Die Deutschen wußten im Jahr 2008 schon vor diesem Film in der Mehrheit, daß die Verschwörer, aufrechte Deutsche, mit dem Attentat auf Hitler einen politischen Umsturzversuch begannen, der mit dem Tod des Hauptverdächtigen und Haupttäters, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, noch am selben Tag im Bendlerblock in Berlin endete. Aber in der Nachkriegszeit war das ganz anders. Da waren noch diejenigen in der öffentlichen Meinung am Ruder, die den Versuch des Tyrannenmordes als deutschfeindlich und vom Ausland gesteuert diffamierten.
Wie schlimm das Walten der Nazis noch in der Adenauerrepublik wirklich war, entlarvte jüngst der Film von Ilona Ziok „Tod auf Raten“ über einen anderen Aufrechten, über den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Ausschwitz-Prozesse), dessen erste Maßnahme als leitender Staatsanwalt in Braunschweig zuvor gewesen war, ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Nazi und Generalmajor Otto Ernst Remer wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (dieser sprach nicht nur von Vaterlandsverrätern, sondern wollte die noch Überlebenden des Attentats vor ein Gericht der Bundesrepublik bringen) anzustrengen, das er gewann und erst seit dem März 1952 in Deutschland posthum die Widerstandskämpfer des 20. Juli rehabilitiert waren. Remer wurde verurteilt und die Witwe des Attentäters Claus Graf Stauffenberg erhielt Offizierswitwenrente, die zuvor verweigert wurde, weil ihr Mann ein Vaterlandsverräter gewesen sei. Sehr langsam, aber durchschlagend wurden nach und nach die Verschwörer zu guten Deutschen.
Ach, hätte man damals schon alle Fakten gewußt, die Michael Marek in seiner gelungenen akustischen Dokumentation ans Licht holt. Er macht das sehr unterhaltsam, indem er direkt einsteigt und mit Originaltönen – aus Interviews mit Überlebenden und auch dem Sohn Stauffenbergs – uns dabei sein läßt beim Planen des Attentats und der „Operation Walküre, mit der nach Hitlers Tod das deutsche Reich in rechtsstaatliche Fahrwasser gelenkt werden sollte, nicht in demokratische, denn die Verschwörer hatten einen für uns antiquierten, aber für sie überzeugenden Staatsbegriff vom ’Heiligen Deutschland`.
Wieso und was das heißt, wird beim Hören genauso entschlüsselt, wie die Durchführung exakt nacherzählt wird (mit O-Tönen!) und das Scheitern dokumentiert wird, bis hin zu den Schauprozessen vor dem sogenannten Berliner Volkgerichtshof. Der Schwerpunkt liegt zwar bei Claus Schenk Graf von Stauffenberg, aber in der Hörfolge weitet sich das auf den gesamten Widerstandskreis aus, von dem man weiß, daß bis zum April 1945 im Berliner Gefängnis Plötzensee 89 Menschen ermordet werden, denen die Mitgliedschaft oder die Unterstützung der Attentäter vom 20. Juli 44 angelastet wird.
In der Laufzeit von 75 Minuten arrangiert nun Michael Marek die Vergangenheit und damalige Gegenwart und die Zukunft dazu in neun Abschnitten, die sicherstellen, daß man erst einmal mit dem Ereignis selbst im Führerhauptquartier in der Wolfsschanze vertraut wird: dem vollendeten Tyrannenmord, wie Stauffenberg selbst glaubte. Zwei Gründe sind es, die das Attentat fehlschlagen lassen. Stauffenberg konnte infolge seiner eigenen Kriegsverletzung den zweiten Sprengsatz nicht scharf machen. Und die nahe Hitler abgestellte Aktentasche mit dem Sprengstoff wird, als Stauffenberg schon den Raum verlassen hat, von einem Anwesenden auf seine Seite gestellt, weshalb dieser bei Detonation dann mit drei anderen Hitlergetreuen tödlich verletzt wird.
