Berlin, Deutschland (Weltexpress). Man muss jetzt ganz dringend die Bewohner Westeuropas davon überzeugen, dass morgen, nein, eigentlich schon heute, der Russe vor der Tür steht und unsere wunderbare, lebendige Demokratie zerstören will. Also schreibt die Bild (unter Berufung auf die Bundesregierung) ein Drehbuch.
Das die Bild Unfug schreibt, ist man ja gewöhnt. Inzwischen auch, dass die Bundesregierung Unfug schreibt. Aber das, was die Bild jetzt als „Kriegsszenario der Regierung“ verkauft und was auf einem 13-seitigen Papier der Bundesregierung für die Abgeordneten beruhen soll, ist eine besondere Perle. Interessant sind dabei vor allem die Hintergedanken.
Phase 1 soll nach diesem Bericht nicht kinetisch sein: „Desinformationskampagnen in Medien und sozialen Netzwerken sollen die Bevölkerung spalten, Vertrauen in die Demokratie untergraben. Cyberattacken, Sabotageakte und Angriffe u.a. auf Kraftwerke, Stromleitungen, Staudämme.“
Aha. Man bekommt gleich zu Beginn das Gefühl, dass die eigentliche Botschaft heißen soll, man befände sich längst im Krieg. Mit Russland. Ganz ohne dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wieder einmal danebenplappert. Schließlich wird das Lied von „Desinformation“ und „Vertrauen untergraben“ spätestens seit dem Corona-Notstand bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit angestimmt, schlicht, jedes Mal dann, wenn ein etwas anderer Ton zu hören ist.
Sabotageakte wären bei dieser Politik Zeitverschwendung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sorgt schon von alleine für die Sabotage, und die amerikanischen Freunde sind ebenfalls gern dazu bereit, siehe Nord Stream.
Aber gut, gehen wir zur Phase 2. „An der NATO-Ostgrenze marschieren russische Truppen auf. Die NATO stationiert zur Abschreckung eigene Truppen, die ersten Bewohner flüchten. Um NATO-Truppenbewegungen zu verzögern, nehmen Spionage, Cyberangriffe und Anschläge zu.“
Wann haben die Jungs das letzte Mal auf eine Karte geschaut? Also beispielsweise, wo die „Ostgrenze der NATO“ verläuft? In der wirklichen Welt sieht das so aus: Es gibt eine gemeinsame Grenze zu Estland und zu Lettland, und dann die Grenze rund um Kaliningrad. Zwischen Russland und der vermutlich fantasierten Grenze nach Polen liegt, wenn man von Kaliningrad absieht, das nur als Aufmarschgebiet für Vollidioten taugte, noch Weißrussland. Nur so als kleiner, pingeliger geografischer Einwand.
Außer natürlich, und da müsste man eine bisher verschwiegene Einsicht annehmen, es käme unten noch die Grenze zwischen Polen und der jetzigen Ukraine und der Grenzabschnitt zu Rumänien hinzu, dessen Länge aber völlig von der Entwicklung in Bezug auf Transnistrien/Moldawien abhinge.
Im Grunde beinhaltet das Szenario also als Voraussetzungen, dass die ganze jetzige Ukraine bis zur polnischen Grenze russisch ist (Wie sieht übrigens die gedachte polnische Grenze aus? So wie jetzt, oder so, wie sie nach einer Annexion Galiziens aussähe?). Sprich, wir reden von dem Ergebnis einer katastrophalen Niederlage des Westens, bei der man eigentlich davon ausgehen müsste, dass er, der Westen, endlich so weit zu Sinnen kommt, dass er weiteres Herumstochern am russischen Bären unterlässt.
Nachdem aber Phase 2 in diesem tollen Szenario folgt, ist das wohl nicht vorgesehen. Selbst schuld, könnte man da sagen. Wie auch immer, auf den Aufmarsch an der wo auch immer vorgestellten Grenze reagiert dann die NATO ebenfalls mit einem Aufmarsch, bei dem sie durch Anschläge behindert wird.
Ach ja, nicht zu vergessen, die flüchtenden Bewohner. Na, die Balten sind nicht so viele, das steckt ihr doch locker weg, oder? Vor allem, da der derzeit weitgehend rechtlose russischsprachige Teil wohl kaum einen Anlass sähe, sich ebenfalls auf den Weg nach Westen zu machen. Ehrlich, die Bevölkerung der drei baltischen Staaten zusammengenommen ergibt gerade mal ein mittelgroßes Bundesland.
In Phase drei soll es dann zu militärischen Angriffen auf die NATO kommen. Und zwar „punktuell mit konventionellen Waffen und nicht konventionellen Mitteln, auch auf Ziele in Deutschland“. Damit sei „die Schwelle zum klassischen Krieg“ überschritten.
