch, seine Nora und die Frauen, die Fritsch nach eigenen Aussagen privat bevorzugt, wobei die Eine eigentlich gar keine Frau ist und die Anderen – – nun ja, was ein Mann so daher redet …
 
Dass Herbert Fritsch im Zentrum des Interesses stehen würde, war vorauszusehen. Von Fritsch wurden – weshalb auch immer – gleich zwei Inszenierungen zum Theatertreffen eingeladen. Vielleicht war die Jury erschrocken, nachdem sie so unüblich viele Regisseurinnen ausgewählt hatte und entschied sich deshalb für die dominante Männlichkeit im Doppelpack.
 
„Der Biberpelz“ zeichnet sich in Fritschs Inszenierung vor allem durch die Lautstärke aus, mit der das 12köpfige Ensemble die Dialoge, einschließlich Regieanweisungen, herausbrüllt. Das Geschrei ist rhythmisch und lautmalerisch, wobei inhaltliche Aussagen verzerrt und sinnwidrig artikuliert werden.
 
Die handelnden Personen sind durch die schrillen Kostüme von Bettina Lauer typisiert wie Kasperpuppen. Das Bühnenbild hat Herbert Fritsch selbst kreiert. Es besteht aus einer fahrbaren Wand mit grellbunter Blümchentapete und Goldfransen.
 
Was die Darstellung angeht, so präsentieren sich  die Männer einheitlich als  verblödete Trottel. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Tempi ihrer Aktionen. Jakob Kraze als Von Wehrhahn ist hektisch und rasant in Sprache und Bewegung, die Anderen sind in Abstufungen langsamer bis hin zu Stéphane Maeder als bärig tapsendem Julius Wolff.
 
Frau Motes gehört vom Darstellungsstil her auch zur verblödeten Männerriege, während Mutter Wolff und ihre beiden Töchter, mehr oder weniger entfernt, mit den Personen in Gerhart Hauptmanns Komödie verwandt sind. Sonja Isemer als ältere Tochter Leontine, von Hauptmann faul und verdorben konzipiert, stürzt immer wieder an die Rampe, um stereotyp mit Busen und Hüften zu schlenkern, und die ebenso verdorbene jüngere Adelheid (Isa Weiß) kreischt nervtötend und böse.
 
 Frau Wolff (Brigitte Peters)  ist deutlich erkennbar als diejenige, die alle Fäden in der Hand hat. Dieser Figur hat Herbert Fritsch ein kleines bisschen Raum gelassen. Ab und zu unterbricht Brigitte Peters ihre Phonetikübungen und ihr wildes Grimassieren, ist eine wunderbare Frau Wolff und bekommt für jede ihrer brillant servierten Pointen Lacher vom Publikum.
 
Ansonsten wurde während der Vorstellung, die ich am 14. Mai auf der Seitenbühne im Haus der Berliner Festspiele gesehen habe, vom Publikum mäßig gelacht über Gags wie eine herunterfallende Hose oder eine ausgespuckte Zahnspange. Worum es im Stück eigentlich ging, wer da wen bestohlen hatte, und was das alles mit dem unter Maulsperre leidenden Herrn Krüger zu tun hatte, war ohne Vorkenntnisse nicht verständlich. Einige deutsche ZuschauerInnen, die das Stück nicht kannten, versuchten sich anhand der englischen Übertitelung zurecht zu finden.
 
Auch bei „Nora oder ein Puppenhaus“, einer Inszenierung von Herbert Fritsch am Theater Oberhausen gab es Verständnisschwierigkeiten. Nach der Vorstellung am 15. im Haus der Berliner Festspiele hörte ich einen jungen Mann sagen: „Ich habe das nicht verstanden, aber ich fand es lustig.“
 
Herbert Fritsch hatte bei der Pressekonferenz,  kurz vor Eröffnung des tt, erklärt, dass ihn die Emanzipationsgeschichte nicht interessiert habe und dass er auch kein Frauenversteher sei. Ein Ibsenversteher ist Fritsch selbstverständlich auch nicht, und so wurde unter seiner Führung  aus der Geschichte der Ehefrau, die ihren Mann verlässt, wiederum ein Event mit viel Geschrei und Grimassenschneiden. Ganz so laut wie beim „Biberpelz“ ging es bei „Nora oder ein Puppenhaus“ nicht zu, auch das Tempo war weniger rasant, dafür gab es eine Erotikshow wie aus dem Bordell importiert.
 
Wenn Frau Linde, anzusehen wie Kim Novak im Hitchcock-Film „Vertigo“  mit Grabesstimme zu sprechen beginnt, dann hört sich das an wie die unbegabte Darbietung einer Domina in einer TV-Doku. Auch von den übrigen SchauspielerInnen werden die Texte bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Deutlich herausgearbeitet sind lediglich ein paar hinzugefügte, platte sexuelle Anspielungen.
 
Das Stück erscheint als dekoratives Beiwerk zum Hauptanliegen der Inszenierung: die Titelfigur als Objekt perverser Lustbefriedigung vorzuführen. Am Schluss kommt zu Ibsen noch ganz unvermittelt ein Märchenmotiv hinzu, wie es auch in Pornofilmen gern Verwendung findet.
 
Inmitten der SchauspielerInnen, die, dem Willen des Regisseurs gemäß, sprechen und agieren wie Laiendarsteller mit krampfig-vergeblichem, dabei eher peinlichem als lustigem, Bemühen um Kunstproduktion, gibt es in dieser Inszenierung, wie im „Biberpelz“ eine Figur, die Verständliches äußert:
 
Torsten Bauer als Helmer gestaltet Noras Ehemann überzeugend als verklemmten Sadisten mit pädophilen Neigungen, zumindest in seiner Textinterpretation. In seinem Spiel ist er ebenso unsinnig grotesk wie die übrigen Mitwirkenden, und, wie alle Anderen, ist auch Helmer geschminkt wie ein verwesender Leichnam.
 
Zu Literatur als dekorativem Element kommen noch Gruselerscheinungen hinzu, unterstützt durch die Musik aus den Filmen „Vertigo“ und „Psycho“.
 
Beide Inszenierungen von Herbert Fritsch, die beim tt zu erleben waren, sind autoritäres Regie-Theater, wie es in den 70ern und 80ern üblich war. Neben dem Wirbel, den sie verursachten, gab es bei den KulturbloggerInnen beim tt Unmutsäußerungen darüber, dass Herbert Fritsch in den Medien so gefeiert wurde.

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