„Whistle-what?“, entgegnet ein Freund, Ende zwanzig, Akademiker, gehobene Mittelklasse, auf meine Frage nach Edward Snowden. Das ist keine Seltenheit in Griechenland. Geradezu nichtig erscheinen Themen wie Privatsphäre im Internet, Abhörskandale und flächendeckende Spionage angesichts der fundamentalen Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat. Vielen Griechen geht es ans Eingemachte. Keine Ersparnisse, keine Aussicht auf Arbeit, kein Zugang zum Gesundheitssystem und nach wie vor ein Verwaltungsapparat, der gerade an den entscheidenden Stellen mit grundlegenden Strukturreformen auf sich warten lässt.
Korruption lähmt das Land
Dies aber liegt nicht allein an der Bewegungslosigkeit des politischen Apparates, sondern auch daran, dass Korruption Bestandteil des griechischen Alltags ist. Erkaufte Gefälligkeiten, Bestechungsgelder als feste Institution und ein ausgeprägter Hang zur Vetternwirtschaft halten das Land fest im Griff. Während in der BRD der Umgang mit den Spionagetaktiken der USA – nicht zuletzt auch aufgrund der Affäre um das Kanzlerinnenhandy – zu einem veritablen Vertrauensbruch zwischen den Bürgern und ihrer Regierung geführt hat, lebt man in Griechenland bereits seit langem mit der Gewissheit um die undurchsichtigen Machenschaften der Volksvertreter.
Dass dabei gerade die durch Snowdens Enthüllungen an die Öffentlichkeit geratenen Informationen an eben diesen Gewohnheiten rütteln, wird nur von wenigen zur Sprache gebracht. Und dann in der Regel Menschen, die sich ohnehin für dieses Themenspektrum interessieren: Internetspezialisten, Blogger, Demokratieaktivisten. Das Gros der Gesellschaft aber verharrt im Krisenmodus.
Privatsphäre ist kein Luxusgut
Ich treffe Christina Sereti, 45, Gründungsmitglied der griechischen Piratenpartei und Internetaktivistin der ersten Stunde. Sie führt das mangelnde Interesse an Snowden auch auf fehlende Netzkompetenzen zurück. „In vielerlei Hinsicht befinden wir uns in einem Land von Computer-Analphabeten.“ Dabei könne man älteren Menschen durch Vergleiche mit dem Postgeheimnis zu Zeiten der Militärjunta durchaus deutlich machen, warum Regeln, die für Papier gelten, auch im Internet einzuhalten sind. Jungen Menschen aber fehle die Erfahrung mit der Diktatur. „Der Durchschnittsgrieche denkt sich: ’Sollen die mich doch abhören.’ Die Leute müssen endlich begreifen, dass die Privatsphäre im Netz genauso wichtig ist, wie im realen Leben.“
Ähnlich sieht das auch Eleanna Ioannidou, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Bürgerrechte und eine der wenigen Grünen-Abgeordneten im Stadtrat von Thessaloniki. „Die Menschen hier sind derzeit mit ganz anderen Dingen beschäftigt, die dann teilweise auch als Rechtfertigung dafür benutzt werden, sich ausschließlich um sich selbst zu kümmern.“ Doch genauso funktioniere das griechische System. „In der derzeitigen Situation investieren die Griechen zuviel Zeit in das alltägliche Überleben, oft erfolglos. Aus diesem Grund fehlt vielen der Wille, sich mit gemeinsamen Herausforderungen zu befassen.“
Kein Interesse bei Leitmedien an Bürgerrechten
Bei alldem spielen die Medien eine zentrale Rolle. Die Nachrichten fokussieren die Krise und begünstigen damit die einseitig-pessimistische Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Themen wie Krieg in Gaza, der Konflikt um die Ukraine oder eben Edward Snowden und die NSA werden zwar am Rande erwähnt, gehen jedoch im Meer einer quantitativ gewaltigen, dabei qualitativ oberflächlichen Berichterstattung zur Lage des Landes unter. Eleanna, ehemalige Pressesprecherin der griechischen Grünen sieht dafür vor allem einen Grund: „Die Leitmedien in Griechenland werden stark kontrolliert. Über nichts von dem, was wir als grüne Partei an die Öffentlichkeit kommuniziert haben, ist bisher berichtet worden.“
Dabei haben die Griechen allen Grund dazu, sich um ihre Privatsphäre zu sorgen. Allein 2013 sind mehr als 4000 Telefonleitungen abgehört worden und auch in anderen Bereichen zeigt sich der Staat wenig interessiert an Datenschutz. Erst kürzlich wurde dies im nordgriechischen Chalkidiki deutlich, wo die Polizei DNA-Spuren von Bürgern sammelt, die gegen die Zerstörung ihrer Lebenswelt durch die Wiederinbetriebnahme einer alten Goldmine demonstrieren. Diese ist von der TAIPED (der griechischen Treuhand) zu einem Spottpreis an eine kanadische Firma verkauft worden. Für die Region, in der Aristoteles geboren wurde und für die der Tourismus und die Landwirtschaft die Haupteinnahmequellen darstellen, werden verheerende Umweltschäden prognostiziert.
Nach einem Vorfall, im Rahmen dessen eine handvoll extremer Demonstranten einen Wachmann überwältigt und gefesselt hatten um danach das (nicht mehr bemannte) Wachhaus vor dem Grundstück der Goldmiene in Brand zu setzen, versucht Athen, die gesamte Protestbewegung zur terroristischen Gruppierung zu erklären. Dabei ist die örtliche Polizei nun dazu übergegangen, nicht nur am Tatort, sondern auch in den umliegenden Dörfern systematisch DNA-Spuren zu sammeln. Diese sollen Demonstranten im Zweifelsfall als potentielle Terroristen überführen; ein klarer Verstoß gegen Bürgerrechte.
Keine Transparenz ohne Privatsphäre
“Der griechische Staat vertraut seinen Bürgern nicht. Faktisch jeder wird wie ein Krimineller behandelt” , erläutert Christina. “Dinge wie Freiheit und Privatsphäre haben in unserer Vergangenheit eine große Rolle gespielt. Dafür haben wir in der Revolution gekämpft. Jetzt aber sind die Menschen so fokussiert auf Geld, dass diese Werte in Vergessenheit geraten.“ Dabei scheint sich gerade dies im Kontext der Krise als Teilursache der immer auswegloser erscheinenden Situation zu erweisen. Denn: Griechenland hat Geld. Wo die vielen Milliarden aber verlorengehen ist über öffentliche Kanäle selbst für Mitglieder des Parlaments kaum in Erfahrung zu bringen.
„Es gibt einen wesentlichen Zusammenhang zwischen Transparenz und Privatsphäre“, verdeutlicht Christina die Lage. „Privatsphäre ist ein Grundrecht des Bürgers, während Transparenz sich auf die Regierung bezieht. In Griechenland geht letztere aber gegen Null. Hätten wir mehr Transparenz, könnte man genau sagen, wo Geld ist und wo es verschwendet wurde. Wir sollten die Regierung ausspionieren und nicht andersherum.“
Was bei der Debatte um Snowdens Enthüllungen also unterschätzt wird ist vor allem eines: Eine breiter ausgelegte Auseinandersetzung hinsichtlich der Krise könnte sich effektiv mit den Ursachen und nicht nur den Symptomen beschäftigen. Dabei bietet der Fall Snowden und der Umgang der USA mit ihren Partnern außerdem die große Chance, sich in einem gesamteuropäischen Dialog über die noch ungeklärten Grundsätze des Staatenbundes zu verständigen.