Wissensexplosion durch die Informationstechnologie – Ein nützlicher Service?

Die informative digitale Vernetzung mit Datenbanken und sozialen Verknüpfungen stellt eine rasant wachsende Menge neuen Wissens zur Verfügung, die es aufzuarbeiten gilt. Allein in Deutschland gibt es z. Zt. über 400 Hochschulen mit ca. 50.000 Professorinnen und Professoren und – im Jahre 2010 lt Stat. Bundesamt – 200.000 Promovierenden, davon  in den Ingenieurwissenschaften 45.000 Promovierende, mit einer durchschnittlichen Promotionsdauer von fünf Jahre (Stat. Bundesamt 2012, Miriam Wolters, Sven Schmiedel, Zur Erhebung über Promovierende in Deutschland). Mit einer auf Schätzung beruhenden Hochrechnung entstehen allein in den Ingenieurwissenschaften weltweit jährlich 250.000 Veröffentlichungen auf der Basis von Dissertationen. Selbst wenn ein spezielles Fachgebiet nur von 5% dieser Veröffentlichungen angesprochen wird, ist die tägliche Pflichtlektüre  von 60 Berichten eine erhebliche zeitliche und intellektuelle Belastung, zumal diese Berichtsauswahl organisiert sein muß und mitunter arbeitsaufwendige Folgen haben kann.

Das Wort vom „Mut zur Lücke“ ist nicht wissenschaftlich und hat hier keinen Platz; es geht auch nicht nur um das Suchen nach Schlagworten, sondern um die intellektuelle Verknüpfung vorhandenen Wissens mit neu entstehendem Wissen und die in einem parallelen Prozess der Evaluierung entstehende Entscheidung des wissenschaftlichen Individuums, ob und in welcher Form das neu entstandene Wissen in vorhandene oder neu zu definierende Forschungen eingebunden werden soll. Nach dieser Entscheidung erfolgt die Verwertung in der zwar individuell festgelegten, aber noch nicht durchgesetzten Form. Die Durchsetzung von Vorhaben bei kooperativen Forschungen hängt wesentlich von der Finanzierung  ab; und hierbei ist die nächste zeitlich-persönliche Hürde zu nehmen.

Nicht nur die Speicherkapazitäten und die Verarbeitungs-Geschwindigkeiten von Computern – alles wird langsamer, wenn der Speicher voll läuft –  sind begrenzt, sondern auch das entsprechende Leistungsvermögen des menschlichen Gehirns stößt an Grenzen: bei Montageprozessen in der Automobilindustrie ist die Zahl der komplexen Aktionen der handwerklich tätigen Personen auf 300 pro Person begrenzt, um die Kosten der Fehlerraten im wirtschaftlichen Bereich zu halten.

Bei wissenschaftlich tätigen Personen kommt die Notwendigkeit der Kommunikation in sozialen Netzwerken hinzu, ohne die ein kritisches Vorgehen zur Erreichung der angestrebten optimalen Problemlösung oder Fortschrittsfindung kaum möglich ist.

Nun ist die geistige Arbeit außerdem kein „Produktionsprozess“, dessen Ergebnis nach Auslieferung oder nach dem „Produkt-Lifecycle“ vergessen werden kann. Bei geistiger Arbeit ist das Phantom des Wissens allgegenwärtig und so gut wie niemals  aus dem Gedächtnis, dem geistigen Speicher, zu löschen. Das persönliche Wissen basiert auf einem additiven Speicher mit der Unfähigkeit, vorhandenes Wissen zu löschen.

Mit der stetig wachsenden Zahl der Menschen auf dieser Erde und dem zahlenmäßigen Wachstum des weltweit vorhandenen Bildungs- und Ausbildungsstandes erhöht sich der Wissensumfang zwangsweise ständig. SPIEGEL-ONLINE berichtete am 15.12.12 von einem Zuwachs in 2012 um 2,8 Trilliarden Bytes. In der Informetrie, dem Oberbegriff von Bibliometrie und Scientometrie, wird im wesentlichen eine Zitationsanalyse betrieben, die die Häufigkeit des Zitierens eines Wissenschaftlers durch andere Wissenschaftler zählt, um den Wirkungsgrad einer Veröffentlichung zu definieren. Alle qualitativen und quantitativen Wertungsverfahren setzen voraus, dass der einzelne Experte sich mit seinem Intellekt an der Mehrung und Besserung bzw. Entwicklung des vorhandenen Wissens beteiligt, also die Basiselemente der Erarbeitung des State of the Art selbst beherrscht und durchführt, weil nur so tatsächliches wissenschaftliches Arbeiten möglich ist.

Und hier liegt das Problem: um Qualität wissenschaftlicher Erkenntnisse erzeugen zu können, muß die fachliche Informationsflut fachlich durchgearbeitet werden. Dokumentiert wird das im Quellennachweis, der permanent die wissenschaftliche Arbeit begleitet. Bezogen auf Europa bietet sich „Gabriel – Gateway to Europe ´s National Libraries“, bei weltweiter Suche das System „Libdex – Index to 18.000 Libraries“ zur Recherche-Arbeit an. In der „Journal Articles DatabasE JADE“ sind 24.000 Zeitschriftentitel mit aktuell 20 Mio. Artikeln (ab 1987)  aus allen Fachgebieten verfügbar; hierbei werden die Quellendaten automatisch dokumentiert und können zum Beziehen des Artikels und zum Quellennachweis genutzt werden.

In unserer heutigen Dienstleistungsgesellschaft – 80 % des deutschen Bruttosozialprodukts ergeben sich aus Dienstleistungsgeschäften –  liegt ein wesentlicher Leistungsschwerpunkt bei den Möglichkeiten der Informationstechnologie, den Wissensdatentransfer durch Automatisierung zu erleichtern: die heute für Ingenieurwissenschaftler täglich anstehende Pflichtlektüre von 60 Berichten – durchschnittlich also 6.000 Seiten DIN A4 Volltext – wäre dann nicht mehr über Recherchen von den Wissens-Jägern und -Sammlern zusammenzutragen, sondern kämen wie in RFID-logistischen Prozessen automatisch vom Hersteller zum Empfänger. Da sich der zu transferierende Wissensumfang permanent erhöht (Schätzungen prognostizieren eine Verdoppelung alle fünf Jahre), besteht hier ein Riesen-Bedarfs-Gap zur Befriedigung  dieses wissenschaftlichen Wissenstransfers. Die Explosion des Wissens „produziert“ sozusagen den Geschäftszweig des Handels mit Wissenslogistik, da nur so eine Verschwendung des entwickelten Wissens vermieden werden kann. Ähnlich den Call-Center-Stationen und den Technologie-Transferstellen sind Knowhow-Transfer-Center aufzubauen, die dieser Verschwendung entgegenwirken. Wissensbündelung über virtuelle Chips mit besonders großen Speicherumfängen führt im virtuellen Package-Service zur gewünschten Kundenzufriedenheit des Wissensempfängers.

Die Forderung an die Informationstechnologie zur Erarbeitung von technischen Lösungen für diesen virtuellen Package-Service ist ein Hilfeschrei, der hoffentlich gehört wird!  Um wissen zu  können, was es an jeweils benötigtem Wissen gibt, wird dringend der virtuelle KTC-Chip (Knowhow-Transfer-Center-Chip) benötigt, durch den die Wissenslogistik-Probleme beherrschbar werden könnten.

Die KTC (Knowhow-Transfer-Center) sollten wie Pilze aus dem Boden schießen!

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