WM-Qualifikation: Kroatien Spiel mutiert zur Quali-Qual – Vom Torhimmel zurück auf den Boden der Realität

© Dietmar Tietzmann

Dem doch in dieser Höhe überraschend deutlichen 9:0 gegen Russland zum Auftakt folgte vor wenigen Tagen ein 13:0 in Slowenien, einem Land, das mit seiner Frauenelitemannschaft immerhin ein paar Plätze vor Kroatien in der Rangliste logiert. 22 Tore in zwei Begegnungen: Frauenfußball-Fanherz, was willst du mehr?

Adriastrand

Bundestrainerin Silvia Neid blickte sicherlich mit guten Erinnerungen auf Kroatien. Erst zwei Mal standen sich die deutsche Auswahl und die Europäerinnen vom Adriastrand bisher gegenüber. Beim 7:0 im Juni 1994 in Zagreb und dem gut drei Monate später angesetzten Rückspiel im schwäbischen Sindelfingen, als Deutschland mit einem 8:0 als Sieger vom Platz ging, trug Silvia Neid nicht nur selbst noch als Aktive das Trikot der Nationalmannschaft, sondern trat in beiden Begegnungen ebenso als Torschützin in Erscheinung.

Torhungrig

Nach den zwei Kantersiegen der Gastgeberinnen und einer weißen Weste ohne Gegentreffer wies die Statistik der Kroatinnen vor dem Match in Frankfurt im akuellen Qualimodus lediglich einen Punktgewinn auf, resultierend aus einem Remis (1:1 gegen Irland) und einer  Niederlage (0:1 gegen Slowakei). Wer nun aber dachte, die Gäste würden sich in ihrem 100. internationalen Auftritt seit der Gründung 1993 wehrlos einer in den letzten Wochen torhungrig auftretenden deutschen Mannschaft ergeben, sah sich schnell eines besseren belehrt. Kapitänin Iva Landeka, eine in der  Bundesliga bekannte Stammspielerin des FF USV Jena, hatte ihren Mitspielerinnen im Vorfeld Mut gemacht. „Wir müssen nur an uns glauben und nicht vor lauter Respekt vor den großen Namen das Spielen verlernen.“ Die aufmunternde  Ansprache der kroatischen Spielführerin schien ihre Wirkung nicht zu verfehlen.

Nahdistanz

© Dietmar TietzmannDeutschland begann die Partie wie erwartet und übernahm von Beginn an das Heft des Handels. Klare Möglichkeiten blieben aber dennoch Mangelware, was einerseits der kompakt stehenden Abwehr und einer umsichtigen Keeperin auf kroatischer Seite zuzuschreiben war. Zudem fand die deutsche Elf keinen wirklichen Spielfaden, gut gemeinte Aktionen verpufften ohne Wirkung und blieben gut gemeint. Erst eine Einzelaktion von Simone Laudehr sorgte für echte Gefahr. Da waren allerdings schon 20 Minuten um. Laudehrs straffer Schuss aus respektabler Entfernung streifte nur äußerst knapp über die Querlatte. Die 1:0 Führung bzw. der Ball lag wenig später Celia Sasic regelrecht auf dem Fuß. Leonie Maier brachte das Leder hoch in den Strafraum, Deutschlands Nummer 13 setzte den Ball aus Nahdistanz dennoch irgendwie über das Gehäuse – symptomatisch für den Verlauf bis dahin.
Erstmals in Bedrängnis geriet die deutsche Abwehr nach einer halben Stunde. Katarina Kolar war von Maja Joscak mustergültig mit einem Pass von links bedient worden, stürmte in Richtung Angerer-Gehäuse und setzte ihren Versuch lediglich einen halben Meter neben den langen Pfosten. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, dass die gelungene Offensivaktion die beste des ganzen Spiels für Kroatien bleiben sollte. Mit einem insgesamt mehr als überraschenden 0:0 ging es in die Pause.

