Wie der Mensch sich und seine Umwelt inszeniert – Serie: „Malerei des Biedermeier 1815-1848“ im Wien Museum Karlsplatz (Teil 2/2)

Dieses Bild spricht auch deshalb eine eigene Sprache innerhalb der anderen Sujets, weil nun die Familienbilder – eines der Hauptmotive der Biedermeierzeit und auch hier innerhalb der rund 60 Gemälde und graphischen Werke – zentral vertreten sind. So einfach, daß alles nur auf Harmonie getrimmt sei, darf man es sich nicht machen, denn nicht nur die Machart, sondern auch die Aussagen dieser Familienbilder sind different. Ein großer Teil geht in eine Richtung, die heute in der Zuspitzung als Kitsch bezeichnet wird, womit gemeint ist, daß die Zurschaustellung von Zweisamkeit oder einem Familienverbund eine ideologisierte ist und nicht die jeweiligen Menschen in ihrem lebendigen Aufeinanderbezug darstellt sind, sondern Menschen als Rollenträger. Leopold Fertbauer verpaßt der kaiserlichen Familie ein bürgerliches Gewand und stellt um sie eine merkwürdige Menschenansammlung. Ein geradezu absurdes Bild, nimmt man es als Andacht und Ehrung des Kaisers und schräg, sollte damit Kritik geäußert werden was sicher nicht der Fall war.

Franz Schrotzberg steuert „Bildnis der Familie von Ferdinand Bergmüller“ um 1845 bei. Das war Mode beim Familienbild, im Garten vor weiter Landschaft zu sitzen, in würdiger Kleidung und mit einer größeren Kinderschar – hier sind es drei – versehen. Bergmüller war Vizebürgermeister von Wien und der Begleittext an der Wand deutet konkret die Weite der Landschaft hinter dem Vater als Ausdruck seiner beruflichen Aktivitäten in der Welt außerhalb der Familie. Entsprechend ist die von Weinlaub hinterfangene Mutter als Hüterin des häuslichen Herdes gekennzeichnet. Es sind nicht einmal die Rollenklischees, die einen auf Dauer irritieren, sondern die Vorzeigerolle, die Kindern aufgedrängt wird, weil sie entweder niedlich oder belanglos erscheinen, Zutaten zu einem bürgerlichen Leben, aber kein Selbstzweck als kleine Menschen.

Überblickt man dann eine ganze Gemäldewand mit einem Blick, fällt einem das Inszenierte der Bildinhalte besonders auf. Sobald Menschen dabei sind, sind diese auf die Wirkung, die das Bild entfachen soll, als Bildmuster orientiert. Grundsätzlich inszeniert jedes Bild, aber in dieser Reihung ist die Motivauswahl beschränkt. Man muß unterscheiden zwischen Genreszenen, wo die einfachen Leute Haus halten und solchen Menschendarstellungen, wie sie beispielsweise Ferdinand Georg Waldmüller oder Friedrich von Amerling leisten, in denen die Dargestellten eine individuelle menschliche Aura erhalten. In Verbindung mit den Naturbildern lassen sich auch Weiterungen auf andere Materialien wie Glas und Porzellan in der Ausstellung sehen. Das ist eine gute Idee, denn die als Bild vorgeführten Räume der Biedermeierwohnungen an den Ausstellungswänden zeugen ja vom Gesamtkunstwerk, als das sich der Biedermeierstil ein letztes Mal ausdrückt, wo alle Gegenstände eines Raumes einer gleichen ästhetischen Dimension folgen, für uns heute ein Alptraum, aber damaliger Fixpunkt.

So sieht man auch in der Ausstellung die Auswirkungen des neu entflammten Tourismus in die Nähe, wo dann aus Salzburg oder Prag, aus Brünn oder Wien Stadtansichten mitgebracht werden, Veduten als Zeichnung und Stich, aber auch gemalt auf Porzellan und Glas, und zusätzlich im Glas auch eingeritzt. Das war die neue wohlhabende Bürgerschicht, die unterwegs sein konnte, dies aber auch zu Hause zeigen wollte. Das Bildbedürfnis im Biedermeier war groß, weil die ersten Wellen der Industrialisierung ein Bürgertum produziert hatte, das sich jetzt stolz mit dem präsentieren wollte, was zuvor dem Adel selbstverständlich war: Bilder an den Wänden, darunter eben auch die Familienporträts, die das Bürgertum gleichsam adelten. Zum Vorzeigen waren auch die Blumenstücke, die in der Tradition der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts nun im bürgerlichen 19. Jahrhundert fröhlich Urständ feierten.

