Und auch das glauben wir ihm aufs Wort, so unwahrscheinlich einem manches vorkommt, was die deutschen staatserhaltenden Institutionen angeht, wie den Verfassungsschutz oder die höheren Chargen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft und ihre Kumpanei mit ausländischen und inländischen Verbrechern. Wir glauben ihm auch das Allerunwahrscheinlichste: Daß nämlich ein Serienkiller im Auftrag staatlicher Stellen so manchen Bösen umlegt, dann aber aus eigenem Antrieb von diesen die schlimmsten Buben ausschaltet. Durch Mord natürlich. Durch Serienmord.
Die Geschichte in Kurzfassung geht kaum zu erzählen, weil die Zusammenhänge zwischen dem Musikproduzenten Bruhns und anderen „Opfern“ sich über junges Frischfleisch in Form von sehr junger Mädchen, auch Kindern ergeben. Was da aufs Tapet kommt, was die bundesdeutsche Wirklichkeit angeht, das hätte man lieber schlecht geträumt, als in einem Kriminalroman serviert erhalten. Und auch wenn einem die Motive des rätselhaften, aber ebenfalls abscheulichen Staatsschützers verschlossen bleiben, der den besten Polizeihunden Fleisch in Form von Informationen anbietet, freut man sich, daß so die Geschichte ihren Gang nimmt.
Zartbesaitet darf man nicht sein, wenn man dieses fast 600 Seiten starke Werk liest, denn die Morde sind ja noch das wenigste, viel schlimmer ist das, was man über das Umfeld von Kindesmißbrauch, Frauenversklavung, Zwangsprostitution und Menschenhandel lesen muß, manchmal auch in Details, die einem Andreas Franz nicht erspart. Das ist richtig, damit nicht der Schauer, den er durch spannendes Erzählen erzeugt, ein allzu wohliger bleibt. Die Spannung kommt diesmal aus einer ganz anderen Ecke. Sonst sind es die Kommissare, hier seine Kieler Mannschaft Lisa Santos und Kumpan Sören Henning, die die Morde aufklären. Hier fängt es im Selbstbespräch mit dem Mörder an, der auch noch diese Kommissare auf dem Laufenden hält und gute Ratschläge zur Aufklärung gibt, was nötig ist, mischen doch deren Vorgesetzten übel mit, noch dazu in die falsche Richtung.
Die Spannung also ergibt sich aus unserem Wissen um die Vorgänge, weit über die Ahnungen von Santos/Henning hinaus, und der Erwartung, was am Schluß passiert, wenn der gesuchte Serienmörder, aber im besten Sinne gesellschaftlicher Gutmensch sein Werk getan hat. Muß er daran glauben? Heißt das Gerechtigkeit? Andreas Franz geht viel raffinierter vor und wir werden den Teufel tun und seine Schlußpointen verraten. Das ist das eine.
Das andere ist, daß Franz den Frauen mehr zutraut als den Männern. Nicht nur beim Ermitteln und „seinen Mann stehen“, was schon längst im allgemeinen Sprachgebrauch „ihre Frau stehen“ heißen müßte, sondern auch, was das Leben angeht. Hoffnung auf Verbesserung sieht er nur bei den Frauen und auch wenn diese seltsame Blüten sind wie die schöne und einsame Witwe Sarah Schumann, so keimt doch nur in ihrem Umkreis Hoffnung auf Besserung der menschlichen Gesellschaft. Manchmal schießt Franz über das Ziel hinaus, wenn er die Liebeszenen gar zu konventionell beschreibt, d.h. diese Szenen mit wahrlich abgegriffenen Begriffen garniert. Aber man versteht, was er ausdrücken möchte und daß das Wichtigere für ihn die gesellschaftliche Schieflage bleibt, die auch in der Bundesrepublik in der Gemengelage von Wirtschaft-Politik- Verfassungsorganen und Menschenhandel zum Ausdruck kommt.
Und deshalb verzeiht man ihm auch manchen sprachlichen Schnitzer, den im übrigen die Lektoren hätten eliminieren können, und konstatiert bei diesem Roman, daß ihm bei den holzschnittartig vorgeführten Personen mit dem von Bruhns geschaßten Mitarbeiter Weirich eine ausgezeichnete psychologische Studie geglückt ist, die man ob ihrer echten Existenzanstriche länger im Gedächtnis behalten wird als die kalten und auch langweiligen Übeltäter.
Das Buch ist im November 2009 abgeschlossen worden und liest sich wie ein Begleittext zu den täglichen Meldungen in den Zeitungen über widerliche Pädophilie, ihre Täter und Opfer. Das ist auch eine Kunst, seine Zeit rechtzeitig zu beschreiben. Andererseits sind nur die Meldungen aktuell, der Sachverhalt ein uralter, der endlich mit voller Pulle, also auch im Kriminalroman vorgebracht wird. Gut so.