Freistehend

© Dietmar TietzmannDer Knoten auf deutscher Seite, zumindest was die Tore betraf, platzte sehr zur Freude der vielen Fans in Minute 52. Célia Sasic löste sich nach einer gut getimten Flanke gekonnt von ihrer Gegenspielerin und köpfte freistehend halbhoch ins rechte Toreck zur 1:0 Führung. Nur vier Minuten später tanzte einmal mehr Leonie Maier die gesamte linke Abwehrseite aus, tankte sich zur Torauslinie durch und legte zurück auf Anja Mittag. Die nahm von der Strafraumecke Maß und hämmerte den Ball aufs Tor, wo Kroatiens Nummer 6 den Schuss unhaltbar ins eigene Tor verlängerte – Deutschland führte dank freundlicher Unterstützung des Gegners 2:0.

Ambitionen

Ähnlich unglücklich für die tapfer kämpfenden, aber nun leicht überforderten Kroatinnen fiel auch Treffer Nummer 3 für Deutschland. Dzsennifer Marozsan brachte einen Freistoß vor das Tor, wo erneut Helenna Louise Hercigonja-Moulton, eine in Miami geborene amerikanisch-kroatische Spielerin,  vor den am Fünfer lauernden deutschen Offensivkräften Schlimmeres verhindern wollte. Doch das Vorhaben, den Ball ins Toraus zu köpfen, entwickelte sich zu einem äußerst platzierten Kopfstoss ins linke Toreck, mit dem sie ihre eigene Keeperin überlistete.  Spätestens nach diesem neuerlichen Missgeschick gab Kroatien wohl alle Ambitionen auf, an diesem Spätoktoberabend einer echten Überraschung nahe zu kommen.  Die Körpersprache verriet deutlich, dass man nur noch auf Schadensbegrenzung aus war.

Abseitsposition

© Dietmar TietzmannDas hohe Tempo der DFB-Elf hatte seinen Tribut gefordert, es gab nicht mehr viel entgegen zu setzen. Einzig Kroatiens Kapitänin Iva Landeka vom FF USV Jena wagte in der Schlussphase einen der wenigen Schüsse auf das deutsche Tor – eine letztendlich aber ungefährliche Offensivaktion. Den Schlusspunkt zum 4:0 setzte Abwehrspielerin Luisa Wensing. Nach einem Abstimmungsproblem in der Hintermannschaft der Gäste schaltete Wolfsburgs Defensivkraft am schnellsten und verlängerte ein Zuspiel von Célia Sasic ins Netz, allerdings aus einer vom finnischen Schiedsrichterinnen-Kollektiv nicht geahndeten Abseitsposition.

Engagement und Wille

Mit dem dritten Sieg im dritten Spiel der WM-Quali rangiert Deutschland nunmehr mit 9 Punkten auf Rang eins. Die Elf von Bundestrainerin Silvia Neid war trotz einiger krankheitsbedingter Ausfälle in allen Belangen überlegen, ohne aber wirklich mit spielerischen Ideen und gefälligen Kombinationen zu glänzen. Kroatien stemmte sich mit viel Engagement und Willen dem vermeintlich übermächtigen Gegner und verhinderte so das von allen Seiten erwartete Schützenfest. Iva Landeka: "Im Vorfeld hat man uns gesagt: alles unter zweistellig ist ein gutes Ergebnis. Natürlich hat es uns besonders motiviert, dass viele davon ausgingen, wir würden wie Slowenien `abgeschossen`."

So spielten sie:

Deutschland: Nadine Angerer – Luisa Wensing, Annike Krahn, Saskia Bartusiak, Leonie Maier  – Dzsennifer Marozsán, Lena Goeßling – Simone Laudehr (63.Sara Däbritz), Anja Mittag (81. Melanie Leupolz), Melanie Behringer (67. Alexandra Popp) – Célia Sasic

Kroatien: Doris Bačić – Kristina Nevrkla, Allison Lee Scurich (SC Sand), Helenna Louise Hercigonja-Moulton, Maja Joščak (46. Martina Salek), Violeta Baban, Katarina Kolar (83. Valentina Stipančević), Iva Landeka (FF USV Jena), Izabela Lojna (68. Monika Conjar), Gabrijela Gaiser, Sandra Žigić
Tore: 1:0 Sasic (52.), 2:0 Hercigonja-Moulton (56., Eigentor), 3:0 Hercigonja-Moulton (62., Eigentor), 4:0 Wensing (80.)

Schiedsrichterin: Lina Lehtovaara (Finnland)

Zuschauer: 6.104

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