Diese repräsentative Blumenmalerei hatte zwei Besonderheiten. Zum einen war der Wirklichkeitssinn der Maler voll gefordert, die akribisch die Pflanzen in ihren Details abbildeten, aber zwischen die mitteleuropäischen Blütenstände exotische Gebilde setzten und manchesmal sogar reine Phantasiebouquets entstehen ließen, die durch die realistische Malweise täuschend lebensecht aussahen. Wenn gemeinhin gesagt wird, daß die Biedermeiermalerei in besonderer Weise bilderzählerisch wirke, hat das viel mit den Genreszenen zu tun, die unsere Phantasie fortsetzen, wenn wir Menschen beieinander sehen oder solche sozialen Themen wie Augenarzt, Pfändung, Geburt, Geburtstag oder Beerdigung betrachten. Aber auch deren Gegenteil kann für den Betrachter ein Erzählmotiv bilden: die reine, unberührte, heroische oder liebliche Natur.

„Heimkehr im Sturm“ von Friedrich August Gauermann zeigt dramatisch deutlich das Ausgeliefertsein von Mensch und Tier vor der Natur. Auch Meister Waldmüller ist dabei, wobei der Dachstein nicht fehlen darf. Sein Bild von 1833 mit dem Hallstättersee ist von der Hütteneckalm bei Ischl aus gemalt, aber das kann nicht sein, denn der See liegt so dicht vor einem, als ob der Maler direkt in Obersee nebst Steeg seinen Platz hat, links über ihm der Sarstein und auf den Krippenstein blickend, der als Vorberg den Weg zum Dachstein weist. Das unserem Überblick nach meistgemalte Bergmotiv des Biedermeier ist der Dachstein, meist allerdings mit den Gosauseen, was mit der neuentwickelten Ferienregion Salzkammergut und den Ferienwohnungen den Sommer über korrespondiert.

In Malweise, Sujet und Ausdruck dann völlig unterschiedlich und eigen „Ballonfahrt über Wien“ von Jakob Alt minutiös als Aquarell 1847 gefertigt und wie ein Stich wirkend. Alles ist in Aufsicht festgehalten, die Schindeln auf den Dächern, die Schornsteine, die mittelalterlich anmutende Bebauung, die kaum Straßenzüge zuläßt und im Vordergrund heraus- und hochragend der Stephansdom, dessen Dach im Sonnlicht liegt, dessen Bauhütte lange ein Geheimnis blieb und erst nach 1945 wiederentdeckt wurde. Der Ballon ist es, der den Blick anzieht und der oben heiter über der Stadt schwebt, und unten, winzig klein: der Mensch. Im gleichen bombastischen Auftritt ragt der Stephansdom in Alts Ölbild von 1834 auf, allerdings von unten nach oben gemalt. Aber auch hier, wo doch das Fundament die Perspektive des Menschen einnimmt, steht dieser verloren vor der Gewalt der Steine. Auch ein Lebensgefühl des Biedermeier.

* * *

Ausstellung: bis 17. Januar 2010

Katalog: Ein Katalog ist aus der zügig zusammengestellten Ausstellung aus dem eigenen Bestand noch nicht erwachsen, aber ein Begleitheft ist durch den Kurator Ralph Gleis in Vorbereitung.

Internet: www.wienmuseum.at

Reiseliteratur: Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22.oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.

Vorheriger ArtikelDie Trull, das wär’s! – „Glanz und Farbe. Glas und Porzellan aus zwei Wiener Privatsammlungen“ im Liechtensteinmuseum in Wien
Nächster ArtikelWo der Mops zum Mohammed wird – Serie: „Malerei des Biedermeier 1815-1848“ im Wien Museum Karlsplatz (Teil 1/2)