Wie es dazu kam, daß mitten in der Ausstellung ein Liederabend stattfand, hatte zuvor Katharina Dohm, Projektleiterin, dem zahlreich erschienenen Publikum erklärt, das übrigens im Hauptraum sternförmig zur Bühne hin saß – unter, neben, vor und hinter den Bildern von Gustave Courbet an den Wänden. Wieso diese Verbindung Courbet und die Musik auf der Hand läge, könne man einerseits seinen Werken entnehmen, allein in diesem Raum verschiedene Gemälde von Musikern und Komponisten, andererseits habe das einfach in einer bürgerlichen Familie wie der von Courbet dazu gehört, das Klavierspielen zu erlernen, Hausmusik zu machen, miteinander zusammenzukommen, dies sei ein Erbe dieser Region, die Volksmusik und Volkslieder, wie es auch der anwesende Katalogautor James H. Rubin in „Courbet, Wagner und das Volkslied“ ausgeführt habe. (Seite 52 ff)
Besonders gerne hätte der Maler gesungen und auch Texte für Lieder verfaßt. Eines davon war dann Teil des Programms, das mit „Vieille histoire“ von Gustave Nadaud (1820-1893) begann. Ein einfaches Volkslied, sehr melodisch mit einfachen Harmonien und im besten Sinne volkstümlich, erzählt es die Geschichte von einem Jungen, der seine Großmutter rühmt. Von Nadaud stammen auch die Lieder „Le Soldat de Marsala“ und „Chut“. Ersteres ist eine Hymne an den Frieden und Letzteres gehört zu den Melodien, die man zu kennen glaubt, die man selbst im Ohr hat. Das wurde von den beiden Vortragenden Musik dialogisch aufbereitete, wobei es nur die Geige war, die dem Klavier antwortete oder es befragte.
Es fiel auf, daß die Sängerin fast lieber zur Geige griff, als zu singen. Dabei war der Gesang genau in dem Rahmen der Lieder angesiedelt, einfache Volkslieder. Nichts also mit Chansons oder gar französischem Chanson. Das muß man wissen, um an der einfachen Vortragsart und dem Arrangement seinen Spaß zu haben. Natürlich hätte einen schon interessiert, welch anspruchsvollere und zeitgenössische Musik Courbet gepflegt hatte. Und sicher hat er Berlioz ja nicht nur gemalt, sondern seine Musik gehört, geliebt? Das war eine Fehlstelle am Abend, dem überhaupt gut getan hätte, hätte eine professionelle Moderation mehr über die Texte und die Komponisten mitgeteilt.
Aber uns hat es unter dem 174 x 200 cm messenden Gemälde „Die Mädchen an der Seine im Sommer“ von 1856/57 auch so gefallen und immer wieder richtet sich der Blick beim Zuhören auf die Bilder. Sicher war das beabsichtigt. Unsere beiden verträumt liegenden Schönen interpretiert Klaus Herding, der Kurator und beim Liederabend ebenfalls anwesend, im Katalog als Grisetten. „Es spricht einiges dafür, daß er in diesen weiblichen Bohemiens eine künstlerische, ihm selbst verwandte Komponente erblickte.“ Die eine schläft fast, die andere sinnt, Blumen im Arm, vor sich hin und flugs denkt man, eine Chaiselongue und ein Glas Wein jetzt beim Zuhören wäre auch nicht schlecht. Aber an Einschlafen dachten wir nie.
Ganz eigenartige Empfindungen vermittelte das zweite Lied „Le temps des Cerises“ von Jean Baptiste Clément (1836-1903). Da müssen wir doch einmal Wolf Biermann fragen, ob er bei diesem Lied Anleihen gemacht hat für seine Buckower Süßkirschenzeit. Auf jeden Fall kannten wir die Melodie und sangen sie innerlich mit, im Text geht es um Liebeskummer. Musikalischer und szenischer Höhepunkt dann das dritte (und vierzehnte) Lied: „Les Amis“ von Pierre Dupont (1821 -1870). Das wußten wir jetzt schon, daß Dupont ein wirklich guter Freund des Malers war. Hier geht es um die Freundschaft beiderseits des Rheins und zum flotten Rhythmus kamen zwei musikalischen Überraschungen hinzu.
Das eine waren zwei Bällchen, deren Schütteln wie eine Rassel einen Rhythmus erzeugten, das andere ergab das schon erwähnte Pfeifen, das solch einem Volkslied auch akustisch Referenz erwies. Die Sängerin empfand man hier als in ihrem Element und das Zusammenspiel von ihr und dem Pianisten als besonders geglückt. Das muß wohl schon bei den Proben so gewesen sein, denn eigentlich ist es ungewöhnlich, ein Lied zu wiederholen, außerhalb von Zugaben. Fortsetzung folgt.
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Infos
Ausstellung: Bis 30. Januar 2011
Katalog: Courbet. Ein Traum von der Moderne, hrsg. von Klaus Herding und Max Hollein, Verlag Hatje Cantz. Der speziellen Ansatz, unter dem Klaus Herding die Ausstellung kuratierte, bestimmt auch die Katalogbeiträge, die vom „anderen“ Courbet sprechen (Herding) oder Courbet als Künstler, Träumer und Philosophen zeigen (Werner Hofmann). Ulrich Pfarr geht der Introspektion un mimischem Ausdruck bei Courbet nach und S. Le Men vertieft ihn als Maler von Albtraum und Schlaf. Nein, wir können nicht alle Beiträge aufzählen, finden geglückt, daß so kenntnisreich und vielfältig dieser lyrische Courbet aufbereitet wird, dessen Werke dann vollständig abgebildet mit je eigenen Bildbesprechungen versehen sind, was für jeden Leser, auch den, der nicht in die Ausstellung nach Frankfurt kommen konnte, sinnvoll ist.
Kunst zum Hören: Gustave Courbet, Gestaltung von KOMA AMOK, Audioguide und Begleitband zur Courbet-Ausstellung in der Kunsthalle Schirn Frankfurt, gesprochen von Hannelore Elsner und Victor Pavel. Wie immer gibt es beides, für Synästhetiker beispielsweise: das Bild im Begleitband, der Text dazu, dann aber die gesprochene Interpretation im Ohr durch die CD. Zu Hause kann man das auch laut hören, was uns besser gefällt, weil wir zu mehreren hörten und dann anschließend unsere teils sehr unterschiedlichen Eindrücke zu Bild und Interpretation austauschten. Das sind eigentlich – so dachten wir – auch ausgezeichnete Grundlagen für den Schulunterricht und auch für Proseminare in Kunstgeschichte.
Inhaltlich stellen die 25 farbigen Abbildungen laut Begleittext „diesen ’anderen` Courbet vor, der von der deutschen Romantik ausgehend die Vision eines poetischen Kunst der Moderne realisiert, wie sie dann bei Paul Cézanne und Pablo Picasso, aber auch im Symbolismus und Surrealismus weiterentwickelt wurde.“ Die Spielzeit der CD beträgt 57 Minuten.