Das beklagen auch die großen Reifenhersteller, die sich in Brüssel für die Einführung des Label stark gemacht hatten, um ihre Premiumprodukte gegen Billigkonkurrenz vor allem aus Asien zu schützen. „Die für Winterreifen wichtigen Disziplinen wie Bremsen, Traktion sowie Kurvenhaftung auf Schnee und Eis erfaßt das Label nicht“, stellt Michelin fest. Die Reifen mit sehr guten Wintereigenschaften werden vom Label sogar noch bestraft. So bräuchten Winterpneus zum Beispiel eine große Profiltiefe, erläutert der französische Premiumhersteller. „Das wirkt sich aber negativ auf den Rollwiderstand aus und verschlechtert die Bewertung der Energieeffizienz im Reifenlabel.“
Auch Continental mosert, daß das Label „keinerlei Informationen über die Wintereigenschaften“ liefere. Dabei sei es nötig, „über Minimalanforderungen für den Winterbetrieb nachzudenken“, denn die bekannte M+S-Kennzeichnung ist nicht geschützt und kann auch auf profillosen Slicks prangen – ohne daß ein Reifenbäcker oder -händler eine Sanktion fürchten müßte. Das Schneeflockensymbol, das auf manchen Winterreifen prangt, ist zwar – durch die Reifenindustrie selbst – geschützt, hält aber auch Conti-Sprecher Alexander Bahlmann nur für eine „erste Orientierung“ beim Reifenkauf.
Winterreifen müssen Allrounder sein, da sie für unterschiedliche Straßenbedingungen und für ein breiteres Wetter- und Temperaturspektrum als Sommerreifen tauglich sein müssen. Solche Allroundeigenschaften erfaßt das Label jedoch nicht, wie Bahlmann kritisiert. So können Winterrei-fen beispielsweise beim Rollwiderstand unmöglich die Bestnote A erreichen, weil sie dann „bei den ersten Schneeflocken auf dem Asphalt keinen Halt mehr“ hätten, wie der Reifenhändler „Top Service Team“ lakonisch bemerkt.
Nun könnte man aber auf die Idee kommen, daß durch das Label zumindest eine gewisse Ver-gleichbarkeit unter den Reifen hergestellt wird, weil alle denselben Testkriterien unterliegen. Doch hier erweist sich das Label vollständig als Farce, denn die Klassifizierung der Reifen nehmen die Hersteller selbst vor – ohne Prüfung und ohne Strafe beim Schummeln. Verstöße müßten von den EU-Ländern noch rechtlich geregelt werden, konstatiert Conti-Sprecher Bahlmann. Erst 40 Monate nach Einführung des Labels, im Frühjahr 2016, soll eine Bewertung des Labels durchgeführt werden. Bis dahin wird es vier Winter gegeben haben, und bis dahin sollen die Verbraucher offenkundig Winterreifen nach den – gänzlich anderen – Kriterien von Sommerreifen kaufen und sich dabei auch noch von kriminellen Herstellern aufs Glatteis führen lassen.
Der Auto- und Reisclub Deutschland (ARCD) fordert daher ein eigenes Label für Winterreifen und die Begutachtung der Reifen durch ein neutrales Prüfinstitut.
Praxistaugliche Informationen über die Qualität und Eigenschaften von Winterpneus erhält man nur durch die Testberichte in Fachzeitschriften, Autoclubs und Verbraucherschützern, empfehlen Continental und Michelin. Getestet werden von den Experten jedoch nur die Reifen von etwa 20 Marken – auf dem deutschen Markt werden jedoch über 80 verschiedene Fabrikate angeboten.
Verbraucherschützer warnen vor allem vor Billigangeboten im Internet.