Wir verfolgen wie in einem Krimi dann das weitere Geschehen. Stauffenberg fliegt mit Helfershelfern nach Berlin, gibt intern den Tod Hitlers bekannt, der nun die Operation Walküre ins Rollen bringt. Diese haben nämlich die Verschwörer sehr geschickt und erfolgsorientiert umfunktioniert. Denn gedacht war diese ’Walküre` – von der auf der CD gesagt wird, der Name habe gar nichts mit Wagners Oper zu tun, sondern sei willkürlich aus dem Alphabet genommen – von ihnen als genereller Notplan für das Deutsche Reich, falls es zu inneren Unruhen käme. Während der NS-Rundfunk meldet, Hitler habe überlebt, erhalten die Wehrkreisbefehlshaber Fernschreiben der Verschwörer, was jetzt zu tun sei. Wie meist bei widersprüchlicher Lage scheint die Untätigkeit den Betroffenen als am wenigsten gefährlich. Damit ist nicht nur das Attentat, sondern sind auch die staatlichen Folgen gescheitert.
Das alles ist grob vielen bekannt. Aber auf der CD wird man durch drei zusätzliche Hinweise klüger. Zum einen wird die dienstrechtliche Stellung von Stauffenberg geklärt, derzufolge er überhaupt direkten Zugang zu Hitler hatte. Er war Stabschef des Allgemeinen Heeramts in der Berliner Bendlerstraße, wodurch er Zugang zu den Lagebesprechungen in den Führerhauptquartieren erhält. Dort untersteht er dem Leiter Olbricht, unter dessen Obhut er ein militärisch-oppositionelles Netz aufbauen kann, wozu Carlfriedrich Goerdeler, Ludwig Beck und der Kreisauer Kreis gehören. Stauffenberg selbst sollte nach dem gelungenen Attentat im neuen Deutschland Staatssekretär im Reichskriegsministerium werden.
Die den Deutschen allgemein am wenigsten bekannten Verweise gelten drittens der ständestaatliche heilsbringenden Idee vom Deutschen Reich, die aus dem Dunstkreis des Freundkreises von Stefan George herrühren, dem Stauffenberg mit seinen Brüdern angehörte, die sich alle als Elite Deutschlands verstanden und im Rückgriff auf das Stauferreich sozusagen auf die Wiederkunft des Friedrich Barbarossa warteten, dessen Bart im Kyffhäuser längst eingewachsen ist, ein Bild, wie es derzeit auch die spannende Stauferausstellung in Mannheim präsentiert. Und in dem Kontext ist das einzige Fragezeichen zu setzen. Denn Michael Marek läßt die Wiederkunft des Friedrich II. erwarten. Das war aber nicht der Barbarossa, der als Friedrich I. in der heutigen Türkei auf dem Kreuzzug ertrank.
Die Besonderheit daran ist nun, daß bis ins 16. Jahrhundert tatsächlich der Staufer Freidrich II. als Heilsfigur galt, weil unter seiner Ägide die größte Ausdehnung des Deutschen Reiches bis Sizilien erfolgte. Allerdings kann man ihn kaum mehr als Deutschen bezeichnen, denn er lebte in Italien und fühlte sich auch so. Wohl mit den Nationalstaatsgedanken seit dem 16. Jahrhundert (Luther u.a.), ging deshalb die Übertragung des kommenden Herrschers, der alles Übel beseitigt und die Deutschen in ihre angemessene Stellung in der Welt führt, auf seinen Vater, also Friedrich I. Barbarossa über. Extrem, weil das Nationalstaatliche auch extrem wichtig wurde, dann im 19. Jahrhundert, dessen Kinder wir alles sind.
Uns hat das sehr beschäftigt, aber wir haben nicht herausbekommen, ob im Georgekreis etwa auf Friedrich II. rekurriert wurde. Was will man mehr, eine CD, die historisch Wichtiges richtig bringt und einen dann auch noch zum Nachdenken und Weiterforschen anregt, bei einer Frage wie der, wer im Kyffhäuser sitzt. Sitzen soll, muß man exakt sagen. Ach, wenn wir ehrlich sind, meinen wir, daß solche Tonaufnahme wie diese in jeden deutschen Haushalt gehört!
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Michael Marek, Stauffenberg. Eine deutsche Biografie, der Hörverlag 2008