Zwei Doping-Fachleute verurteilen Pechstein-Sperre – Die 41-Jährige will nun älteste Olympiamedaillen-Gewinnerin werden

Für die Eisschnelläuferin Pechstein, mit fünf Goldmedaillen erfolgreichste Winter-Olympionikin Deutschlands, hatten sich u.a. der aktuelle "Sportler des Jahres", Diskus-Weltmeister und Olympiasieger Robert Harting, und der mehrfache Bob-Olympiasieger und Fahnenträger 2010, Andre Lange, ausgesprochen.

Dass die Ostdeutsche Pechstein letztlich gegen die bayerische Doppel-Olympiasiegerin in den alpinen Wettbewerben 2010 keine Chance haben würde, war bei der Vorgeschichteso gut wie sicher.

Der Mann und Manager von Höfl-Riesch, Marcus Höfl, betreut als Manager u.a. auch Franz Beckenbauer. Er unterhält beste Drähte zu Thomas Bach, vom DOSB-Präsidenten zum IOC-Boss aufgestiegen, sowie zum einstigen Ski-Präsidenten und heutigen DOSB-Chef, Alfons Hörmann…

Zudem hatte Pechsteins Management im Sisyphus-Kampf gegen ihre Doping-Sperre von 2009 bis 2011 die offene Kampflinie gegen Bach, Funktionäre, Dopingexperten aller Coleur und die gegen sie eingestellten Hauptmedien von München bis Frankfurt/M. gewählt. Und damit eine starke Einheits-Gegenfront provoziert…

So war es kein Wunder, dass die Schar derer, die Pechstein für unschuldig hielten oder zumindest Zweifel an ihrer Schuld hatten, sehr klein blieb. Der allgemeine Mainstream lautete, sie habe gedopt. Nur so seien ihre auffälligen Blutwerte zu erklären…

Der oft zitierte Passus eines Rechtsstaates "im Zweifel für den Angeklagten" – ausgerechnet er galt für die Angestellte der Bundespolizei nicht.

Dass zwei Fachleute unmittelbar vor Sotschi ihr Urteil revidiert haben, kam für die Ostberlinerin zu spät. Zumal es von vielen Medien – ein schlechtes Gewissen? – nur sehr reduziert oder gar nicht publiziert wurde.

Immerhin erklärte Wilhelm Schänzer, Leiter des Kölner Anti-Doping-Labors, dem "Kölner Stadtanzeiger": "Bei Claudia Pechstein gibt es viele Daten, die im Nachhinein zusammengetragen wurden und die zeigen, dass sie aufgrund einer vererbten Anomalie ein außergewöhnliches Blutbild hat. Aus meiner Sicht ist die Datenlage bei Frau Pechstein nach heutigem Stand nicht ausreichend, um sie des Dopings zu bezichtigen." Er kritisierte das damalige Blutpass-Projekt des Eisschnelllauf-Weltverbandes ISU: "Mögliche Blutanomalien zum Beispiel sind viel zu spät in dieses Verfahren eingebunden worden". Die ISU hat die Bewertung von Blutwert-Schwankungen dahingehend geändert, dass jemand mit Pechstein Daten nicht mehr automatisch gesperrt werden kann.

Schänzer genießt den Ruf eines seriös-sachlichen Fachmannes. Im Gegensatz zu Prof. Werner Franke aus Heidelberg. Der 74-jährige Molekular- und Zell-Biologe hat sich seit dem Mauerfall zu einem Eiferer in der Causa Doping entwickelt. Stritt und klagte gegen Gott und die Welt. Gab unaufgefordert stets und ständig Ferndiagnosen ab. Über Sportverbände, über Aktive, über Ärzte, Funktionäre…

Bei seinem Feldzug gegen den Gebrauch unerlaubter Mittel im Hochleistungs-Sport hatte er zunächst fast ausschließlich Akteure aus der untergegangenen DDR im Visier. Katrin Krabbe, Grit Breuer, Heike Drechsler, Astrid Kumbernuss, Olaf Ludwig, Erik Zabel, Jan Ullrich und viele andere stellte er nach der Wiedervereinigung an den Pranger.

Nun gab der Anti-Doping-Hardliner über Pechstein zum Besten: "Sie hätte nie gesperrt werden dürfen. Es gibt keinen Beweis für Doping, aber auch keinen Beweis für ihre Unschuld."

Der Eislauf-Weltverband ISU hatte Pechstein von 2009 bis 2011 ohne positiven Befund nur mittels eines indirekten Beweises gesperrt. "Die erhöhten Retikulozytenwerte bei Pechstein waren ein Indiz auf Blutdoping, aber kein medizinischer Beweis", fügte der 74-Jährige hinzu. Er habe aber trotz der von Medizinern bei Pechstein festgestellten, ererbten Blut-Anomalie weiter Zweifel, ob Pechstein wirklich unschuldig sei.

