Das deutsche Wesen aus Multikulti-Perspektive „Achtung Deutsch!“ im Bonner Contra Kreis Theater

© Contra Kreis Theater

Tarik aus Syrien (Ouadirh Ait Hamou), Virginie aus Frankreich (Clara Cüppers), Rudi aus Österreich (Matthias Kofler) und Lorenzo (Nico Venjakob) aus Italien haben allen Grund, sich diese Fragen zu stellen. Sind sie doch Mitglieder einer Wohngemeinschaft in einer von Henrik, dem einzigen Deutschen (Patrick Dollmann) angemieteten Sozialwohnung.

Panik und Berechnung

Doch genau der ist in Urlaub, als sich ein Prüfer ankündigt, um in der Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Erst Panik, denn wer will schon auf seine günstige Studentenbude verzichten. Dann Berechnung, denn warum sollte man dem Prüfer nicht die Show einer intakten Familie vorspielen? Tarik und Virginie als Vater und Mutter, Rudi und Lorenzo als die beiden Kinder. Die Probe für die unerwartete Herausforderung kann beginnen.

„Der Deutsche ist stolz auf sein Land, sagt das aber nur im Ausland, wo die Dinge nicht so gut funktionieren. Der Deutsche will immer alles umsonst. Der Deutsche ist korrekt und hält, was er verspricht.“ Tarik, schon kurz vor seiner Einbürgerung nach Deutschland, hat das deutsche Wesen am besten durchschaut. Als Spielleiter versucht er mit Nachdruck, es seinen Mitbewohnern in ihren jeweiligen Rollen einzubläuen.

Typisch deutsch

Doch das ist längst noch nicht alles. Denn „der Deutsche distanziert sich von allem, was typisch deutsch sein könnte, er ist treu, er mag keine Unordnung und hat eine ganz spezielle Art von Humor“. Verstanden?
So gut wie, denn dem Wiener und dem Italiener ist das deutsche Wesen nur unter großen Mühen eingängig. Haben sie doch, wie ihren verstörten Reaktionen anzusehen ist, über das kollektive Unbewusste ganz andere Verhaltensweisen verinnerlicht. Doch nun haben es alle kapiert, der Besuch kann kommen.

Und er kommt (Steffen Laube als Jochen Reize). Pünktlich wie erwartet, korrekt wie befürchtet und auch sonst typisch deutsch, wie seine Vorliebe für Autos und Würste beweisen. Schnell könnte man ihn wieder loswerden, da die Show der vier Pseudo-Deutschen so perfekt verläuft, dass sich jeder Argwohn sofort zerstreut. Man kommt sich sogar menschlich näher im emotionalen Austausch von Jugenderinnerungen.
Und spätestens bei der gemeinsamen Bratwurst-Mahlzeit ist der Raum voller humaner Wärme, zu der selbst die Problemkinder Rudi und Lorenzo mannhaft beitragen.

Überraschungseffekte

Doch dann klopft es an der Tür. Den vier Studenten stockt der Atem, als Nachbar Friedhelm Schröder (René Toussaint) den Raum betritt und mit seinen verqueren Einwürfen die bislang so perfekte Show immer wieder neuen Belastungsproben aussetzt. Denn auch Schröder ist verwirrt, als er auf vier perfekte „Deutsche“ trifft, die er offensichtlich mit ganz anderen Charaktereigenschaften in Erinnerung hatte.

Und es klopft noch einmal. Diesmal ist es Henrik Schlüter, der Mieter der Wohnung, der uneingeweiht genauso verdutzt ist wie Nachbar Schröder. Und selbst Prüfer Reize versteht nun die Welt nicht mehr, obwohl noch vor wenigen Minuten für ihn alles klar schien. Erweist sich nun für die Bewohner der Sozialwohnung der ganze trickreiche Aufwand als umsonst?

Sympathisches Augenzwinkern

Stefan Vögel gelingt es in seiner Multi-Kulti-Komödie aufs Trefflichste, den Deutschen einen Spiegel vorzuhalten. Denn auch das gehört schließlich zum Deutschsein hinzu, sich von Anderen das eigene Selbstverständnis erklären zu lassen – in der Hoffnung, dass es zumindest passabel ausfällt. Was es auch tut, wenn man bedenkt, dass Vögel seinen Landsmann aus Wien mindestens genauso verschroben und skurril erscheinen lässt wie die realen und die gespielten Deutschen.

„Achtung Deutsch!“ meint auch Jochen Busse, der seine Inszenierung geradezu spickt mit Pointen, Gags und unberechenbarer Situationskomik. Doch scheint stets ein sympathisches Augenzwinkern durch alle Irrungen und Wirrungen der Handlung hindurch. So ist selbst das deutsche Publikum, das auf der Bühne  indirekt sein Fett weg bekommt, zufrieden. Nein, nicht zufrieden, sondern geradezu begeistert von dem fantasievollen Schwung, der hier für zwei bewegte Stunden von Allen Besitz ergreift. Eine wahre Sternstunde des Boulevards!

Weitere Aufführungen bis 15. Dezember 2013; www.contra-kreis-theater.de

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