Berlin, Deutschland (Weltexpress). Das Dilemma des Gescheiterten kam in einem einzigen Satz seiner Rücktrittserklärung zum Vorschein. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht geldgierig bin“, verlas Reinhard Grindel u.a. am Dienstagmittag vor laufenden TV-Kameras. Das klingt nach Grindelwald und Gaukelei im Film mit fantastischen Tierwesen. Wenn der 57-Jährige ehrlich mit sich selbst und ehrlicher zu seinem Verhalten als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gewesen wäre, dann wäre ihm dieses Selbstzeugnis nie über die Lippen gegangen.
Und Grindel, der Ex-Fernsehjournalist und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, dürfte wohl seine bislang dreijährige Amtszeit als Chef einer gemeinnützigen Institution fortführen, die mit sieben Millionen Mitgliedern größer als jedwede Partei oder jedweder Verband hierzulande ist. Gern wird in diesem Zusammenhang auch vom „größten Sportverband der Welt“ geschrieben.
Grindels Äußerung gleicht einem fatalen Selbstbetrug und ist ein misslungener Täuschungsversuch der Öffentlichkeit. Das darf man gerne auch Gaukelei nennen. Dabei hatte er noch bei seinem Amtsantritt aus der Position des DFB-Schatzmeisters und des Compliance-Beauftragten im Präsidium vollmundig Bescheidenheit, Transparenz und Rechtschaffenheit angekündigt: „Wir brauchen Fairplay und wir brauchen Integrität. Der neue DFB wird eine gute Zukunft haben, wenn es uns gelingt, alles zu vereinen: die sportlichen Erfolge, das äußere Erscheinungsbild, aber eben auch die inneren Werte.“
Das hörten Fußballvolk und Öffentlichkeit nach Grindels Wahl 2016 ins Amt nur allzu gerne wie „Hexen und Zauberer“ Grindelwald, nachdem zuvor die Präsidenten-Vorgänger Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger über dubiose Finanzflüsse der offensichtlich gekauften WM-Bewerbung 2006 gestolpert waren. Dabei soll es schon bei Grindels Vergütung nicht ganz ehrlich zugegangen sein. Grindel hatte mit dem DFB ein jährliches Salär für das eigentliche Ehrenamt von ca. 170.000 Euro ausgehandelt. Gesplittet auf eine Aufwandsentschädigung von monatlich 7.200 Euro sowie einem Verdienstausfall etwa in gleicher Höhe. Beides hätte angeblich laut Satzung verrechnet werden müssen, was wohl nicht passiert ist. Aber keinen in seinem Umfeld, in dem DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff oder DFB-Bundestrainer Joachim Löw sowie Topmanager und Trainer der Bundesligisten per anno Millionengehälter kassieren, interessierte das wirklich. Das alles und noch viel mehr ist keine Zauberei, das ist Bereicherung.
Der angebliche Ehrenamtler Grindel kam dank des Aufrückens als DFB-Präsident in die Leitungsgremien des Europäischen- bzw. Weltverbandes UEFA bzw. FIFA laut mehrere Medien zusammen mit den 170.000 auf das Jahreseinkommen von ca. 670.000 Euro.
Dass Grindel nach der kürzesten Amtszeit eines DFB-Präsidenten seit mehr als 100 Jahren demissionieren musste, hat indes wenig mit finanzieller Raffgier oder der Annahme eines Luxusuhren-Geschenks zu tun. Es war eine Vielzahl von Fettnäpfchen, in die der Bundestags-Hinterbänkler (immerhin saß er von 2002 bis 2016 mehr oder weniger im Deutschen Bundestag) tappste, und die immer wieder Beweise für seine Überforderung lieferten: Da war die Tatsache, dass er obwohl von den Landesverbänden des Amateurfußballs gegen die Ablehnung durch die Profi-Liga DFL ins Amt befördert, im Geschacher um Geldflüsse zwischen diesen beiden Lagern, die finanzielle Besserstellung zugunsten der DFL (Jahresumsatz 4,4 Milliarden Euro) nicht verhinderte. Oder sein populistisches Lavieren in der Affäre um die Erdogan-Fotos mit Nationalspieler Mesut Özil oder jüngst bei der überraschenden Verbannung der Bayern-Stars Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller aus der Nationalmannschaft. Mal fand er Löws Tun genau richtig, dann wieder nicht.
