Das Theater des Lebens – 50 neue Nachrichten aus Neukölln

Neukölln reloaded: Uli Hannemann hat wieder zugeschlagen. Nach „Neulich in Neukölln“ haben wir nun drei Jahre später neue Ergüsse zu einem der  hippsten Ekel- Stadtbezirke vorliegen. Schön, dass sich die Lesebühnen-Kollegen Werning und Hannemann in verschiedenen Kiezen angesiedelt haben, um diese federfrech und leicht auseinander zu nehmen. Was dem einem sein Wedding, ist dem anderen sein Neukölln. Und dabei soll es bleiben, die anrückenden fremdländischen „Klons“ und Künstler werden wieder verschwinden, wie Hannemann böse böse in der Geschichte „Vorwärts nimmer, Rückwärts immer“ orakelt.

„’Einije meiner Kumpels ham sich damals tatsächli` umjebracht.` Kalle schluckt einen dicken Kloß hinunter, bevor er weiterspricht. Die meisten seien doch Hals über Kopf in den Wedding geflüchtet, wo sie wenigstens einen Hauch von Heimat fanden. Andere versuchten in Neuköllner Partnerstädten wie Offenbach, Magdeburg oder Gaza ihr Glück.“ Während Kalle dies erzählt, packen die letzten weinenden oder fluchenden Briten, Amis und Hannoveraner ihre Macs und Hängematten in den Mietlaster. Neukölln ist zurückerobert von den Kalles und Hottes, von Ralle und Wolle, die nicht einmal davor zurückschreckten, sich in die WGs der ungeliebten Zugezogenen einzuschleichen. Die Kalles hängten in ihren Galerien gar Streichzeichnungen von Pullern auf, bestellen Thainutten in die WG und fingieren Messerstechereien”¦

Mann, Hannemann, du übertreibst jewaltich! Aber gegenwärtig ist wieder Alltag zwischen Hermannplatz und Karl-Marx-Straße, die Jogger joggen, Verrückte rufen Gott an, Alte eiern gekonnt über zugeschissene Bürgersteige, Pisser pissen die Hausflure voll und Kinder rufen, „ey, ich ficke deine Mutter, ey.“ Was gibt es Neues? Der Flughafen Tempelhof ist geschlossen, für die Bevölkerung geöffnet und „dient nunmehr als weitere dringend benötigte Ablagefläche für Hundekot.“ Die Vokabel „Kreuzkölln“ ist neu, auch Jo-Jo-spielende Erwachsene, Anglerhütchen, Becks Gold und die „Zufriedenheitsgarantie“ bei Fielmann.  
Übrigens ist den fünfzig im Schnitt dreiseitigen Storys eine Geschichte vom Bolz-Platz der Autonama (Autorennationalmannschaft) in der Mitte Berlins beigefügt, in welcher auch Uli Hannemann seit Jahren tapfer Körpereinsatz zeigt. Außerdem gibt es ein schnoddriges Vorwort und ein sehr hilfreiches Glossar, aus dem zu guter Letzt zitiert sei: „Flashmob: Viele – vor allem junge – Menschen verabreden sich kurzfristig, um massenhaft dasselbe zu machen. Nicht zu verwechseln mit: Ferien, Nationalsozialismus, > Kasper.

Kasper: Jonglierer, Balancierer und sonstige Ausübende von „allerley Klaunswerk und Gaukeley“ (Walther von der Hasenheide). Besonders an Wochenenden zunehmend in der > Hasenheide zu besichtigen. Gab es > früher nicht.“

Fazit: Kauft die Neuköllner Spaß-Fibel, lest in der U-Bahn, im Wartezimmer beim Zahnarzt oder bei Fielmann und verschenkt es massenhaft!

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Uli Hannemann, Neukölln, mon amour, Anekdoten vom Boden der Tatsachen, 206 Seiten, Ullstein Verlag, November 2011, 8,99 €

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