Anders die Charaktere im französischen „Orly“. In Schanelecs zwischen Episodenfilm und Drama angesiedeltem Berlinale-Beitrag besteigt niemand einen Flieger. Wiedersehen oder Trennungen gibt es auch nicht. Die Regisseurin und Drehbuchautorin nimmt in „Orly“ den Begriff ‚Wartehalle‘ beim Wort: man wartet. Wartet. Und wartet. Im Zuschauersaal genauso vergeblich wie auf der Leinwand. Ein halbes Dutzend zusammengewürfelter Fluggäste sitzen in „Orly“. Die Wege der Reisenden kreuzen sich nicht, jeder hockt für sich allein. Bestenfalls geraten Mann und Frau zufällig ins Gespräch, wie die frisch von ihrem Partner getrennte Juliette und der geschiedene Vater Vincent. Die Dialoge, welche sich in einer solchen Situation entfalten, bestehen aus Sätzen wie: „Mein Mann ist Psychotherapeut.“ oder „Ich wollte eine Badenudel kaufen.“ Die üblichen Nebensächlichkeiten, über die man sich mit Zufallsbekanntschaften unterhält. Fragen wirft dergleichen nicht auf – höchstens danach, was eine ‚Badenudel‘ ist. Vage scheint Liebe als unterschwelliges Thema der Handlung durch, doch Profil gewinnt das Drama dadurch nicht. Menschen telefonieren mit ihren Verwandten, lesen Bücher und knapper überteuerte Kekse aus dem Souvenir-Shop. Juliette lässt ihren Mantel liegen und im Fundbüro ist er auch nicht. „Ich bin ziemlich k.o. .“, bekennt Vincent. Die Zuschauer sind es auch. Vom Warten gelangweilte Kleinkinder wälzen sich in „Orly“ Trotzanfällen auf dem Boden. Im Kino möchte man es ihnen gleich tun.
Die Wartenden hingegen finden die anderen Wartenden so interessant, dass sie sie für Nachwelt festhalten wollen. „Fotografiere mal das Baby.“, sagt eine junge Frau, worauf ihr Freund erwidert: „Das ist penetrant.“ Gleiches gilt für das 86-minütige Meisterwerk an Redundanz. Die inhaltliche Leere von „Orly“ unterstreicht die Regisseurin in ihren Dialogen: „Warum erzählst du das, wenn es nicht wichtig ist?“; fragt ein jugendlicher Sohn seine Mutter. Eine andere Wartende bemerkt: „Ich weiß nicht, was ich meine.“ Angesichts der pseudo-philosophischen Auswüchse der Gespräche bezweifelt man, dass irgendeiner der Protagonisten das weiß: „Ich hatte das Gefühl, dass mir mein Glück nicht zusteht. Dass alles Zufall ist. Das ganze Leben.“ Wen es auf der Berlinale zufällig in eine Aufführung von „Orly“ verschlagen hat, der geht spätestens jetzt. Knapp über achtzig Minuten währt „Orly“. Wer die Zeitspanne auf dem gleichnamigen Flughafen der französischen Stadt absaß, weiß, wie lange sich knappe eineinhalb Stunden anfühlen können. „Da steht Flugsteg 39. Das ist in der anderen Halle.“ – „Willst Du schon hin?“ – „Ist noch Zeit:“ Und die muss man mit den Charakteren absitzen.
Der dramatische Höhepunkt der Handlung ist so hohl wie der gesamte Film. Alle Flüge abgesagt aufgrund eines „unvorhergesehenen Ereignisses“. Ein interessantes? Keine Ahnung, der Film verrät es nicht. Alles Warten umsonst. Nichts geht mehr. Mit dem Luftverkehr steht es wohl ähnlich schlimm wie mit der Bahn. Das Warten hat also auch in Zukunft kein Ende. Eine frohe Nachricht für die Liebhaber von Wartehallen-Filmen wie „Orly“.
Titel: Orly
Berlinale Forum
Land/Jahr: Deutschland 2009
Genre: Drama
Regie und Drehbuch: Angela Schelenac
Darsteller: Natacha Regnier, Bruno Todeschini, Mireille Perrier, Emile Berling, Maren Eggert
Laufzeit: 84 Minuten
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