Auch bei Andrea Tober und ihrem Education-Team würde er offene Türen einrennen, denn in all ihren Überlegungen und Planungen ist »Hornsarah« längst eine feste Größe. Die Mitarbeiter wissen sich mit ihr vereint in dem Gedanken: »Kinder mit Musik vertraut zu machen, ist neben einer zweiten Sprache das beste Geschenk, das Eltern ihnen mitgeben können.« So suchen sie gemeinsam, Mütter und Väter zu edlem Tun zu animieren und dabei zu unterstützen.
Das Team organisiert also – und die Deutsche Bank macht es möglich – Konzerte für Kita-Gruppen, die Proben und Mitsingekonzerte der »Vokalhelden« und immer wieder Familienkonzerte – in jedem Jahr eine neue Reihe. Jüngst drehte sich alles um Märchen, zur Zeit stehen »Kleine Helden« und ihre Geschichten im Mittelpunkt. In regelmäßigen Abständen spielen einzelne Orchestergruppen für das Nachwuchspublikum – so stellten bereits die Perkussionisten, die Cellisten und im vergangenen Jahr die Streicher ihre Instrumente vor – und erzählen allerhand Überraschendes und immer Wissenswertes von ihren »Handwerkzeugen«. Das ist die bevorzugte Spielwiese von Sarah Willis. In zahlreichen Veranstaltungen hat die Hornistin, die zu den besten ihres Fachs gezählt wird, auch ihre Qualitäten als sachkundige und charmante Moderatorin bewiesen. Einen »Texter« braucht sie nicht. Was sie sagt, ist selbst durchdacht. Fürs diesjährige vorweihnachtliche Familienkonzert »O Tannenbrass« hat sie gar das gesamte Konzept geschrieben – und zum leicht gequälten Titel erklärt: »Ist englischer Humor.«
Los ging es nicht auf der Bühne, auf dem nur ein einsames Schlagzeug stand, sondern rechts, links, vor und hinter dem Publikum und mitten mang – wie die Berliner sagen, wenn sie mittendrin meinen. Von überall her erklangen Trompeten und Posaunen, und nach einem fröhlichen Hornsignal trafen sich die Musiker mit Franz Schindlbeck, dem »Drummer«. Der ist dabei, weil seine Rhythmen, Schnörkel und Effekte die Musik der Blechbläser noch beeindruckender klingen lassen – egal ob mittelalterliche Tanzweise oder Händels »Feuerwerksmusik«. Sarah Willis leitet mit eingängigen Sätzen von einem Programmpunkt zum anderen. Vom Solo für zwei Trompeten zu einem ziemlich selten zu hörenden Solo für eine Tuba, dem Instrument, das tatsächlich mehr kann als »Elefantenpupse«. Die Moderatorin ahnt, was die Kinder wissen wollen (oder sollen), fragt bei den Musikern nach. Jeder im Saal weiß nunmehr, das ein »Glissando« ein gehobenes Miau und die Posaune das einzige Blechblasinstrument ist, das stufenlos von einer Tonhöhe zur anderen »gleiten« kann. Familienkonzerte machen eben nicht nur Spaß, sondern auch schlauer. Nachdem Sarah Willis das Rondo aus dem Hornkonzert Nr. 3 Es Dur von Wolfgang Amadeus Mozart gespielt hat, darf ein Kind ihr Instrument vermessen. 4 m Gartenschlauch demonstrieren, welchen Weg Sarahs Puste vom Mundstück durch viele, viele Windungen bis zum Schallbecher zurücklegen muss. »Etwas Mitleid bitte«, sagt die Musikerin, und entlockt auch dem Stück Wasserleitung plus aufgestecktem Küchentrichter zur allgemeinen Begeisterung ein paar flotte Töne. Doch damit ist der Überraschungen kein Ende.
Zirka 60 Mädchen und Jungen – alle im leuchtend blauen Shirt, Posaunen, Trompeten, Hörner, Flöten oder Zupfinstrumente und Trommeln in den Händen – stürmen die Bühne: die Blue Wuhle Kids aus Oberschöneweide. Heute ist ihr großer Tag, und das hier ist ihre Stunde. Dafür haben sie lange und beharrlich gearbeitet.
