Sarrazin hat Hochkonjunktur – Thilo Sarrazin (SPD), ehemaliger Berliner Finanzsenator und jetziges Bundesbank-Vorstandsmitglied hat ein Buch geschrieben, das noch vor seinem Erscheinen Wellen der Empörung auslöst

“Pöbel-Thilo teilt wieder aus”¦”

Nicht nur „Pöbel-Thilo“, wie ihn die BILD-Zeitung in einem ihrer Artikel nennt, teilt aus sondern so mancher Autor sieht in einem Interview mit Sarrazin seine Stunde gekommen und pöbelt zurück: „Sie beleidigen mein Land“ sagt etwa Hatice Akyün und meint damit nicht etwa die Türkei, sondern Deutschland. Sie und andere sehen sich selbst als Beispiele gelungener Integration und somit als unwiderlegbaren Beweis gegen Sarrazins Behauptung. Gelungene Integration – also doch ein Ausnahmezustand? Aber warum scheint die Integration für Menschen aus der islamischen Kultur schwerer zu sein, als aus anderen Kulturkreisen? (Wobei ich mir nicht sicher bin, ob man beispielsweise bei den russischen Einwanderern in der Mehrheit von gelungener Integration sprechen kann”¦) Der türkische Ministerpräsident rief seine Landsleute vor nicht allzu langer Zeit dazu auf, sich zwar zu integrieren, aber auf keinen Fall zu assimilieren. So sollte man bedenken, dass vielleicht für manche dieser Menschen die Grenzen über die Integration bis zur Assimilation fließend zu sein scheinen, so dass sie sich möglicherweise bereits vor dem ersten Schritt fürchten.

Beklagt werden bei Sarrazin die vielen „Kopftuchmädchen“, eine unglücklich gewählte Formulierung und es sind bestimmt nicht diese Mädchen, die für den „Untergang Europas“ verantwortlich gemacht werden können. Tatsache jedoch ist, dass diese Kopftücher auch in der Türkei nicht gerne gesehen werden, wo sie sich dennoch täglich vermehren”¦

Wenn man so will, integrieren sich Kopftuch- (Türban)-tragende muslimische Frauen schon nicht in die Gesellschaft ihres eigenen Landes, der laizistischen Türkei, in der das Tragen religiöser Symbole in öffentlichen Einrichtungen nicht gestattet ist. Dennoch erhöht sich die Zahl der Kopftuch-Trägerinnen stetig. Das Tuch steht inzwischen auch nicht mehr unbedingt für die Unterdrückung der Frau, sondern symbolisiert ganz im Gegenteil ein neues Selbstbewusstsein der modernen Muselmanin. Irgendwie wurde diese Entwicklung in Deutschland offenbar noch nicht wahrgenommen. Das Kopftuch ist also inzwischen nicht als ein Zeichen von Rückständigkeit zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil, es repräsentiert die neu entstehende religiöse türkische Mittelschicht, die sich ihre Vorbilder und ihr Selbstbewusstsein bei den türkischen Regierenden wie Recep Erdogan oder Abdullah Gül holt, deren Ehefrauen ebenfalls „bedeckt“ sind.

„Europa schafft sich selbst ab“

Zur Unterstützung seiner düsteren Vorhersage hat Sarrazin sich offensichtlich Hilfe beim Altmeister der transatlantischen Politologie, Walter Laqueurs, geholt. Der nämlich beschreibt in seinem Buch „Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht“ die demografischen Realitäten und malt ein düsteres Bild für die Zukunft Europas. Selbst Kritiker Laqueurs` bezweifeln nicht die weit reichenden politischen und sozialen Folgen des demografischen Wandels in Europa, der mit einem Migrationsdruck beantwortet werden wird, der wiederum mit wachsender Fremdenfeindlichkeit verbunden sein wird. Hier liegt die große Herausforderung an die Politik.

Wir haben es hier bei Sarrazin nicht etwa mit einem geistig Verwirrten oder Rechtsextrimisten zu tun sondern eher mit jemandem, der die Aufmerksamkeit, die man ihm in diesen Tagen zuteil werden lässt, offensichtlich genießt. Ich hätte mir gewünscht, dass ein Sympathieträger etwa diese Problematik zur Diskussion gestellt hätte, mit der wir uns – ob es uns gefällt oder nicht – auseinandersetzen müssen! Bleibt die Frage, wieso das Thema auf diese unschöne Art in die öffentliche Debatte geraten ist und wieso Politiker, Sozialwissenschaftler und Integrationsbeauftragte es Herrn Sarrazin überlassen haben, diese zu starten”¦?

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