Wirklich fantasielos, gibt es doch weit davor schon so viele Möglichkeiten, aus dem vermutlich vorklassischen Krieg in der Ukraine zum richtigen Ding zu kommen. Die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern beispielsweise. In der wirklichen Welt ist die NATO so viel einfallsreicher, was Provokationen angeht.
Jedenfalls, in der Vorstellung dieser Herrschaften (Muss man Kriegsplanung jetzt auch gendern?) stehen sich also brav aufgereiht die beiden Armeen gegenüber, und die Russen schießen ein paar Raketen über die Köpfe. Mehr steht da ja nicht drin in Phase 3. Was sehr interessant ist, denn hier kommt Phase 4: „Russland bricht mit seinem Militär bis nach Deutschland durch. Kampfhandlungen an Land, zur See sowie in der Luft auf deutschem Gebiet.“
Das ist jetzt richtig lächerlich. Weil irgendwie zwischen Phase 3 und Phase 4 der entscheidende Teil verloren gegangen ist. Da muss doch irgendwas passiert sein, wenn die jetzt nicht mehr an der Ostgrenze, also in Kaliningrad und der estnischen Grenze stehen; liegt ja alles nicht wirklich neben der deutschen Grenze.
Nun schön. Gehen wir einmal davon aus, es ginge nicht um die estnische, sondern um die polnische Grenze, unten in Galizien. Dann müsste die russische Armee, ehe es zu Phase 4 überhaupt kommen könnte, durch Polen marschiert sein. Wenn die NATO so reagieren sollte, wie sie vermeintlich reagieren will, hätte aber schon so gut wie alles NATO-Militär eben an diese polnische Ostgrenze verlegt werden müssen, sprich, ehe die russische Armee auf deutschem Gebiet ankommt, wären die NATO-Truppen ‒ weg. Aufgerieben. Erledigt.
Womit aber auch die Behauptung von „Kampfhandlungen auf deutschem Gebiet“ sofort Unfug wäre, weil die Bundeswehr ja Teil des Gesamtpakets wäre, das da irgendwo in Polen aufgerieben worden sein muss, damit es überhaupt zu Phase 4 kommt.
Wer soll es denn sein, der dann „zur See sowie in der Luft“ Kampfhandlungen vornimmt? Die USA vielleicht? Die machen sich doch immer einen schlanken Fuß, wenn es brenzlig wird, und ansonsten ist bis Phase 4 sowieso nichts mehr übrig. Schon gar nicht, wenn, wovon laut Bild „die Bundesregierung ausgeht“, die bösen Russen „chemische, biologische Kampfstoffe oder sogar taktische Atombomben“ einsetzen würden.
Wozu sie gemäß der russischen Militärdoktrin eigentlich gar keinen Grund haben, wenn sie gerade die NATO in Polen zerreiben. Aber „dem Kreml sei fast alles zuzutrauen, urteilt der Regierungsbericht“.
Und natürlich droht „der Kreml“ mit Kernwaffen. Das, was die Bild und leider auch die geistig überforderte Bundesregierung als Drohung deuten, ist eigentlich eher etwas wie ein Warnruf an einen Dreikäsehoch, dass eine heiße Herdplatte ganz schlimm Aua machen kann, also eine Ermahnung, die beide Seiten vor den Folgen des Dreikäsehochhandelns bewahren soll, aber dafür müsste man ja zuhören bei dem, was gesagt wird; was aber nicht geht, weil das immer ganz schlimme „russische Desinformation“ ist, von der man hinterher mindestens Pickel bekommt.
Wirklich interessant ist die Tatsache, sofern die Bild-Wiedergabe stimmt, dass im ganzen Szenario kein einziger Versuch vorkommt, irgendetwas aufzuhalten, mit so präklassischen Mitteln wie Diplomatie. Aber gleichzeitig all die interessanten Informationen, die der Krieg in der Ukraine so abwarf, wie die Probleme mit der Lieferung von Granaten, völlig außen vor gelassen werden.
Die nicht erwähnte Phase 3 ½ könnte nämlich auch so aussehen: Die russische Armee stellt sich auf, gräbt sich ein und wartet, bis die Munition der NATO alle ist. Der Rest könnte dann fast friedlich ablaufen, und es gäbe wenige Jahre später ein paar hübsche Schnellbahntrassen zwischen Moskau und Peking mehr.
In Wirklichkeit ist dieses völlig irre Drehbuch ein Mittel zum Zweck, das auf genau zwei Dinge abzielt: mehr Geld in die Rüstungsindustrie zu schaufeln, und, indem man „Phase 1“ in ein derartiges Märchen einsortiert, eine weitere Runde Repression in Deutschland selbst auszulösen. Sonst ist dieses Konstrukt nur eines – ein weiterer Beleg dafür, dass Denkfähigkeiten innerhalb der Berliner Blase ausgesprochen sparsam verteilt sind.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 1.3.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
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