David Urquhart ist der Verfasser von „Reisen unter Osmanen und Griechen“, die in der Edition Erdmann erschienen sind und den Zeitpunkt 1830 nennen und den Hinweis tragen: „Vom Peleponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit“. Damals ist Griechenland als moderner Staat erst gegründet worden und der Verfasser reiste im späteren Staatsgebiet offiziell als Privatmann, reichte aber seine Analysen der politischen Situation und der sozialen Verhältnisse in London ein, denn schon damals war das Commonwealth weltpolitisch daran interessiert, daß die Russen nicht zu mächtig und bei aller Europäisierung die Osmanen nicht zu stark geschwächt würden. Des Schotten Urquharts Buch erschien auf Englisch 1838 als „Geist des Orients“ und wurde flugs ins Deutsche übersetzt. Die modernen Griechen kommen nicht gut weg dabei, vor allem, wenn er sie an den hehren Vorbildern der Antike mißt. Das ist so ungefähr umgekehrt proportional, wie wenn man heute Deutsche mit Germanen vergleicht.
Das Buch fasziniert auch durch die Einstellungsveränderungen des Verfassers seine Reisen hindurch. Er kommt nämlich vollbeladen mit Vorurteilen gegenüber den osmanischen Besatzern nach Griechenland, das er wie andere Engländer vor ihm – Lord Byron als Symbol – befreien will. Aber er entwickelt eine große Sympathie für die osmanisch –orientalische Lebensweise und verliebt sich geradezu in die Badekultur, was dazu führt, daß er 1850 das erste Hamamm, das erste türkische Bad in London errichtete, das aufzusuchen große Mode wurde.
„Piraten. Schrecke der Weltmeere“ von Wolfram zu Mondfeld und Barbara zu Wertheim, erschienen im Theiss Verlag, nimmt ein ganz aktuelles politisches Problem auf die geschichtliche Schippe. Tatsächlich changieren selten die Taten von Menschen so zwischen Nationalhelden und Verbrechern, wie bei den Piraten. Es geht um die eigene Interessenlage, ob ich diese gut oder schlecht finde. Es geht aber noch um mehr, wenn man dies geschichtlich verfolgt. Und so beginnt es: „Mit Iason fing das Elend an“, also mit dem antiken Griechenland, wobei die Einleitung einem „Die Piraten der Antike von 1400 bis Christi Geburt verspricht“, das Kapitel aber „Die Piraten der Antike im Mittelmeer von 1800. v.Chr. bis 550 n.Chr. liefert! Das Schiff Argo ist nur der Anfang, denn auch den Paris mit dem Raub der Helena und der furchtbaren Folge des trojanischen Krieges muß man als Piraten bezeichnen.
Uns hat das Buch begeistert, weil es geschichtliche Ereignisse, die man eigentlich kennt, vom Wasser aus aufdröselt und immer wieder erhält man Einblicke, die das eigene Geschichtsverständnis ganz schön tangieren. Gut, dann woanders nachzulesen, um das Neue akzeptieren und behalten zu können. Richtig neu aber waren für uns all die asiatischen Heldensagen, die um die japanischen und chinesischen Piraten ranken. Dagegen ist man in der Karibik und der dortigen Piraterie schon fast bekannt. Warum ein Korsar ein Korsar ist, erfährt man nebenbei auch. Also nachlesen.
Bleiben wir noch bei den Alten. Dem Kaiser Augustus und seiner soeben bei Rowohlt erschienen Biographie von Zvi Yavetz. Frisch auf den Tisch serviert das Zvi Yavetz, der 1925 in Czernowitz geboren wurde und 1942 ins damalige Palästina fliehen konnte. An der Uni in Tel Aviv war er Althistoriker und daß er Fachmann ist, merkt man dem Buch genauso an, wie die für Historiker nicht alltägliche Tatsache, daß er spannend schreibt. Dabei denkt man, es sei über Kaiser Augustus alles gesagt. Das Buch teilt sich wie bei Cäsars Gallischem Krieg in drei Teile auf. Erstens geht es um die Ereignisgeschichte, wie sie überliefert ist und die der Verfasser interpretiert. Wir lasen besonders gerne dessen Analyse über die augusteische Gesellschaft, die die Voraussetzung ist, die Herrschaftsform des Augustus verstehen zu können.
