Da Charms Typ Schwerenöter war und sie eher das duldsame, Klavier spielende Mauerblümchen, kann man sich ungefähr vorstellen, wie die Sache ablief: „ Fünf oder sechs Affären reichten schon aus, daß ich von ihm abzurücken begann“.
Charms nannte sie in unzähligen Gedichten liebevoll „mein treues Pümmelpfötchen“, er wird sie schon irgendwie geliebt haben, meint Durnowo. Gepümmelt wurde auch, sie oft es ging. Da man in einem flurartigem Zimmer lebte, nur durch ein Tuch vom Rest der Sippe getrennt, gab es allerdings selten etwas wie wirkliche Intimität. Es war eine Hungerkünstlerei, wobei der tobende Weltkrieg seltsamerweise keine Beachtung findet. Das Erinnerungsvermögen der guten Dame ist leider sehr begrenzt, viel bleibt im Dunkel, sie flüchtet sich in Floskeln, kein Satz ist rund, keine Geschichte wird zu Ende erzählt. Aus diversen, teils diffusen Fetzen der Vergangenheit versuchte Glozer etwas wie eine Biografie zu machen. Letztlich ist es nicht mehr als ein vorsichtig geführtes, aufgeblasenes Interview.
Eine eher dünne Kladde, nur die Hälfte der 151 Seiten beschäftigen sich mit Charms, der Rest betrifft ihre weitere, eher traurige Lebensgeschichte, in der Charms keine Rolle spielte, da tot.
Für Charmsfans führt trotzdem kein Weg an dem Buch vorbei, da sie sich, wie ich, hungrig auf jeden Fetzen stürzen, der ihnen den Meister menschlich macht.
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Marina Durnowo: Mein Leben mit Daniil Charms: Aus Gesprächen zusammengestellt von Vladimir Glozer, 151 Seiten, Galiani Verlag, Berlin 2010, 16,95 Euro