Und so empfängt einen im ersten Stock der Namensgeber Alexander, in der Schwarzenbergschen Fassung, was nur auf die Sammlung verweist, so daß Kenner wissen, daß hier der griechische König und Herrscher über Halbasien als jugendlicher Herrscher dargestellt ist, seine aufrührerische Locke im Haar – die Anastole – noch kaum sichtbar, aber schon die leichte Kopfneigung zur Seite und etwas erhöht nach oben. Eine zeitgenössische Bronzestatue des Lysipp soll die Vorlage für diese Mamorkopie gewesen sein, die nun leicht melancholisch den Eröffnungsraum überblickt, wo in intelligenter und ästhetisch ansprechender Weise die Bibliothek von Alexandria um 300 v. Chr. imaginiert wird, mit Spiegeln und Papyrirollen. Gut, daß so viele Büsten der nachfolgenden Herrscher uns zeigen können, wie sie alle im Bilde dem Vorbild Alexander gleichen wollen, auch wenn sie selbst ganz anders aussahen. Das war damals wie heute, nur daß heute Popstars die Moden vorgeben und damals Weltenherrscher.
Hierhin gehört auch die Isis Lactans, deren surreale Gestalt uns begeistert, ist sie doch aus der Spätzeit der 26. Dynastie, also weit über 2500 Jahre alt. Wer genau schaut, sieht in dieser ein Kind säugenden Mutter nicht nur Isis und Horus, sondern auch Maria und das Jesuskind. Denn, wenn auch das Zentrum dieser Wissensausstellung den Naturwissenschaften gilt, so gilt doch genauso, daß Mythen und Sagen den Transfer in andere Sprachen und Gesellschaften genauso vollzogen wie das Wissen. Der Alexanderroman ist kein solcher Mythos. Ihn hat es wirklich gegeben, aber sicher hat ihn Alexander nicht geschrieben, auch wenn seine Eroberungszüge Inhalt sind. Hier im ausgestellten Fragment geht es um seinen Besuch im Palast des Kyros und des Xerxes. Auch die Dichterin Sappho ist vertreten, ihre Texte wurden seit 600 v. Chr. weitergegeben. Das alles sind weithin bekannte Tatsachen und ihre Belege.
Anders sieht das mit Bagdad aus. Glaubt so mancher, hier handele es sich um eine alte orientalische Metropole, da gab es doch Mesopotamien und den Euphrat und Tigris, so muß er feststellen, daß es erst Mansur, der zweite Kalif der Abbasiden war, der das kleine Städtchen 762 n. Chr.zur neuen Hauptstadt des Reiches machte. Das Reich selbst war ein multinationaler Zentralstaat. Gute Voraussetzungen also, hier auch das Wissen der Zeit zu sammeln, was geschah. Ein Modell zeigt die runde Stadt und ihre Bauplanung, während gläserne und tönerne Fliesen von der Kunst der Zeit zeugen. Ein Astrolabium aus dem 14. Jahrhundert wiederum beweist den Wissenstand um Sonne, Mond und Sterne, erst recht die Erde. Wenn nun Al-Andalus zur Sprache kommen soll, ist der geschichtliche Moment gemeint, seit dem für lange Zeit in Südspanien arabische Kulturen blühten, die das orientalische Wissen nach Europa transferierten, mitsamt griechischen Anreicherungen.
Ein allerliebstes Schachbrett ist es, das muslimischen Orient und christlichen Okzident in einer Miniatur verbindet und die richtige Perspektive zur Nebensache erklärt. Unter einem blau ausgeschlagenen Zelt steht aufrecht ein gewaltiges Schachbrett, auf das wir also direkt wie auf einen Berg blicken können, rechts und links davon die Spieler. Ihre weißen – dem Christen gehörend und schwarzen – die des Muselmanen – Schachfiguren zeigen, daß das Spiel schon weit fortgeschritten ist, aber für ewig nun festgehalten in der Bibliothek des Escorial in Spanien. Der Hof von Cordoba war es in erster Linie, wo sich das Wissen sammelte, wozu ein gut ausgebildetes Schulsystem gehörte und man glaubt es kaum, wie hoch der Alphabetisierungsgrad damals war, was jäh endete. Andere spanische Städte übernahmen die Rolle Cordobas, darunter immer stärker ab dem 12. Jahrhundert Toledo.
Aber schon zuvor hatten europäische und arabische Philosophen Zwiesprache gehalten und in Briefen und Traktaten sich gegenseitig um Welterklärungen gekümmert, wobei das griechische Fundament beiden Gruppen wesentlich war. Die Religionen spielen eine sehr unterschiedliche Rolle. Auf westlicher Seite waren es meist Klerikale, die den Dialog aufnahmen, aber nicht jedem ging es so wie dem Urvater der katalanischen Sprache, Ramon Llull, der in friedlicher Absicht in Nordafrika weilte, dem aber bei der Rückfahrt nach Mallorca eine Steinigung fast das Leben kostete, denn er war auch Christ und das hieß unter der Hand eben doch zu missionieren, auch wenn der Austausch des Wissens und der Gedanken sein höchstes Ziel blieb. Er gilt als Vater der europäischen Orientalistik, aber aufgefunden hatten wir ihn in unserem Rundgang nicht.
