Mathematiker, Maurer, Stadtplaner, Zeichner, Baumeister, Ingenieur und Architekt – Serie: Besuch bei Andrea Palladio in Vicenza (Teil 1/2)

Die Basilika Palladiana

Wir aber müssen uns jetzt eng auf Palladio beziehen, denn dieses rastlose Allroundtalent hat allein in Vicenza so viel gebaut, daß wir uns beschränken müssen. Die UNESCO hat Vicenza als Stadt des Palladio gehrt und 23 Monumente im historischen Stadtkern in das Weltkulturerbe aufgenommen und sechzehn seiner Villen in der Provinz. Geboren wurde er als Andrea di Pietro della Gondola 1508 in Padua und starb 1580 in Vicenza als Palladio. Diesen Namen verpaßte ihm sein Förderer Trissino, ein Dichter und Philosoph und so wohlhabend, daß er – als er die Talente des Andrea bemerkte – diesen auf die Mathematik und die Musik brachte, vor allem aber auf die Werke des Vitruv verwies, des römischen Architektururvaters, die damals innerhalb der Renaissance als Kanon galten. Mit der Benennung ’Palladio’ ließ Trissino die griechische Göttin der Weisheit, die Pallas Athene anklingen. Der Mäzen finanzierte Palladio die Reise nach Rom reisen, um dort die antiken Bauwerke an Ort und Stelle erleben zu können und auch die durch die Renaissancearchitekten erbauten Kirchen und Paläste zu studieren. Denn fürderhin stand Palladio dann als Architekt für die Symbiose, zumindest ein Amalgam der antiken und der gerade geschaffenen Baukunst seiner Zeit, was zum Palladianismus wurde, dessen Auswirkungen wir auf der ganzen Welt sehen können, verstärkt im angelsächsischem Sprachraum. wie etwa am Weißen Haus in Washington.

Palladio brachte aus Rom so viele Zeichnungen mit, daß er 1554 zwei Bücher über die antike und christliche Architektur veröffentlichte. Die Beschäftigung mit Vitruv, – dem Architekten und Ingenieur, der im 1. Jahrhundert vor Chr. lebte und unter Julius Cäsar und Kaiser Augustus diente, aber zu seinen Lebezeiten unbekannt blieb,- verdankt Palladio nicht nur seine grundsätzlichen Einsichten zur Säulenordnung oder Erkenntnisse für den Bau von Privathäusern, sondern auch die professionelle Berufsauffassung, die im Begriff ’Baumeister’ den sinnfälligsten Ausdruck findet, denn Vitruv war es, der von den zwei Komponenten sprach: ’fabrica’ , also Handwerk sei die eine Grundlage des Berufs, ’ratiocinatio’ die andere, also geistige Arbeit. Hinzu kommt die gleichwertige Auffassung vom Architekten als dem auch unter Schönheitsgesichtspunkten schaffenden Entwerfer und dem Ingenieur, der nicht nur in Fragen der Statik wichtig ist, sondern mit dazu beiträgt, die Erde sich untertan zu machen durch Beherrschung des Wassersystems, der Energie in Form von Maschinen und des Raums und der Zeit durch Chronometer und Astronomie.

Palladio gab 1570 “Quattro libri dell’architettura“ heraus mit eigenen Entwürfen und antiken Beispielen, von ihm selbst illustriert. Diese sind wie auch die zehn Werke von Vitruv jüngst im Marixverlag erschienen – dazu unten mehr – und waren die Bibel für die Architekten der Frühen Neuzeit bis hin zur Revolutionsarchtitektur. Warum Palladio diesen Einfluß gewann, läßt sich der Einleitung unter dem Punkt "Das theoretische Fundament der Vier Bücher", S. 15 entnehmen: "Wie Palladio bei einer solchen Rekonstruktion vorgeht, beschreibt er im vierten Buch, Kapitel XXXI (dem letzten des Traktats), zum Tempel des Neptun: ’Von diesem Tempel steht nichts mehr, aber es war möglich, sich aus den zahlreichen Überresten eine Vorstellung vom Ganzen zu machen, das heißt von Grund- und Aufriss und von den einzelnen Baugliedern, die alle mit bewundernswerter Kunstfertigkeit gearbeitet sind. Ich habe davon fünf Tafeln gemacht.’4 Solch rekonstruierende Lektüre eines Verlorenen geschieht auf eigene Weise: Das Verfahren ist vergleichbar der Rekonstruktion eines Textes aus den Resten einer eigentlich zerstörten Schrift, wobei man das Fehlende aus dem Erhaltenen ebenso rekonstruiert, wie er das tut. Bei einer nur in Bruchstücken des Schriftträgers erhaltenen Schrift ist gewöhnlich die topographische Anordnung ein wesentlicher Faktor für die Rekonstruktion. Palladio befindet sich vergleichsweise vor der Rekonstruktion einer in viele Scherben verteilten Platte oder eines Gefäßes aus zerbrechlichem Material. In diesem Sinne übt er das Handwerk eines Archäologen.