Nicht nachvollziehbar war die unmotivierte Vertragsverlängerung von Löw vor dem WM-Debakel im Vorjahr in Russland. Gut denkbar, dass Grindel so vorauseilende Handlungs-Tatkraft demonstrieren wollte, aber dabei von Löw/Bierhoff im Vertragspoker nur über den Tisch gezogen wurde.
Als peinlich und unprofessionell mutete dann der per Video verbreitete Interview-Abbruch Grindels mit der Deutschen Welle an, weil ihm Fragen missfielen.
Seine oft widersprüchlichen Statements veranlassten den früheren DFB-Pressesprecher Harald Stenger zu dem Bonmot, Reinhard Grindel sei der Donald Trump des deutschen Fußballs!
Dass Grindel in der Frankfurter DFB-Zentrale kaum mehr Verbündete hatte, erwies sich dann, als dem Spiegel die Info über Grindels bisher verschwiegene Nebeneinkünfte in Höhe von 78 000 Euro zugespielt wurde. Die hatte jener als Aufsichtsratschef einer DFB-Tochtergesellschaft von 2016 bis 2017 mal so nebenbei eingesteckt. Gegenleistung: Maximal zwei bis drei Sitzungstermine.
Also doch kein rechtschaffener Aufräumer mit ehemals Selbstbedienungs-Mentalitäten aus der Ära Zwanziger/Niersbach. Seinerzeit hatte Grindel als Schatzmeister auch mal eine Präsidiumstagung anläßlich der WM 2014 in Brasilien mit Unkosten von 370 000 Euro abgesegnet.
Als zum Wochenende die Umstände einer geschenkten, nicht angezeigten oder zurück gegebenen Luxusuhr – Wert ca. 6000 Uhr, überreicht zu Grindels Geburtstag vor anderthalb Jahren durch einen ukrainischen Fußball-Oligarchen – ruchbar wurden, war klar, dass Grindels letztes Stündlein als DFB-Oberboss geschlagen hatte. Beim Zutritt zur Oscar-ähnlichen Eröffnung der Hall of Fame, der Ruhmeshalle des deutschen Fußballs, kam der Chef nicht wie Franz Beckenbauer oder Günter Netzer über den Roten Teppich, sondern durch einen Nebeneingang. Grindel durfte noch eine kurze Rede halten. Tags darauf folgte dann die Rücktrittserklärung.
Darin kaprizierte er sich vor allem auf die Uhren-Affäre. Er habe das als Geschenk an die Privatperson betrachtet und den Wert gar nicht gewusst, verkündete er allen Ernstes. Und: Er sei fassungslos und erschüttert über diesen Fehler!
Kann ein Fußball-Funktionär, zumal nach Uhrenskandalen von Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge bis zu Brasiliens WM-Geschenken 2014, sich so naiv und weltfremd geben?
Ganz offensichtlich ist so ein Realitätsverlust tatsächlich möglich, aber dann hat sich derjenige die herausgehobene Position eines DFB-Präsidenten disqualifiziert.
Die Ethik-Kommission des DFB wird sich mit dem Uhren-Fall beschäftigen. Darin dürften auch die zuständigen Ressorts bei UEFA und FIFA tätig werden. Zumal Grindel da ebenfalls, als Compliance-Beauftragter dafür verantwortlich sein sollte, dass alles getreu den Regeln, gesetzlichen und ethischen Normen abläuft.
Unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit muss Grindel nun damit rechnen, auch die internationalen Funktionen und so seine Haupterwerbsquelle einzubüßen. Immerhin hat ihm das ZDF Tröstliches mitgeteilt: Er habe aufgrund des Bundestagsmandats Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung. Keine Frage: Die Mainzelmännchen verstehen was von Gaukelei, oder?
Derweil ergehen sich die Medien in obskuren Vorschlägen zu Nachfolge-Kandidaten. Allerdings hat Reinhard Rauball, honoriger Präsident der Profiliga DFL und mit über 70 leider über der Altersgrenze als DFB-Gesamtchef, angemahnt, mit dem personellen Neuanfang müssten strukturelle Reformen einhergehen.
Zugleich der Präsident der Spitzenfußballer zu sein und sich bei Gegebenheit im Glanz der Nationalmannschaft zu sonnen und auf der anderen Seite bei den Amateuren in der Kreisliga präsent zu sein, den Spagat bei den oft gegensätzlichen Interessen der beiden Lager zu praktizieren – das ist ein Unterfangen, das nicht nur einen Gernegroß wie Grindel überfordert.