Florenz und Mittelitalien als Ort des Humanismus und der Renaissance ist nun so bekanntes Gebiet, daß wir uns kurz fassen können. Was Giotto um 1300 für die Malerei bedeutete, hat schon fast naturwissenschaftliche Dimensionen, denn er gab der bisher flächigen Malerei Substanz, gab ihr den Raum und gab den Menschen ihr Volumen. Das Raumgreifende ist es dann, das Architekten wie Brunelleschi überdachte Räume finden und konstruieren läßt und insbesondere das Genie Leonardo da Vinci verkörpert den neuen technologischen Geist, dessen technische Modelle die Welt verändern sollte: vom Fahren mit dem Rad, dem Auto, zum Fliegen mit Flugmaschinen, aber noch wichtiger die Wassersysteme und viele weiteren technologische und äußert pragmatisch gemeinten Erfindungen. Da war noch nicht die Praxis von der Theorie geschieden, sondern hier haben wir eine Hochzeit des menschlichen Geistes, der die Welt untertan machen will. Ob das auch funktionierte, ob die erfundenen und konstruierten Maschinen und Geräte des Genies auch hielten, was sie versprachen, interessiert uns hier nicht. Es ist besser so.
Paris schließlich steht für die Aufklärung, die Intellektuellen, die Entdecker der Neuzeit und ganzer Erdteile, was mit den Pariser Salons umfaßt sein soll. Denn diese sind nicht nur wie später literarische Damensalons, sondern den Wissenschaften und dem Disput verpflichtet. Hierhin gehören all diese Erfindungen, vom Gefäßbarometer, dem Raumthermometer, daß nach Réaumur und Fahrenheit gelesen werden konnte, die Zahnwinden, dem Flaschenzug des Georg Christoph Lichtenberg, der vormachte, daß zu einem richtigen Philosophen und Moralisten die angewandte Praxis gehört. Vor allem aber steht Paris für die elektrischen Versuche mit und ohne Menschen. Und hierhin stecken wir auch, was vor allem nach Prag und in viele Städte gehört, das Wissen um das Okkulte, auch das Wissen um die Alchemie. Dazu sind in Oldenburg so viele und so ausgewählt schöne Exemplare zu sehen, daß man sich wirklich die Anwendung vor Ort wünscht, – nein, Gold erwarten wir nicht!! – wo es brodeln und zündeln, dampfen und vielleicht auch explodieren sollte. Dann sind die Apotheker nicht weit, die mit ihren Mittelchen heilen, was die Naturwissenschaften, oder doch richtiger, die falsche Anwendung, kaputt gemacht hatte.
Allein die Geschichte der Pharmazie ist so eine, die man als Extra-Buch nach Hause nehmen möchte. Diese Ausstellung reißt soviel an, wovon man sich vornimmt, das alles in Ruhe weiterzuverfolgen. Wann auch immer. Und vielleicht ist es gerade das, weswegen man solche Ausstellungen besuchen soll, weil sie einem eine Ahnung geben und den Schwung gleich mitliefern, warum es sich lohnt zu ergründen, warum unsere Welt so geworden ist, wie sie ist, und was zu tun ist, damit sie bestehen bleibt und gute Nachbarschaft als Modell aus der Vergangenheit auch heute Zukunft hat.
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Ausstellung: bis 24. Januar 2010
Katalog: Ex oriente lux? Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft, Begleitband zur Sonderausstellung „Ex oriente lux“ im Augusteum Oldenburg, hrsg. von Mamoun Fansa, Verlag Philipp von Zabern 2009
Ein Ziegelstein. Ein wahres Schwergewicht. Aber das Papier braucht es auch, um die vielen Exponate darzustellen, ihre Wirkungsweise zu erklären, und darüber hinaus ganze Wissenschaftsgeschichten der Einzeldisziplinen im Überblick zu bieten. Dennoch sind die einleitenden Essays das Eigentliche, weshalb man diesen Katalog auch denen, die nicht nach Oldenburg kommen können – es werden viel zu viele sein – dringend empfehlen kann. Ein Buch fürs Leben, denn man kann immer wieder darin blättern und sich auf den Weg durch die Zeitreise der Wissenschaften machen. Und wer wirklich nicht kommen konnte, der hat in „Räume der Wissenschaften“ und „Themen der Wissenschaften“ detaillierte Abbildungen und Beschreibungen der ausgestellten Gegenstände, die wirklich sehr gelungen sind, und dem Museumsbesucher, der eh nicht alles auf einmal erfassen kann, das Gefühl geben, zu Hause noch einmal in Ruhe sich vertiefen zu können. Und auf der Seite 277 sieht man die bronzene Isis Lactans, aus der Spätzeit der 26. Dynastie Ägyptens, 664-525 v. Chr., bei der man mit einem Blick feststellt, wie viele Anregungen und Vorbilder ein Max Ernst für seine Skulpturen gewann.
Internet: www.NaturundMensch.de