Boudoir-Phantasien – Serie: Zum Jahresübergang die alten und neuen Bücher aus vielen Bereichen (Teil 11/20)

Das Boudoir war eigentlich nur ein kleiner intimer, nur für die Dame des Hauses verfügbarer Raum, in den sie sich zurückziehen konnte, zum Lesen, Schreiben oder sonstwas. Erst als im späten 18. Jahrhundert die Reichen und Mächtigen sich die Schönen in eigenen Häusern verfügbar hielten, wurde es üblich in diesen auch Boudoirs einzurichten, also jederzeit benutzbare Lagerstätten in schöner Umgebung, möglichst mit angrenzendem Luxusbad einzubauen. Hier war sie die Hausherrin, die Kokotte, die Kurtisane, die Mätresse, die Geliebte und auch die Zweitfrau, von denen es nicht wenige gab.

Isabella d’Amario hat gelesen, sie hat sehr viel gelesen und sie hat ausgewählt, was sie den Frauen in ihren Boudoirs als Lektüre empfehlen möchte, je nach Gelegenheit. So gibt es Italo Calvinos „Abenteuer im Zug“ gedacht „Für heimliche Zärtlichkeiten“, während die „Achträume“ von Henry Miller „Für prickelnde Phantasien“ sind. Gustav Flaubert steuert mit „November“ „betörende Augenblicke“ bei und so können tatsächlich viele Schriftsteller und Dichter, unter ihnen mit Anais Nin einige Frauen, für fast jede Gelegenheit vorher – dabei – oder nachher anregende oder abregende Wortkaskaden bieten.

Francesco Vaglitutti und Diego Verdegiglio haben noch eins drauf gelegt und „Das Buch von der Vagina“ verfaßt, das ebenfalls im Marix Verlag erschienen ist. Die beiden Italiener gehen ernsthaft daran, das, was „unter dem Feigenblatt“ verborgen ist, sichtbar zu machen, vor allem, ’dem Ding` einen Namen zu geben und dann geht es los! Einen Namen, ach was, unzählig die Varianten, die alle sinnlich und emotional zum Ausdruck bringen wollen, was so gut erzogen Vagina heißt: ’Lotusblüte, Zinnobertür, Höhe des weißen Tigers, purpurne Moosspitze, der Schlitz, die Wollüstige`”¦sind nur die ersten Bezeichnungen.

Nach dem ersten Stutzen, daß dieses Buch zwei Männer geschrieben haben, merkt man, das diese Distanz nicht schlecht ist, denn sie sprechen mit einer gewissen Verehrung von ihrem Erzählgegenstand, von dem sie immer als „Sie“ oder „Ihr“ berichten und die Leserin ist immer schlauer als die Autoren, denn sie weiß besser als diese, worum es geht. Denn es geht um was. Da gibt es einerseits Sachaufklärung, da gibt es andererseits absurde und komische Geschichten, wenn der Schlüssel verloren gegangen ist. Der Schlüssel? Ja, der zum Keuschheitsgürtel. Die beiden Autoren nutzen die Verwirrung ihrer Leser und verführen dazu, sich die Sitten und Gebräuche früherer Zeiten anzuschauen und dazuzulernen. Denn wußten Sie, daß es ausgerechnet Karl Martell war, der Bezwinger der Muslime 732 nach Chr., der einen solchen Schlüssel in der Schlacht verloren hatte?

Der Weg führt uns weiter. Denn wie kommt es zu den landläufigen Frauenmustern? Durch Erziehung. Durch Vorbild. Durch Anlage? Der alte Streit, was genetische Dispositionen sind, was angelernt. Aber Alice Miller will in „Evas Erwachen“ aus dem Suhrkamp Verlag etwas anderes. Sie vergleicht erst einmal grundsätzlich unser aller Kindheit mit den Folgen der Vertreibung aus dem Paradies, die ja zustandekam, weil Adam und Eva Ungehorsam gegenüber dem Gebot Gottes war, ihre Erkenntnismöglichkeiten auch zu nutzen, also vom Baum der Erkenntnis die Früchte in Form von Wissen und Befriedigung der Neugier zu pflücken. So gehe es auch im „Paradies der Kindheit zu“, wo Eltern bestrafen, auch durch körperliche Züchtigung, beim Erkenntnisdrang ihrer Kinder, wenn dieser ihnen nicht genehm ist. Für das Kind ist das willkürlich, nicht nachvollziehbar und ein tiefer Einbruch im Selbst.