In der »Grundschule an der Wuhlheide«, quasi in Hörweite zum 1. FC Union in der »Alten Försterei«, gestaltet die engagierte Musiklehrerin Susanne Siedel , mit tatkäftiger Uterstützung des Schulleiters Joachim Luhm, seit zwei Jahren ihren Unterricht nach einem bemerkenswerten Konzept: Die jeweils 4. Klasse eines Jahrgangs wird zur »Bläserklasse«. Die Kinder dürfen sich für Trompete, Posaune, Saxophon, Horn oder Flöte entscheiden, die ihnen von der Schule geliehen werden. In der Musikstunde geht es dann vor allem darum, das Instrument in den Griff zu bekommen. Der eigentliche Lehrstoff – Musikgeschichte, Instrumentenkunde, das Notenlesen – gewinnt Praxisnähe und prägt sich sozusagen nebenbei ein. Überhaupt hat die Musik für alle einen größeren Stellenwert bekommen. Im Programm der Ganztagsschule sind weitere Proben in kleineren Gruppen und in getrennten Räumen fest eingeplant. Engagierte Eltern haben bei der Umgestaltung der »Musiketage« mitgeholfen. Andere haben finanzielle Unterstützung gegeben. Susanne Siedel hat als Betreuer Mann und Tochter, beide Musiker, eingespannt und auch einige Lehrerkollegen »infiziert«. Jedes Kind, das Lust oder irgend ein Instrument hat und den festen Willen dazu, kann in der Schule musizieren, im Chor singen und in der »Blue Wuhle Kids Band« mitmachen. Die täglichen 15 Powermusik-Minuten vor dem allgemeinen Unterrichtsbeginn sind für die sozial recht gemischte Schülerschaft längst ein festes Ritual geworden, das die gute Laune hebt. Das gemeinsame Musizieren schafft gegenseitige Achtung und Wertschätzung. Die Kleinen lernen von den Größeren. Selbstbewußtsein und Verantwortungsgefühl wachsen. Die Kinder erfahren: jeder Einzelne ist wichtig. Und schließlich haben sie geschafft, was anderen Musikern selten und den meisten wohl gar nicht gelingt: sie dürfen in der Philharmonie spielen.
Sarah Willis hatte sie in ihr Programm eingebaut. Und weil keiner die Schirmherrin ihres Projekts enttäuschen will – und ihr Auftritt sogar in der Digital Concert Hall live in alle Welt übertragen wird – gibt jeder sein Allerbestes. Die Blue Wuhle Kids spielen »Santa Claus is Comin` to Town« von John Frederick Coots, Arrangement Susanne Siedel, und anschließend gemeinsam mit den Kollegen Philharmonikern »O Tannenbaum«. Da ist für Muttis, Vatis, sonstige Anverwandte und den Rest des Publikums die Gelegenheit gekommen – einzustimmen. Und willig machen die meisten – von Moderatorin und den Kids animiert – auch bei den Lockerungsübungen mit, ohne die offensichtlich kein Familienkonzert auskommt. Nach dem »O Tannenbrass« von Joshua Davis gehen alle wohlgelaunt nach Hause – und freuen sich aufs nächste Mal. Es darf vermutet werden, dass Sarah Willis dem Weihnachtsmann, der auch irgendwie mitmachte, erneut einen Wunsch zugeflüstert hat. So wünschen wir uns: Möge auch den engagierten Mitstreitern in Schulleitung und Lehrerschaft in der Blue-Wuhle-Kids-Grundschule an der Wuhlheide, dem tatkräftigen Förderverein und vor allem Susanne Siedel nie die Puste ausgehen.
Nächstes Familienkonzert:
aus der Reihe KLEINE HELDEN: »Das Jazzkäppi« von Helmut Nieberle
Sa. 24.1.2015, 15 Uhr und 17 Uhr
Empfohlen für Kinder von 8 – 12 Jahren
Karten (5 €) im Internet unter www.berliner-philharmoniker.de, telefonisch unter 030/254 88-999 und an der Kasse der Philharmonie.