Der erste Eindruck täuscht. „Die Türkei ist an dieser Stelle ein paar Seemeilen weit weg“, berichtet David Triboulot, ein Exilfranzosen aus Lothringen, der seit vielen Jahren auf Lesbos lebt, gut Griechisch und mit uns vor allem Englisch spricht, und uns für ein paar Tage als Fahrer auf der drittgrößten Insel Griechenlands, die achtgrößte im Mittelmeer, begleitet.
Beim Rübermachen nach Europa sei Rüberschwimmen nicht das geeignete Mittel, erklärt Tiboulot, weil die starken Strömungen vor der Küste Kleinasiens selbst erfahrenden wie ausdauernden Schwimmern böse Streiche spiele. Leichen auf Lesbos bestätigen seine These.
Die griechische Polizei greift seit geraumer Zeit täglich Hunderte Flüchtlinge auf. Aufgreifen ist das falsche Wort. Die Flüchtlinge, die für 1.000 Dollar pro Person in der Nacht von der türksiche Küste rüber nach Lesbos und andere nahe an der Türkei liegende Inseln machen, begeben sich freiwillig in die Hände der Ordnungshüter. Allein auf Lesbos landen täglich Hunderte Menschen an. Mit kleinen und schnellen Booten werden sie die fünf, sechs Seemeilen gefahren, danach müssen sich sich unter der sengenden Sonne des Südens zu Fuß auf den Weg nach Mytilini machen. Zur Polizie wollen alle, die wir befragen, um an Papiere zu kommen. Und dann wollen sie weiter, fast alle nach Deutschland.
Wenn wir Insulaner fragen, dann ist die Rede von ein paar Tausend Flüchtlingen in den letzten Tagen und Wochen. Blicke in lokalen Zeitungen offenbaren Berichte, die – stimmen die Übersetzungen – eine dramatische Lage schildern. Es mangelt den Griechen auf den Inseln der Peripherie nicht nur an Penunzen, genug Hilfsgelder, die für andere Peanuts wären, sondern auch an Unterkünften. Viele Flüchtlinge schlafen schlicht auf der Straße, in Hauseingängen, am Strand, in Parks, auf Spielplätzen, wie wir selber Tag für Tag sehen. Wer nicht ruht und rastet, der reist weiter auf seiner Flucht.
Hunderte Flüchtlinge erreichen dieser Tage auch die Inseln Samos, Inousses, Chios und Kos. Kos liegt nur vier Kilometer von der Küste Kleinasiens und also einen Katzensprung entfernt. Fast sämtliche Inseln der Peripherie seien betroffen, so Kenner der Katastrophe, die sich vor unseren Augen abspielt.
Szenen werden beschrieben, in denen Eltern ihre Kinder in „organisierte“ Plastikmülltonnen mit Rädern drunter zu stecken, um sie von der Küste zur nächstgelegenen Sammelstelle zu rollen. Was den Kleinen als Fahrspaß nach einem nächtlichen Bootsausflug verkauft wird, ist kein Fahrvergnügen.
Die Lage auf Lesbos ist und bleibt aussichtslos. Die Beamten der Behörden, denen bei einem Blick in die Kassen und hinter die Kulissen offensichtlich selbst das Wasser bis zum Hals steht, scheinen mit der Lage völlig überfordert zu sein.
Nebenbei bemerkt ist der Anblick für völlig freiwillig auf die Insel reisende Urlauber kein schöner. Die Hauptsaison steht unmittelbar vor der Tür und statt an der Küste auf Sonne, Sand und Meer zu treffen, treffen die Touristen auf Tausende von ausgehungerten, ausgemergelten Flüchtlingen, klagen auch Verantwortlichen für den Fremdenverkehr, mit denen wir sprechen.
Während die Touristen vor allem aus Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und Deutschland zu kommen scheinen, stammen die Flüchtlinge vor allem aus den aktuellen Kriegsgebieten in Afghanistan, Irak und Syrien. Doch auch aus dem Norden und Osten Afrikas, vor allem aus dem Krisen- und Kriegsgebiet Sudan, sehen und sprechen wir Flüchtlinge.
Wenn die wenigen Freiwilligen nicht wären, die sich um Trinken, Essen und Medikamente kümmern, wäre das Ausmaß der Katastrope an diesem Rand Europas noch größer. Freiwillige helfen, wann immer sie können. Und das ist gut so. WELTEXPRESS bleibt am Ball und berichtet.