Deshalb fragt Alice Miller weiter: „Was aber geschieht mit dem Zorn und Schmerz, die es unterdrücken muß, wenn es die psychische und physische Mißhandlung auch noch als Wohltat annehmen soll? Denn alles geschieht ja zum Wohl des Kindes. Damit ist ein Faß aufgemacht, das schmerzhaft zu leeren ist, denn die Autorin zeigt jedem von uns, wo in unseren Reaktionen im Alltagsleben noch heute das gedemütigte Kind aus uns spricht, wenn wir nicht fähig werden, uns mit diesen tief vergrabenen Anteilen in uns auseinanderzusetzen.

Na, Boudoir-Phantasien waren das ja nun nicht. Aber auch Alice Miller kann man darin wiederfinden, weil dieser dumme Spruch „Alles hängt mit allem zusammen“, leider wahr ist. Näher an den Boudoir-Phantasien bringt uns vordergründig nun „Spitzen und so weiter”¦Die Sammlungen Bertha Pappenheims im MAK“ aus Wien, vor sehr vielen Jahren eine Ausstellung stattfand, die man im Katalog weiterverfolgen kann. Wenn eine ansonsten Nackte nur die bestickten Strumpfbänder bekleiden, oder auch nur ein Spitzenschal um den Hals ist das das Gegenteil von der hochgeschlossenen Spitzenwelt um 1900, wo die Spitze bis zum Kinn angesagt war. Sieht man diese Bilder heute, denkt man, es habe damals nur Gouvernanten gegeben, in der Öffentlichkeit.

Wir wissen längst, auch durch die unglaublich unanständigen Fotografien im 19. Jahrhundert, wie die Phantasien der Männer aussahen, die hier Bild wurden. Spitzen gehörten dazu. Aber nicht darum fügen wir diesen Katalog hier an, der ernsthaft dem Wunderwerk der Verfertigung von Spitzen als Fileteinsätze aus dem 17. Jahrhundert, als Hauben und Taschentücher, als Spitzenborte und Fächerblatt, als Materie gewordene Phantasie gewidmet ist und uns in Bild und Text mit den geschichtlichen und handwerklichen Dimensionen der Spitzenverfertigung vertraut macht, sondern allein aus dem Grund, wem diese Spitzen gehört hatten.

Denn hinter „Sammlungen Bertha Pappenheim“ verbirgt sich die „Anna O.“ des Sigmund Freud, deren Fallgeschichte sicher zu den aufschlußreichsten weiblichen gehört, aber auch viel über ihren speziellen Therapeuten, Josef Breuer aussagt und auch über Sigmund Freud, der ihren Fall in den „Studien zur Hysterie“ 1895 herausgab. Schön daß im Katalog nun auch ihre Lebensgeschichte erläutert wird, die aufzeigt, daß Bertha P. seit 1888 in Frankfurt am Main lebte und dort eine soziale Funktion erfüllte, vor allem aber auch die jüdische Frauenbewegung aktivierte. In Neu-Isenburg bei Frankfurt hatte sie 1907 ein Heim für gefallene Mädchen und deren Kinder gegründet. Da sind wir nun am Ende am Gegenteil von Boudoir-Phantasien angelangt. Beides gehört aber zusammen.

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Isabella d’Amario, Boudoir-Phantasien, Marix Verlag 2010

Francesco Vaglitutti, Diego Verdegiglio, Das Buch von der Vagina, Marix Verlag 2004

Alice Miller, Evas Erwachen, Suhrkamp Verlag 2001

Spitzen und so weiter”¦Die Sammlungen Bertha Pappenheims im MAK; Schlebrügge:Editor 2007

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