Eine Gay Community, heißt es in Qedars Reportage, existierte zu Beginn der achtziger Jahre in Israel nicht. Zwölf Jahre später hat der Alltag Homosexueller eine radikalen Veränderung erfahren, welche wenige damals für möglich gehalten hätten. Die dazwischen liegenden Jahre waren geprägt durch zahlreiche Coming-outs unterschiedlichster Personen des öffentlichen Lebens: Politiker, Künstler, Aktivisten, Militärangehörige und Akademiker bekannten sich zu ihrer schwulen oder lesbischen Identität. Ein zuvor tabuisiertes Thema befand sich plötzlich im Fokus des medialen und sozialen Interesses, löste politische Debatten aus und gab den Anstoß zu Gerichtsprozessen im Kampf der Homosexuellen gegen die Diskriminierung. Mittels rarer Originalaufnahmen, privater Videos und über Jahre gesammelter Dokumente rekonstruiert der israelische Regisseur Yair Qedar das Entstehen einer Gemeinschaft. Einer Gemeinschaft, welche sich gegen sozialen, politischen und privaten Widerstand behaupten musste und dennoch oder gerade deshalb zu ihrem außergewöhnlichem Zusammenhalt fand.
„Hazman havarod“ zeichnet sich ungeachtet seiner Kürze von nur 71 Minuten durch Eindringlichkeit und Prägnanz aus. Qedars Ton ist lakonisch, seine ungefilterte Direktheit gibt dem Zuschauer das Gefühl, unmittelbar an der politischen und sozialen Veränderung Teil zu haben. Dennoch nimmt sich „Hazman havarod“ Zeit für die Menschen, welche ihre Schicksale und Gefühle während der „Gay Days“ offenbaren. Manche von ihnen haben schon oft vor der Kamera gesprochen, wie der Filmemacher und TV-Produzent Eytan Fox, der heute eine Fernsehserie über junge homosexuelle Erwachsene im israelischen Programm zeigen kann. Das erste offen schwule Mitglied der Knesset, Uzi Even, der unter anderem Gesetze gegen die Diskriminierung Homosexueller durchsetzte. Die transsexuelle Pop-Sängerin Dana International, deren Platin-Erfolg auf dem Plattenmarkt bewies, dass sie sich als Künstler auch auf dem israelischen Mainstream-Musikmarkt durchsetzen kann.
Man spürt das Engagement des auch als Autor und Journalist tätigen Regisseurs, welches nötig gewesen sein muss, um sein hintergründiges Filmdokument zu realisieren. Besonders sehenswert ist „Gay Days“ in Zusammenhang mit dem ebenfalls auf der Berlinale laufenden amerikanischen Dokumentarfilm „Word is out – Stories of some of our lives“ (Kritik bei Weltexpress). In dem im Forum gezeigten Filmprojekt der Mariposa Film Group berichten Homosexuelle aus den USA über ihre persönlichen Erfahrungen und ihr Selbstverständnis in den von der Diskriminierung Schwuler und Lesben überschatten späten sechziger Jahren. Heute scheint alles ganz anders, nicht nur in den USA. Mit der Wahl der offen lesbischen Politikerin Michael Eden wurde 1998 erstmals eine Homosexuelle in ein öffentliches Amt gewählt. So rasch und bewegend wie Qedars Reportage scheinen die „Pink Times“, so die Übersetzung des Originaltitels „Hazman Havarod“, vergangen zu sein. Der Eindruck täuscht. Zwölf Jahre währten sie. Es ist eine lange Zeit, quälend lang, wenn jeder Tag Diskriminierung und den Kampf gegen sie bedeutet.
„Bis hier hin kannst du gehen mit deinem Schwulsein. Und nicht weiter.“, schildert der in der Reportage interviewte Filmemacher die Haltung des israelischen Fernsehens gegenüber seiner Thematisierung von Homosexualität auf dem Bildschirm. Noch immer besteht die soziale und rechtliche Benachteiligung Schwuler und Lesben fort, keineswegs nur in Israel. Die rosa Zeiten, die „Gay Days“, „Hazman Havarod“, sie sind noch nicht vorbei.
Titel: Hazman havarod – Gay Days
Berlinale Panorama
Land/Jahr: Israel 2008
Genre: Dokumentarfilm
Regie und Buch: Yair Qedar
Mit: Yosi Even Kama, Prof. Uzi Even, Dr. Amit Kama, Ellyot, Illana Shirazi, Eytan Fox, Michael Eden u. a.
Laufzeit: 71 Minuten
Bewertung: ***