After May

Very British auf der Veranstaltung Trooping the Colour am 8. Juni 2019 in London. © 2019, Foto: Charles E. Ritterband

London, Vereinigtes Königreich (Weltexpress). Der Mai ist vergangen, May ist weg – und am Donnerstag ist der Startschuss zu einem Rennen gefallen, das an Bedeutung für Britannien das berühmte Pferderennen von Ascot bei weitem übertrifft – und Auswirkungen für ganz Europa haben wird: Die Nachfolge von Theresa May an der Spitze der britischen Konservativen und damit, traditionsgemäß, die Person des künftigen Premiers. Rund 200 000 Parteimitglieder küren den oder die Vorsitzende. Und nicht weniger als acht Kandidaten und zwei Kandidatinnen bewerben sich um dieses Amt, das gegenwärtig eher einem Schleudersitz als dem ehrenvollen, begehrenswerten Amt an der Spitze dieser altehrwürdigen Nation gleicht. In der ersten Runde sind die beiden Frauen und ein weiterer Kandidat ausgeschieden.

Theresa May musste nach 1059 Tagen im Amt und drei gescheiterten Versuchen, ihren Brexit-Deal innerhalb der Partei und im Unterhaus durchzubringen, kapitulieren. Und verfolgt man die beißenden Satire-Programme am BBC-Radio, so wurde die Bedauernswerte am Ende gar zur nationalen Witzfigur. Vor allem nehmen die Satiriker ihre sture, ja fast obsessive Besessenheit mit dem Austritt aus der EU aufs Korn: Ihre (tautologische) Maxime „Brexit means Brexit“ hat sie bis zum Schluss wie ein Mantra vor sich hergetragen. Gleich zu Anfang ihrer Amtszeit hatte May stolz betont, dass sie den verschiedenen Bars in Westminster fernbleiben werde und mit den politischen Cliquen nichts anzufangen wisse. Doch genau das war verhängnisvoll: Westminster funktioniert wie ein „Gentlemen`s Club“ und May hatte es verabsäumt, einen Zirkel von Freunden und Verbündeten aufzubauen – sie blieb in entscheidenden Momenten allein.

Boris Johnson, der frühere Londoner Bürgermeister und Außenminister unter May hatte sich als erster gemeldet und ist, zum Leidwesen vieler in Großbritannien und auf dem europäischen Kontinent, in der ersten Wahlrunde erwartungsgemäss zum Favoriten gekürt worden. Als Trost mag gelten, dass es der Favorit der ersten Runde noch nie zum Premier geschafft hat.

Geboren in New York, zählt er zur gehobenen Mittelschicht und ist Absolvent der legendären (und als snobistisch verschrienen) Elite-Schule Eton.

Johnson besteht darauf, dass Großbritannien die EU im Oktober unter allen Umständen verlassen müsse. Dennoch ist er gegen den gefürchteten „No Deal“, den vertragslosen Austritt. Doch ein weiterer Kandidat, der amtierende Außenminister Jeremy Hunt, sagt, wenn dies die einzige mögliche Option für den Austritt sei, würde er ohne Zögern „No Deal“ hinnehmen.

Brexit ist naturgemäß das dominierende Thema für alle Kandidaten; sämtliche sind „Brexiteers“ und keiner „Remainer“ und keiner befürwortet ein neues Brexit-Referendum.

In Brüssel wird dieses Rennen sehr genau mitverfolgt. Eine Wahl Boris Johnsons gilt dort als Horror-Szenario, „Trump-ähnliche“ Figur, dessen unqualifizierte Behauptungen und bombastische Rhetorik entscheidende Faktoren für den Brexit-Albtraum dargestellt hätten. Schon in den frühen 90er Jahren hatte sich Johnson dort – damals noch Brüssel-Korrespondent des konservativen „Daily Telegraph“ – unbeliebt gemacht, als er sich über EU-Reglemente unter dem Schlagwort „Euromythen“ mokierte.

Wer immer das Rennen macht – es wird voraussichtlich ein Brexit-Hardliner werden. Und seine Amtszeit wird wohl von eher kurzer Dauer sein.

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