Ob das die alten Männer in den Führungsetagen von Partei und Regierung jemals wahrnahmen, ist nicht so recht bekannt. Auf jeden Fall registrierten es die Knirpsträger der Stasi und die grüngewandeten Freunde der Volkspolizei, die ihre Ohren und Augen etwas näher am Volke hatten.
„Durch rowdyhaften Fußballanhang kommt es vor, während oder nach Fußballspielen in letzter Zeit in stärkerem Maße zu Handlungen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit stören bzw. Straftaten der allgemeinen Kriminalität darstellen“, hieß es 1982 in einem Dokument der Abteilung XX/2 des MfS. Erst spät merkten Partei, Polizei und die Stasi, dass da etwas nicht stimmte mit der DDR-Jugend. Harald Wittstock, Jurist beim Ministerium für Staatssicherheit, bekam den Auftrag, die Fans zu beobachten. „Der Schwerpunkt unserer Abteilung lag beim Anhang des 1. FC Union, der wurde seit Anfang der 80er Jahre intensiv bearbeitet. Beim BFC war die Bearbeitung eher stiefmütterlich, es waren ja auch viele Kinder von Mitarbeitern im Anhang“, erzählt Wittstock. Aber gerade die BFC-er fielen immer stärker durch Gewalt und mit politischen Provokationen auf. Das war besonders peinlich, weil auf der Ehrentribüne im Jahnstadion stets Minister Mielke und nicht selten Berlins Parteiführung thronten.
Rund um den Fußball wurde besonders deutlich, das selbst in dem überschaubaren Land zwischen Elbe und Oder es nicht gelang, das Leben aller von der Wiege bis zur Bahre zu planen. Die Jugendlichen besetzten deshalb den halbwegs freien Raum um den Fußball und organisierten ihre eigenen Dinger. Politik spielte kaum eine Rolle. Rechte und nationalistische Parolen oder Symbole wurden vor allem genutzt, weil die Jugendlichen wussten, dass sie damit am wirksamsten provozieren konnten.
Im Buch „Stadionpartisanen nachgeladen“, herausgegeben von Frank Willmann, berichten Zeitzeugen über die Szene rund um die Fußballplätze der DDR. Das Buch ist mehr als nur eine Neuauflage der „Stadionpartisanen“ aus dem Jahr 2007. Gut zwei Dutzend Fußball-Verrückte aus Berlin, Leipzig, Dresden, Magdeburg, Halle, Jena und Rostock kommen zu Wort. Auch Journalisten, Soziologen, Sicherheitsleute und Funktionäre erinnern sich. Dadurch wird aus dieser speziellen Sicht ein Bild von der DDR gezeichnet.
Es gelingt auch ein Blick über den Tellerrand der engen Republik hinaus. Auf Reisen zu Auswärtsspielen ins sozialistische Freundesland kam es zu manch merkwürdigen Begegnungen. Auswärtsfahrten in fremde Länder unterschieden sich von denen im Inland oft nur in der Höhe des Bier-Konsums. Die Reisezeit war eben ausgedehnter. Der Sensibilität für fremde Gebräuche diente dies kaum. Der Gummiknüppel in Bruderhand saß manchmal ziemlich locker. Und ein paar Hansa-Fans fanden sogar Nachtasyl in einer tschechischen Psychiatrie. Sehr witzig erzählt auch ein Dresdner Fan über seine Erlebnisse auf Fahrten nach Moskau und Bukarest.
Saufen und Kloppen gehörte augenscheinlich zum normalen Ritual, wenn es in fremdes Territorium ging. Eisenbahnfahrten innerhalb der DDR wurden nicht bezahlt, Kneipen auseinandergenommen, Kaufhallen gestürmt. Und wenn sich zwei verfeindete Mobs begegneten, kam die Volkspolizei oft zu spät. Der Staat reagierte mit Knast, Unterwanderung und Zersetzung der Fangruppen. Organisierte Arbeit mit den Fans gab es nur rudimentär. Einige Klubs versuchten das über die FDJ zu organisieren, aber mit denen wollten die meisten Fans nichts zu tun haben.
Wer mehr über die Stadionpartisanen in der DDR erfahren möchte kommt mit diesem Buch auf seine Kosten. Rund 400 Fotos, gedruckt auf gutem Papier sprechen ohne Worte. Trotzdem hätte ich mir mehr Sorgfalt bei ihrer qualitativen Bearbeitung gewünscht. Ebenfalls sehr schade, dass auf Bildunterschriften verzichtet wurde. Selbst, wenn oft nicht ermittelt werden kann, welche Situation abgebildet ist, hätte man mit Bildtexten Zusatzinformationen vermitteln können.
Das sollte bei einer Neuauflage, die dieses Buch gewiss erfahren wird, berücksichtigt werden. Aber auf jeden Fall sind die 27,90 Euro für die 1,6 Kilo Buch mit 464 Seiten gut angelegt.