Wie Angela Merkel die CDU zerlegt – und warum das alle Deutschen etwas angeht

«Seit Jahren hat man den Eindruck, dass die CDU nach den Gesetzmäßigkeiten des ”¹demokratischen Zentralismus”º von der Parteivorsitzenden von oben nach unten durchregiert wird.» «Demokratischer Sozialismus» war das Prinzip im Aufbau der einstigen SED: Von oben nach unten hat die gewählte Parteiführung die Direktiven durchgegeben, denen alle Parteimitglieder Folge zu leisten hatten.

Ein Blick auf die Regierungsbildung in Baden-Württemberg nach den für die CDU verlorengegangenen Landtagswahlen vom 13. März 2016 bestätigt die These von Willy Wimmer hundertprozentig. Jahrzehntelang hatte die CDU in diesem Bundesland regiert, zum Teil mit einer deutlichen absoluten Mehrheit der Wählerstimmen im Rücken. Umso schmerzlicher war es für die Partei, als 2011 eine Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD die Regierungsgewalt übernahm und einen grünen Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann, stellte. 2016 sollte die Schlappe wettgemacht werden. Aber die CDU des Landes litt allzu stark unter der bundesweiten Ablehnung der Regierungspolitik in Berlin und sank so tief in der Wählergunst, dass sie nur noch zweitstärkste Partei im neuen Landtag wurde. Auch die eher sanfte Distanzierung des Spitzenkandidaten der CDU Guido Wolf von der Migrationspolitik der Kanzlerin halft nichts mehr.

Guido Wolf, der als Spitzenkandidat seiner Partei anfänglich die Koalitionsverhandlungen mit Bündnis 90/Die Grünen führen wollte, wurde auf Direktive der Kanzlerin hin indes schnell an den Rand gedrängt und durch den Landesvorsitzenden der Partei, Schwiegersohn von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Vertrauten von Angela Merkel, Thomas Strobl, ersetzt. Strobl war vor den Wahlen Gegenkandidat zu Guido Wolf bei der Wahl des Spitzenkandidaten der Partei im Landtagswahlkampf gewesen, bei einer Abstimmung durch alle Parteimitglieder des Landes aber unterlegen. 

Trotzdem übernahm Strobl auf Seiten der CDU in den Koalitionsverhandlungen das Zepter, und bei der Besetzung der Ministerämter führte er praktisch allein die Regie. Das Ergebnis: Die Wertekonservativen der CDU in Baden-Württemberg und die ausgewiesenen Kritiker der grün-roten Politik der vergangenen 5 Jahre gingen leer aus oder wurden, so wie Guido Wolf, mit minder wichtigen Posten bedacht. 

Besonders deutlich zeigte sich das bei der Besetzung des für die Schulen zuständigen Kultusministeriums. Die CDU in Baden-Württemberg hatte in den vergangenen Jahren die Bildungspolitik der grün-roten Regierung – anders als andere Landesverbände der Partei, die sich mit den fragwürdigen Schulreformen der vergangenen Jahre mittlerweile arrangiert und dabei bisherige Grundlagen der Partei aufgegeben haben – zum Teil deutlich kritisiert und auch noch im Wahlkampf geschrieben: «Die Gemeinschaftsschule ist gescheitert – Grün-Rot ist gescheitert. Bildungspolitik ist das Herzstück der Landespolitik. Wer hier versagt, gehört abgewählt. Neben den Problemen an Gymnasien und Realschulen sind es vor allem die Qualitätsmängel der Gemeinschaftsschule, die Grün-Rot ein schlechtes Zeugnis ausstellen.» 

Für diese inhaltliche Position stand vor allem der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag und frühere Staatssekretär im Kultusministerium, Georg Wacker. Er durfte zwar noch die Koalitionsverhandlungen zum Thema Schule und Bildung auf Seiten der CDU anführen, ging aber bei der Besetzung der Ämter leer aus. Neue Kultusministerin wurde die CDU-Politikerin Susanne Eisenmann, eine Befürworterin der grünen Bildungspolitik und deren Hauptprojekt «Gemeinschaftsschule». Wacker wurde nicht einmal wieder Staatssekretär. Den Posten erhielt Volker Schebesta. Und die «Stuttgarter Zeitung» schrieb am 10. Mai nicht ohne Grund: «[”¦] dass Volker Schebesta Staatssekretär bei der neuen Kultusministerin Susanne Eisenmann wird, nicht aber Georg Wacker, der dieses Amt von 2006 bis 2011 inne hatte, sorgt für Erstaunen. Hier hat Eisenmann, die ebenso wie Schebesta ein pragmatisches Verhältnis zu Gemeinschaftsschulen hat, wohl ein gewichtiges Wort mitgeredet.»

Der große «Unmut in der CDU-Landtagsfraktion» («Stuttgarter Zeitung» vom 10. Mai) über das Vorgehen der Abgesandten von Angela Merkel äußerte sich deutlich bei einer Probeabstimmung in der Fraktion und dann auch noch bei der Wahl des neuen (alten) Ministerpräsidenten am folgenden Tag. Indes: Solch ein Protest wird «ausgesessen»; denn auch in Baden-Württemberg soll das vollzogen werden, was innerhalb der Gesamtpartei von wertkonservativen Kreisen wie dem «Berliner Kreis» kritisiert wird: die Aufgabe grundlegender Werte der Partei. 

Was in der CDU passiert, ist indes nicht nur ein parteiinternes Trauerspiel. Angela Merkels Umgang mit der CDU findet Entsprechungen in der SPD und auch in der FDP. Letztlich geht es um einen Angriff auf die Rolle demokratischer Parteien in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat. 

Die deutsche Parteiengeschichte beginnt nicht zufällig mit der Revolution der Jahre 1848 und 1849. Die Bildung von politischen Parteien war ein Ausdruck eines gegen den Absolutismus gerichteten ersten Schrittes hin zu einer Demokratisierung des politischen Lebens. 1848 ist das Geburtsjahr christlich-konservativer, liberaler und sozialistischer Parteien in Deutschland. Noch richteten sich die Christlich-Konservativen, der tonangebende Teile der Liberalen und der marxistische Flügel der Sozialisten gegen eine wirkliche Volkssouveränität. Aber Grundsteine waren gelegt, und 100 Jahre später, nach dem Zweiten Weltkrieg, bekannten sich CDU und CSU, die in der Tradition der Christlich-Konservativen standen, die FDP in der Tradition der Liberalen und die SPD in der Tradition der demokratischen Sozialisten mit der federführenden Mitarbeit am westdeutschen Grundgesetz zum Grundsatz der Volkssouveränität.

Wenn all dies heute nicht mehr gilt und stattdessen aktiv demontiert wird, und dafür spricht der Kurs von Angela Merkel, dann geht das jeden Bürger etwas an. Es geht nämlich um nichts anders als das, was Willy Wimmer diagnostiziert hat: einen neuen Obrigkeitsstaat und eine Politik im Interesse von wenigen «am Staatsbürger vorbei». Diese «Interessen» richten sich gegen die große Mehrheit der Bürger. Was das inhaltlich heißt, innenpolitisch und außenpolitisch, kann sich jeder ausmalen.

Anmerkungen:

Das Interview von Willy Wimmer unter dem Titel "Wir wollen unser Land zurück" datiert vom 13.05.2016.

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Karl-Jürgen Müller
Karl-Jürgen Müller ist Lehrer in Deutschland. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde. Er lebt in der Schweizerischen Eidgenossenschaft und schätzt die direkte Demokratie und politische Kultur in der Schweiz sehr.