Auf eben diesen Akt der Rekonstruktion wendet er in eigener Weise das theoretische Lehrstück spezifisch des Vitruv an: Das Unterfangen, aus dem erhaltenen Teil auf das verlorene Ganze zu schließen, setzt in Analogie zur Sprache die Kenntnis von Vokabular, Grammatik und Syntax voraus, und die hat Palladio aus Werkstatt und Literatur. Das Vokabular sind die Glieder des Bauwerks, die Syntax ist das, was Vitruv die symmetria (Alberti die concinnitas) nennt und darunter die proportionale Syntax der Wohlgestalt, die eurythmia als eines sinnenfällig Ganzen aus Teilen versteht."

Seit 1540 hatte Palladio auch in Vicenza als Baumeister zu arbeiten begonnen und ausgerechnet gleich den ersten Wettbewerb gegen seine Vorbilder Sansovino, Giulio Romano, Serlio und Sanmicheli 1549 gewonnen, der um die Umgestaltung des Rathauses der Stadt, den mittelalterlichen Palazzo della Ragione ging. Er machte aus dem Bau eine weltliche ’Basilika’, wie das neue Rathaus bis heute heißt, in dem er konsequent das „Palladio-Motiv“ anwandte. Die Grundform wurde ursprünglich von Serlio entwickelt, nennt sich Serliana und wurde von Palladio in der Säulenstellung der Arkaden verdoppelt, so daß ein Tonnengewölbe entsteht, über dessen Zwickel er Rundfenster anbrachte, die dem Bau das charakteristische Aussehen geben, das nun überall auf der Welt von Palladio kündet. Aus der geschlossenen Wand wurde derart eine Raumtiefe konstruiert, in die zudem Licht und Schatten den glatten Stein zum Leben brachten.

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Um alles Wissenswerte und Sehenswerte von und über Palladio zu erforschen, wäre ein mehrmonatiger Aufenthalt im Veneto angebracht. So lange dies nicht möglich ist, kann man zu Hause an Ort und Stelle seine Werke in Wort und Schrift studieren. Der Verlag Taschen Verlag hatte einen Band über die Villen, ja sogar alle Bauwerke Palladios herausgebracht, der gerade vergriffen ist und liefert derzeit einen „kleinen Palladio“. Der Verlag Marix hat tatsächlich die theoretischen Grundlagen sowohl des vierbändigen Werkes zur Architektur von Palladio wie auch die zehn Schriften des Vitruv herausgegeben, letztere sind ebenfalls vergriffen – was ja für großes Kaufinteresse spricht – und werden im Herbst 2009 erneut und zwar zweisprachig auf Latein und Deutsch mit allen Originaltafeln erscheinen.

Die 1570 herausgekommenen vier Bücher des Palladio im Marix Verlag, die von Hans-Karl Lücke herausgegeben und eingeleitet werden, stechen durch die großformatige Holzschnitte ins Auge, die je nachdem Grundriß, Aufriß oder Schnitte durch Achsen und Gebäudeteile aufzeigen, die jeweils durch sinnvolle Beschriftung den Text visualisieren. Diese vier Bücher haben zudem eine innere Systematik, die die in unserem Text angeführte Wertigkeit des Baumeisters Palladio aufzeigen. Im ersten Band geht es ihm um die Grundlagen der Baukunst, alles das, was mit dem Material und den aus ihm konstruierbaren Mauern möglich ist, wozu die Säulenordnungen gehören. Seine Stadthäuser, sowohl Palazzi wie auch Villen, und ebenso seine Landhäuser in Entwurf und Umsetzung füllen den zweiten Band, in dem er auch antike Bauten rekonstruiert, so wie er es aus den schriftlichen Quellen vermag. Was heutzutage viele Berufe ausmacht, vereinigte Palladio in sich. Denn er war auch Stadtplaner und diesen Aufgaben geht er im dritten Band nach, der die Funktionen und Gegebenheiten von öffentlichen Gebäuden thematisiert, sowohl zeitgenössische wie auch die antiken. Der letzte Band widmet sich den antiken Tempeln, die eine Quelle stetigen Lernens waren und deren Reste er auf verschiedene Weise zu Rekonstruktionen verhalf; hier haben auch die frühchristlichen Zentralbauten ihren Platz und auch der Tempietto von Bramante.

Literatur:

Verlag Taschen "Palladio- Sämtliche Bauwerke", ist momentan nicht lieferbar, nur der Band aus der kleinen Reihe von Architekten "Palladio. Die Regeln der Harmonie." von Manfred Wundram ist verfügbar.

Guido Beltramini, Palladio. Lebensspuren, Verlag Klaus Wagenbach 2009

Verlag Marix: Andrea Palladio. Die Vier Bücher zur Architektur,im Originalformat mit sämtlichen Tafeln, 456 Seiten, 50 ganzseitige Abbildungen in Schwarz-Weiß, zweisprachige Sonderausgabe Italienisch-Deutsch, 2008

Verlag Marix: Vitruv, Zehn Bücher, derzeit vergriffen, in neuer zweisprachiger Ausgabe im Herbst 2009, s.o.

Giorgio Vasari, Das Leben des Sansovino und des Sanmichele mit Ammannati, Palladio und Veronese,, herausgegeben von Allessandro Nova, Verlag Klaus Wagenbach, 2007

Internet:

www.poligrappa.com

www.museobassano.it

www.vicenzafiera.it

www.gitando.it

www.vicenzae.org

Mit freundlicher Unterstützung von ENIT, der italienischen Zentrale für Tourismus in Frankfurt am Main, der Tourismusorganisation in Vicenza, der Lufthansa und dem Hotel Da Porto in Vicenza.

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