Aber auch der dritte Teil, der aufweist, wie sich Augustus in seinem Erscheinungsbild als Herrscher hat wiedergegeben sehen wollen, findet unser Interesse schon aus dem Grund, weil Historiker dazu neigen, Worte sprechen zu lassen, aber den Bildprogrammen der Herrscher, sei es in Statuen oder Münzen zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Yavetz zeigt auf, daß die autobiographischen Fragmente des Augustus nichts zur Klärung seiner Person beitragen können, versucht sich dann in dessen Tatenbericht, von dem z.B. Theodor Mommsen angenommen hatte, dieser „sei vor allem für die römische Stadtplebs bestimmt gewesen“ (Seite 323), was der Autor heute für irrelevant hält und stattdessen die Langlebigkeit des Rufs des Augustus für das Entscheidende hält, worauf dies Schriftzeugnis verweist. Und dann gibt es da noch die Briefe und andere Äußerungen, die seine Persönlichkeit erläutern sollen. Nur eines gibt das verdienstvolle Buch wieder nicht: eine Analyse der Bildnisse des Kaiser Augustus und des vorherigen jugendlichen und wenig bekannten Octavianus oder Octavian. Das hätte nicht der Historiker selbst leisten müssen, dazu hätte er sich eines Koautors bedienen dürfen, aber eine auf die öffentliche Wirkung eingehende Fragestellung, wie sie Augustus selbst in Gang setzte, ohne die wesentliche Aussage seiner Bildprogramme zu thematisieren, fällt hinter den Forschungsansatz zurück. Historiker müssen sich bei derartigen Fragestellungen nach Persönlichkeiten auch auf die gewollten künstlerischen Produkte in Stein und Metall einlassen.
Ein alter Renner ist „Einladung ins Mittelalter“ von Horst Fuhrmann und bei C.H. Beck herausgekommen. Das ist immer noch ein Kompendium, das einen guten Überblick über das Leben im Mittelalter bietet, fachlich versiert, ohne die interessierten Laien vor den Kopf zu stoßen. Das neue Buch von Johannes Fried, ebenfalls im Beck Verlag erschienen, stellt das Mittelalter in den Kontext von ausgehender Antike und „vermeintlicher ’Wiedergeburt` der Renaissance“, die es eben – wie Fried es beweist – ohne die Neugierde und den Tatendrang des Mittelalters sowie ihren Forscherzug nie gegeben hätte. Diese Erkenntnis liefert der bisher an der Frankfurter Universität lehrende Mediävist nicht durch wiedergebende Beschreibungen, sondern läßt den Leser teilnehmen durch das Aufblättern von mittelalterlichen Persönlichkeiten, selbst ein Papst ist dabei, aber auch ein König, erst recht ein richtiger Kaufmann, und dann auch noch die Jungfrau von Orléans, die eine besondere Funktion erhält und viele andere.
Das Besondere jedoch sehen wir darin, daß die Welten verwoben sind. Es gibt nicht nur das abgeschottete Europa. Zum Mittelalter gehören globale Phänomene wie der Mongoleneinfall von 1238-42 genauso wie die europabestimmenden Judenpogrome oder der „Triumph der Jurisprudenz“, wie eine Titelüberschrift lautet, die mit „Hochfinanz“ endet. Also alles wie heute im gesellschaftlichen Gefüge, möchte man halbstark einwenden und hat nicht unrecht. Interessant dann der Ausgang, der in „Erwartung des endzeitlichen Antichristen“ stattfindet, der, da er nicht gekommen ist, auf andere Gesellschaftsformationen übertragen wurde. Die Urängste, die Religionen gut kanalisierten, aber auch zuerst einmal mithervorgerufen hatten, brachen sich Bahn. Dieses Buch ist gut geeignet, einem Menschen von heute klar zu machen, woraus das heutige Europa entstanden ist. Mit allen seinen Vorteilen und Nachteilen. Sein besonderen Vorteil zieht das Buch aus der nicht selbstverständlichen Tatsache, daß der Mann schreiben kann, einen also mitzieht durch die Jahrhunderte und dann auch noch sein letztes Kapitel mit Bildern versieht, dem so nachdenklich-herrscherlichen Bildnis Karl des Kühnen von Burgund, von Roger van der Weyden gefertigt oder den erzählenden Bildern des Florentiners Botticelli, dessen Bilder nicht nur schön sind, sondern auch kritisch politische Wahrheiten ansprechen.