Wir erfahren mancherlei, was zu diesem Tag führt, über den sich der gesamte Roman erstreckt. Hoba streut Informations-Tupfer wie Moosinseln auf den Waldboden. Stellt in knappen wie wunderbaren erzählerischen Passagen ihr Ensemble vor – und deren Vergangenheit. Aus jeweils wechselnder Perspektive verfolgen wir ein Stück Lebensweg und ein Stück des Tages. Es sind vier Frauen, die mürrische Bo, die zickig perfekte Helene, ihre verträumte Schwester Karen und die zerbrechliche Bildhauerin Ulrike. Alle vier leben in diesem Haus, im Wald. Warum haben die Frauen die gemeinsame Einsamkeit gewählt, warum leben keine Männer bei ihnen? Die Söhne Helenes, Anton und Robert, sind abhanden gekommen. Einer für immer, einer vielleicht nur vorübergehend. Wieso ist aus der ehrgeizigen kleinen Helene eine Frau ohne Gnade geworden, was lässt die anderen drei so sehr zweifeln? Wie lange darf Trauer dauern? Es sind konkrete und doch allgemeingültige Fragen, die von Christine Hoba gestellt und sehr feinfühlig in Szene gesetzt werden. Sie beantwortet keine Fragen, sie rührt an, wühlt auf. Einzelne Erzählstränge führen zurück zur Ausreise Helenes, die vor einem halben Leben mit dem Erstgeborenen nach Köln aufbrach, zurück zu Karens Auszug in die Erwachsenenwelt, Bos erster Liebe. Antons Schicksal. Hoba lässt sich Zeit, ohne abzuschweifen.
Während dieser eine Tag vergeht und einem katastrophalen Abendessen zusteuert, lernen wir jeden Winkel der „Tanne“ kennen – und jedes Wesen darin. Es gibt keine Sympathie -Trägerin und keine Hauptfigur. Alles fließt durch zartes gefiltertes Licht, verzaubert wie tiefe mitteldeutsche Wälder, verwunschen. Passend wählte der Verlag ein dämmriges Wald-Bild für das handliche, beinahe weiche Buch, das man nun gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Es soll nichts vorweggenommen werden, vielleicht zerbricht diese trügerische Gemeinschaft noch vor Anbruch des neuen Tages – versöhnlich kann nicht enden, was sich in Hass steigert, was nie aufgelöst wurde.
Ein großer Dank an die Autorin und diesjährige Stadtschreiberin von Halle für die besinnliche Erzählung und das extraordinäre Ende mit atemberaubendem Showdown!
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Christine Hoba, Die Waldgängerinnen, Roman, 270 S., Mitteldeutscher Verlag, Halle, 12,90 €