Von den zwölf Personen im Stück tragen fünf den Nachnamen Tomason, wobei zwei von ihnen mit den anderen nicht verwandt sind. Der Name hat, wie Finn Tomason (Jörg Pose) später erläutert, tiefere Bedeutung: Ein Japaner dokumentierte Dinge, die ihren ursprünglichen Zweck verloren haben und nannte sie „Thomasson“. Deshalb sind die Personen im Stück, denen der Sinn ihres Daseins abhanden zu kommen droht, die Tomasons.
Andere Namen bedürfen keiner Erklärung. Da gibt es den liebenswerten Bestatter Josef Erbarmen (Helmut Mooshammer), der die junge Mira (Olivia Gräser) heiraten und verhindern möchte, dass sie ihr Kind abtreibt. Mira heißt mit Nachnamen Halbe, weil sie nur ein halbes Elternteil hat, denn ihre Mutter wurde durch eine anonyme Samenspende schwanger.
Ein Kind, dem väterlicherseits keine Vorfahren zu präsentieren sind, möchte Mira nicht in die Welt setzen. Deshalb macht der barmherzige Josef sich auf, um Miras Vater zu finden, was ihm auch gelingt. Er landet bei einem Ehepaar mit dem geläufigen deutschen Namen Schmitt.
Auch hier: nomen est omen. Die Schmitts sind uninteressant und spießig. Das Wesen, das sie in ihrem Garten entdecken, halten sie zunächst für ein Tier, auf dessen Erscheinen sie mit ängstlicher Neugier warten. Da spießige Deutsche eher als tierlieb denn als menschenfreundlich gelten, sind die Schmitts nicht erfreut bei der Feststellung, dass es sich bei dem Eindringling in ihr Revier um Josef Erbarmen handelt, der noch dazu ein ungeheuerliches Anliegen hat.
Dr. Schmitt ist nicht bereit, sich zu den Mensch gewordenen Ergüssen aus seiner Studienzeit zu bekennen, und Frau Schmitt möchte davon schon gar nichts hören. Die Schmitts sind selbstverständlich Monstren. Katrin Klein als Frau Schmitt röhrt beim Sprechen wie ein Ungeheuer, und der tänzerisch versierte Bernd Moss wieselt als Herr Schmitt elegant umher und macht deutlich, dass er beweglich genug ist, um sich aus jeder Affäre herauszuwinden.
Josef wird ohne Erbarmen von den Schmitts erledigt, ganz leicht, beim Tanzen von einer Wand zur anderen, wobei Josefs Kopf jeweils gegen die Wand geknallt und dem schließlich Ohnmächtigen hinter dem Sofa mit Schlagwerkzeugen der Rest gegeben wird.
Regisseur Andreas Kriegenburg hat sich einiges einfallen lassen, um die inhaltlich wenig ergiebigen Szenen des Stück aufzupeppen.
Eindrucksvoll ist das von Kriegenburg entworfene Bühnenbild, ein riesiges Mühlrad, das an den berühmtesten Tomason der deutschen Literaturgeschichte, den Taugenichts von Eichendorff, denken lässt.
Auf den Schaufelblättern agieren die SchauspielerInnen, die beim Weiterdrehen des Rads artistische Balanceakte ausführen müssen. Das gemächlich Drehen des Mühlrads bremst allerdings das Tempo der Inszenierung. Verbunden mit der musikalischen Untermalung durch gefühlvolle amerikanische Songs aus den 30er Jahren ergibt sich eine einschläfernde Wirkung.
Dea Loher hat ein Episodenstück ohne durchgehende Handlung geschrieben, in dem die Personen nicht Menschen, sondern Problemträgerinnen sind. Der gesellschaftliche Rahmen ist weit gesteckt und schließt eine Supermarktverkäuferin ebenso ein wie Versicherungsmakler, einen Polizisten und einen Arzt.
Einige Figuren sind durch besondere Merkmale gekennzeichnet wie Linda Tomason mit ihrem magnetischen Zeigefinger. Die Ursache dafür ist, wie Linda später erklärt, ein Blitzschlag, der sie ereilt hat.
Zunächst entsteht der Eindruck, Linda habe die Funktion der Erzählerin, die durch das Stück führt. Sie spricht über sich in der dritten Person, und Judith Hofmann gestaltet ihre erste Szene äußerst anschaulich und spannend und macht neugierig auf den weiteren Verlauf. Aber Linda verliert sich unter den Anderen, die im Smalltalk zeitgenössische Probleme Revue passieren lassen.
Dea Lohers Sprache ist sehr schön, dabei aber so glatt, dass die Worte einfach vorüberrauschen. Nichts bleibt im Ohr.
Für die hervorragenden SchauspielerInnen, die in dieser Inszenierung agieren, sind die gestalterischen Möglichkeiten sehr begrenzt und sie haben kaum etwas Bemerkenswertes zu sagen.
Andreas Kriegenburg hat jedoch jede Chance genutzt, das Einerlei des Stücks zu durchbrechen. Er hat die skurrilen Einfälle der Autorin wirkungsvoll zur Geltung gebracht und die Bewegungsabläufe geschickt arrangiert.
Sehenswert ist Olivia Gräser, die mit viel Temperament und Berliner Schnauze ein echtes Kellerkind mit Herz und volkstümlich gesundem Menschenverstand gestaltet.
Susanne Wolff als Gabi Nowotny hat eigentlich keine rechte Funktion im Stück, und der Bericht, den Gabi bei der Polizei vorträgt, gehört in die Kategorie Blondinenwitze. Susanne Wolff versucht diese Peinlichkeit nicht zu verbrämen, ganz im Gegenteil. Wolff macht das Fass auf und liefert mit Berliner Dialekt und deftigen Kraftausdrücken eine hinreißend komische Szene. Allein dafür lohnt es sich, die Vorstellung zu erleben.
Es gab wohl tatsächlich für Jede und Jeden etwas bei diesem vierstündigen Theaterabend. Das Premierenpublikum applaudierte begeistert mit Bravo-Rufen für Dea Loher.
Die Uraufführung „Diebe“ von Dea Loher fand am 15.01. im Deutschen Theater statt. Weitere Aufführungen: 23., 24. 01. und 08. und 28.02.2010.