"Den einzigen Beweis, den ich akzeptieren würde, wäre eine DNA-Sequenz, die die genetischen Veränderungen in ihrem Körper und dem ihres Vaters belegt. Dann würde ich sofort sagen: Okay, das ist ein Beweis", erklärte Franke, der die Diagnose des Blut-Anomalie-Spezialisten Stefan Eber studiert hat.

Stecknadel im Heuhaufen

Der Münchner Professor Eber zeigte ihm die Gelbe Karte für Ahnungslosigkeit. "Einen Gen-Nachweis zu verlangen, ist bei Membran-Defekten der roten Blutkörperchen nicht Goldstandard", sagte Eber. "Professor Franke ist bestens bewusst, dass es in dem Heuhaufen der riesigen Membranprotein-Gene äußerst zeitaufwendig und logistisch schwierig ist, die Stecknadel zu finden, die die Erklärung für die Erkrankung liefert."

Ehrungen inklusive des Bundesverdienstkreuzes

Franke scheint auch sonst nicht immer auf der Höhe des Wissens über Doping gestanden zu haben.

Wo war der Fachmann beispielsweise in den Zeiten des weltweiten Doping-Missbrauchs in den 70-er und 80-er Jahren? Als er aktiv Leichtathletik betrieb? Was wusste er, als sich seine spätere Frau Brigitte Berendonk im Diskuswerferin von einer Saison zur anderen um fast zehn Meter steigerte? Und dann aber bei großen Meisterschaften und Titelkämpfen gegen die Vertreterinnen der verhassten DDR immer das Nachsehen hatte. Jener deutschen Republik, die sie aus politischen Gründen verlassen hatte.

Als die Mauer gefallen war, verschaffte sich Franke mit einer Helfer-Karte des Bundestages bei den eingeschüchterten Sportärzten der Armeesport-Vereinigung Vorwärts Zugang zu den Doping-Protokollen. Und half im Bedarfsfall mit der im Osten noch nicht verfügbaren Westmark nach…

Daraus entstand 1991 unter Brigitte Berendonk als Herausgeberin das Buch "Doping-Dokumente – Von der Forschung bis zum Betrug". Es war die Grundlage für mehr als ein Jahrzehnt andauernde Doping-Anschuldigungen einseitig in Richtung Ostdeutschland. Den deutschen Westteil hatte das Duo – bewusst oder unbewusst – fahrlässig ausgeblendet.

Franke und Berendonk erhielten letztlich dafür und viele Aktivitäten im Antidoping-Kampf 2004 das Bundesverdienst-Kreuz und andere Ehrungen.

Dubiose Stellungnahmen für Klienten des Anwalts Lehner

Wobei Franke auch eine andere Seite seines Charakters und seines vermeintlichen Sachverstandes offenbarte, die kaum beachtet wurde.

Wann immer sein Sportrechte-Anwalt- und Adlatus Michael Lehner, der zwischen dem Vertreten von Opfern des DDR-Dopings (fast nie von im Westdoping Geschädigten!) und überführten Dopern pendelte, sich für überführte Doper einsetzte, war Franke schnell mit verharmlosenden oder Unschuldserklärungen zur Stelle.

Dies war beim 5000-m-Olympiasieger Dieter Baumann (ungeklärt, wer die später im Kölner Doping-Labor verschluderte Zahnpasta-Tube mit angeblichen Dopingpräparaten bestückt hatte) in krassester Form der Fall. Obwohl von Baumann mehrfach positive Dopingproben vorlagen – bei Pechstein in über 500 Tests nicht eine einzige -, unterstützte Franke bis zuletzt Lehners vergebliche Unschuldsdeklarationen.

Andere Lehner-Klienten, Radprofis Schumacher, Hondo, Triathlet Vuckovic, durften sich ebenfalls wohlwollender Franke-Gutachten gewiss sein.

Dass Franke möglicherweise besser mit dem "staatlich gefördertem Doping der Bundesrepublik" vertraut war, als er hat erkennen lassen, signalisiert dessen Eingeständnis, der nach exzessivem Dopingkonsum früh verstorbene Westberliner Weltklasse-Kugelstoßer Ralf Reichenbach habe sich bei ihm "Ratschläge geholt" … welcher Art, blieb unklar!

Dass Franke, der Pechstein massiv schon allein deshalb attackiert hatte, weil "sie ja aus der schlimmsten Doping-Küche des Dynamo-Sportforums aus Hohenschönhausen" käme (Pechstein stammt aus Berlin-Marzahn), nun etwas Wiedergutmachung betreibt, könnte man als Regung eines schlechten Gewissens interpretieren.

Pechstein regt sich darüber nicht mehr auf. Sie hat Maria Höfl-Riesch gratuliert, die Fahne beim Einmarsch tragen zu dürfen. Und will auf den Strecken 3000 m oder 5000 m mit 41 Jahren den Superlativ der ältesten olympischen Medaillengewinnerin in ihrer Sportart erobern. Danach geht ihr Kampf um Rehabilitierung mit einer Schadenersatzklage über rund vier Millionen Euro gegen den Weltverband ISU weiter.

Unter Verwendung von Material der dpa.

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