Wie immer spannend und realistisch – „Bitter Lemon“, das fünfte Buch von Wolfgang Kaes, diesmal aus dem Bertelsmann Verlag

Der Autor ist Journalist mit Leib und Seele, das spürt man, er hat seinen Beruf, der zu seiner Berufung geworden ist, von der Pike auf gelernt, hat nie die Bodenhaftung verloren, wie man heute sagt. Der Mann, 1958 in der Eifel geboren, studierte Politikwissenschaft und ganz „nebenbei“ sicherte er seinen Lebensunterhalt als Waldarbeiter, Lastwagenfahrer, Taxifahrer und verdiente sich seine ersten journalistischen Sporen und sein kriminaltechnisches Wissen als Polizeireporter einer Kölner Zeitung. Und so fragt auch keiner weiter, dass Köln (und seine Lieblingsurlaubziele in Spanien) in allen seinen Büchern auch Handlungsorte sind, wo sich Spannendes in denjenigen Bereichen abspielt, die sich Wolfgang Kaes zum Thema gemacht hat.

Ob Kindesmissbrauch, der 11. September und seine Folgen, oder das Thema Stalking (in Herbstjagd), das eine elektrisierende Wirkung auf Leserinnen hatte, oder jetzt Menschenhandel – wenn spurlos Menschen (Frauen) in Osteuropa nach Westeuropa verschleppt werden -,es sind immer diese schlimmen Themen, die der Normalleser nicht so gerne liest, sie als „schlechte Nachrichten“ abtut, aber beim Autor Kaes werden sie in die Alltagsgesellschaft eingewoben und zu Schicksalen aus der Nachbarschaft, wie Kriminalberichte beweisen. Und leider nur zu oft auch die täglichen Nachrichten. In seinen Büchern, und in „Bitter Lemon“ einmal mehr, berichtet Kaes über Menschen und ihre grausamen Schicksale, ihr Leben und ihre oft verlorenen Träume. So sind es nicht nur „Spannungsromane“; seine Bücher sind Auseinandersetzungen mit den fatalen Folgen wie hier dem Menschenhandel, Frauen, die von Osteuropa nach Westeuropa verschleppt werden. Ganz allgemein kann hinzugefügt werden, dass ohnehin täglich viele Menschen verschwinden: Kinder, Erwachsene und auch ältere Menschen allein in Deutschland, von denen man nie wieder etwas hört.

Was für den Journalisten eine Nachricht, eine Reportage wird, wie er sie ohnehin gerne schreibt, das wird beim Autor Kaes ein ganzes Buch, ein Thriller. Dem Leser wird Konzentration abverlangt. Jedes Detail ist wichtig, wird bei dem Autor genau beschrieben, Gefühle schwappen über und die Angst. Und doch: Es ist keine unnötige Aufgeregtheit des Autors zu bemerken, so, wie er auch in seinem Leben bekannt ist als ruhiger, besonnener Mensch, der auch nachsichtig ist und Humor hat. Wie bei seinen vier vorangegangenen Büchern schreibt er ohne Effekthascherei, vielmehr ist dies der sorgfältig recherchierende Journalist, der Autor, der sich ein klares Konzept ausgedacht hat und es mit vielen Details klar und verständlich wie ein Film dem Leser nahebringt.

Wieder ist es in seinem fünften Buch ein aktuelles Thema, das dem Journalisten Kaes unter den Nägeln brennt: Es geht um den Handel mit der Ware Mensch, über die Allmacht des Fernsehens und auch vieler Medien, es geht um menschliche Probleme im Miteinander, er erzählt auch vom Wert und der Ohnmacht einer Freundschaft – und das alles in einer vielsträngigen Handlung mit Erzähltempo, das in Atem hält mit Personen, die „wirklich“ leben.

David Manthey und der Gastarbeitersohn Zoran Jerkov waren in ihrer Kindheit beste Freunde. Fast zwei Jahrzehnte später wird Manthey, inzwischen Ex-Polizist, von seinen Kölner Kollegen reaktiviert: Er soll Zoran aufspüren. Der ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er zwölf Jahre unschuldig gesessen hat. Nachdem er Rache geschworen hat, ist er untergetaucht. Und tatsächlich sterben nun Menschen, die mit seinem Fall zu tun hatten. Aber ist Zoran auch der Mörder? David Manthey kann es nicht glauben und will auf eigene Faust ermitteln.

Wolfgang Kaes schrieb Reportagen für den Stern, er arbeitete für das US-Nachrichtenmagazin TIME und ist heute Leitender Redakteur beim Bonner General-Anzeiger. Und vor allem ist er ein sehr guter Buchautor, der mit Gefühl für „seine“ Menschen in seinen Büchern schreibt, die sich dem Leser einprägen, als hätte er selbst das Beschriebene erlebt. Und das ist die eigentliche Kunst des Schreibens, die dieser Autor beherrscht.

Also: »Bitter Lemon« ist ein packender Thriller über den Handel mit der Ware Mensch, doch eigentlich ist es mehr als ein Thriller. Der Leser mag entscheiden. Jedenfalls ist das sechste Buch schon in Planung, wie Kaes bei einer Lesung in der Bad Honnefer Buchhandlung Dr. Werber seinem Publikum versicherte. Es dankte ihm mit herzlichem Applaus.

»Bitter Lemon« von Wolfgang Kaes

C. Bertelsmann Verlag, München

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 33,90
ISBN: 978-3-570-01120-1

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