Zwischen Bodenständigkeit und Moderne – Stuttgart, die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, zeigt sich charmant und lebendig

© Foto: Becker, 2015
Außerdem hört man von Stuttgart, dass dort der rote Trollinger getrunken, „Mauldäschle“ gegessen, schlimm geschwäbelt und fanatisch gekehrt wird. Und dann sieht man vielleicht noch den aktuellen Finanzminister Schäuble vor sich, der alles kann außer Hochdeutsch und dazu noch den mustergültigen Schwaben gibt – was das Sparen anbelangt.
Das war’s also? Mitnichten! Das Stuttgart von heute bleibt zwar seinen Traditionen, ja, auch der Kehrwoche treu, ist aber der Moderne gegenüber aufgeschlossen, gibt sich selbstbewusst und offen, bietet Kunst und Kultur vom Feinsten und lockt nicht zuletzt damit auch Investoren an. Doch die pulsierende Wirtschaftsmetropole sieht man Stuttgart nicht wirklich an: Eher beschaulich ruht die Großstadt im Tal, durchzogen von Parks und umgeben von Wäldchen und Weinbergen.
Zentrum der Stadt mit heute rund 600 000 Einwohnern ist der Bereich um das Alte Schloss. Dort existierte Mitte des 10. Jahrhunderts ein Pferdegestüt, der „Stuotengarten“. Die dazugehörige Siedlung erhielt im 13. Jahrhundert das Stadtrecht und wurde Sitz der Grafen von Württemberg. Im 19. Jahrhundert begann der Wandel der Stadt von der königlichen Residenz zur Industriestadt.
Danach galt Stuttgart noch lange als die Verkörperung von Provinz. Dabei überrascht die Stadt mit kultureller Vielfalt – Staatsoper, Schauspielhaus, die Musicalhäuser Apollo und Palladium, rund 40 Theater, zahlreiche Museen und das Stuttgarter Ballett, eines der erfolgreichsten Ensembles der Welt, sind dort heute angesiedelt.
© Foto: Becker, 2015Mittelpunkt der Stuttgarter Museenlandschaft ist die Staatsgalerie. Der älteste Teil wurde unter König Wilhelm I. von Württemberg erbaut und zählt damit zu den ältesten Museumsbauten in Deutschland. 1984 wurde der Altbau durch die Neue Staatsgalerie ergänzt – dort sind bedeutende Werke der europäischen Kunst vom 14. bis 19. Jahrhundert sowie die umfassendste Picasso-Sammlung Deutschlands zu sehen. Den Bau aus Travertin, Sandstein und grünen Fensterstreben, mit seinem Formenreichtum und poppigen Farben, hat James Stirling entworfen.
Nur wenige Gehminuten von den Kulturtempeln und der mit 2,5 Kilometern längsten Shopping-Meile Deutschlands erreicht der Besucher der Stadt den Platz mit der Jubiläumssäule und historischen Bauten wie dem Neuen Schloss mit seinen barocken Verzierungen und dem Königsbau, der einem griechischen Tempel nachempfunden ist und heute mit seinen eleganten Passagen zum Einkaufen lockt.
Das Kunstgebäude mit dem goldenen Hirsch auf der Kuppel gehört ebenso zu diesem Platz wie der kristallene Würfel des Kunstmuseums: Um einen steinernen Kubus aus Jurakalk haben die Architekten eine Hülle aus Glas gelegt. Zu sehen ist dort moderne und zeitgenössische Kunst, dazu die weltweit bedeutendste Sammlung von Otto-Dix-Werken.
© Foto: Becker, 2015Kommen wir ein Stück zurück zur Wirtschaft: Daimler und Porsche sind nicht nur mit ihren Entwicklungs- und Produktionsstätten in der Region angesiedelt – sie haben auch jeweils ein sehenswertes Museum in der Stadt errichtet. Dabei kann das Mercedes-Benz Museum für sich in Anspruch nehmen, die Automobilgeschichte vom ersten Automobil der Welt bis zum neusten Modell der Marke dokumentieren zu können – schließlich begründeten der Benz Patent-Motorwagen und die Daimler Motorkutsche den Beginn der Automobilindustrie.
Doch wenn das Wetter mitspielt, ist es gerade auch im Frühjahr eine Lust, durch die Parks und Gärten der Stadt, die sogar miteinander verbunden sind, zu spazieren. Sehenswert ist auf jeden Fall die Wilhelma, der zoologisch-botanische Garten der Stadt mit 10 000 Tieren sowie 6000 Pflanzenarten, einstmals für die württembergische Königsfamilie entworfen. Doch wem eher der Sinn nach einem Biergarten steht, wird ebenso fündig wie der Weinkenner, der die guten regionalen Tropfen nicht nur in noblen Restaurants und beeindruckenden Kellern wie beispielsweise dem stilgerecht restaurierten Gewölbe der Uhlbacher Kelter, sondern auch in urigen Besenwirtschaften in und um Stuttgart probieren kann.
Dort wird einem auch eine zünftige Brotzeit angeboten. Wem es indes eher in einen Gourmet-Tempel zieht, dem seien die Wielandshöhe (dort kredenzt TV-Koch Vincent Klink Maultaschen und Fleisch vom Rechberg-Rind im eleganten Restaurant in Hanglage) oder das Delice (dort gibt es mediterrane Gourmetküche im edlen Ambiente eines Kellergewölbes) empfohlen. Auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf hat man ähnliche Alternativen: Es gibt Jugendherbergen, kleine Pensionen, Gästezimmer, Billighotels und Nobelherbergen. 
Wer ein komfortables Zimmer im Zentrum und trotzdem Ruhe sucht, dem sei das frisch renovierte First-Class-Hotel Maritim gleich neben der Liederhalle empfohlen. 555 Zimmer und Suiten stehen bereit, darunter selbstverständlich auch behindertengerechte Zimmer. Nach einem Stadtbummel oder nach ermüdenden Konferenzstunden laden Pool-Landschaft, Wellness-Bereich und Fitnessraum zum Entspannen ein. Zum Hotel gehört übrigens auch die „Alte Reithalle“ aus dem Jahre 1888 – eine tolle Kulisse für Veranstaltungen verschiedenster Art.
Und wer einmal nach Stuttgart kommt und dort kompetent geführt werden möchte: Wolfgang Selje, ein Sohn dieser Stadt und eigentlich Sänger und Moderator, hat sich gründlich mit der Geschichte und den Geschichten der Stadt und ihrer Umgebung befasst und ist ein kurzweiliger, interessanter Begleiter.
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