„Ich liebe das Leben“, so ein zynischer Titel eines Bildes von 1967, in dem rechts oben ein Killer durch eine Wohnzimmertüre schreitet, vor ihm auf weißem Grund eine Leiche in einer roten Blutlache, links auf einer Wolke ins Nirwana schwebend ein junger Mann, aus dessen Pulsadern Blut rinnt. Rechst unten im Bild tropft gleichgültig der Wasserhahn der Zeit: Das Leben geht weiter!
Das Leben
1941 wurde Uwe Lausen in Stuttgart geboren. Der Vater, Willy Lausen, sollte nach dem Kriege Abgeordneter für die Sozialdemokraten im Stuttgarter Landtag, später im Bundestag, werden. Der hochbegabte Uwe Lausen, der früh klassischen Geigenunterricht erhielt, wuchs in einem liberal-antifaschistisch denkendem Umfeld auf. 1962 ging er nach München. Es war das Jahr der Schwabinger Krawalle, in dem Jugendliche dafür, daß sie musizierten, brutal von der Polizei niedergeknüppelt wurden. Lausen hatte gerade sein Philosophiestudium in Tübingen abgebrochen und versuchte sich in München kurzzeitig in der Juristerei, und wurde schließlich Maler. Der Autodidakt raste förmlich durch die Kunst seiner Zeit. In einer Zeit, in der die Abstraktion gefeiert wurde, malte er figurativ. Zunächst wurde er Mitglied der sich avantgardistisch verstehenden Künstlergruppe SPUR. Seine frühen Bilder mit Titeln wie „Portrait eines siamesischen Zwillings“ oder „Mein Leitbild: Gagarin“ sind wahre Materialschlachten.
Direkt aus der Tube trägt er, ähnlich wie Asger Jorn, die Farbe auf die Leinwand. Für die Zeitschrift der Gruppe SPUR schrieb er einen Artikel, „Brief eines Zurückgebliebenen“. Die Zeitschrift wurde beschlagnahmt, Lausen wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften, Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt. Seine Bereitschaft, für die eigenen Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen – den vom Vater organisierten Anwalt lehnte er ebenso ab wie ein Gutachten des Rektors der Stuttgarter Kunstakademie –, sorgte für große Bewunderung in linken Kreisen. Er wurde Mitglied der Situationistischen Internationale, die von einem revolutionären Umsturz träumte und ihn nach zwei Jahren, 1965, wieder ausschloß, weil er ein Happening organisierte, was den Situationisten viel zu reaktionär war.
Seine Kunst war und ist hochpolitisch (kann es eine unpolitische Kunst geben?), nach außen hin aber gab er sich bürgerlich. Und das nicht nur optisch. 1962 heiratete er die zwei Jahre ältere Fotografin Uta Stolz, mit der er zwei Töchter hatte. Einige ihrer Fotografien, auf denen Modelle die Gemälde ihres Mannes pantomimisch kommentieren oder die als Vorlagen für ihn dienten, sind in der Ausstellung zu sehen. Sie helfen einen Einstieg in die Gemälde zu finden. 1963 zog die junge Familie ins südlich von München gelegene Aschhofen, wo sie mit Hilfe der Eltern einen Bauernhof kaufte. 1968 kehrten die Lausens nach München zurück. Uwe Lausen hört auf zu malen und widmet sich der Musik. Zusammen mit dem Pianisten und Kinderbuchillustratoren Hans Poppel improvisiert er auf teils selbstgebauten Instrumenten. Aufnahmen dieser Musiksessions kann manfrau in einem Raum in der Mitte der Ausstellung hören, der die Wohnsituation der Lausens zeigen will: Flokatiteppich, moderne Möbel, Gemälde. Als Hintergrundmusik dient die Stimme eines Schauspielers, der Aphorismen des Künstlers vorliest. Nach mehreren Trennungen verläßt Uta ihren Mann 1969 endgültig. Er verliert jeden Halt, konsumiert verstärkt die Drogen LSD und Ketamin. Ein Jahr später nimmt er sich im väterlichen Haus das Leben. Er ist 29 Jahre alt.
Das Werk
Die von Selima Niggl (ihr Werkverzeichnis von Uwe Lausen soll in Kürze erscheinen) und Pia Dornacher kuratierte Ausstellung ist in der Schirn nicht chronologisch gehängt: das Beste zuerst. Den Anfang der mit 50 Gemälden und ebenso vielen Zeichnungen beachtlichen Retrospektive stellt die Hauptphase dar, die Werke von 1965 bis 1967. Realismus, Pop-Art, Op-Art, Psychedelische Kunst, Appropriation-Art und Comic sind Assoziationen, die einem beim Betrachten der Werke in den Sinn kommen. Es folgen in umgekehrter Chronologie die vielversprechenden Anfänge. Am Ende der Ausstellung ein Raum mit späten Gemälden aus dem Jahre 1968. Als die Revolution beginnt, wird Lausen brav. Die Bilder zeigen große Einzelformen, es wirkt ein wenig wie surrealistisch arrangierter Photorealismus. Aber die Tube ist leer, die Bilder schwach, Lausen in einer tiefen künstlerischen Krise. Vielleicht wollte er sich ja auch wieder mit der Gesellschaft versöhnen, „verständlichere“ Bilder malen, verkaufen und Verantwortung für seine Familie übernehmen…
Das erste und letzte Werk der großen Retrospektive, „Geometer“ von 1965, zeigt eine Technik des Samplings, die aktuell wieder bei siebzehnjährigen Berliner Starautorinnen Nachahmung findet. Den Hintergrund von „Geometer“ bildet eine hellblaue Fläche, die an Farbfeldmalerei der 1950er Jahre erinnert. Links unten im Bild schwarz-weiße Balken wie bei der Op-Art. Zwei körperlose Anzugträger in einer flächigen, realistischen Malerei, die modernem Schablonen-Graffiti ähnelt. Sie lehnen gegen Tafeln, die verletzte, zusammengekauerte Körper zeigen. Quer durch das Bild eine unterbrochene Diagonale, die an verwundetes Fleisch erinnert. Es herrscht ein Leiden am Körper wie in den Kreuzigungen Matthias Grünewalds. In der Mitte des Bildes ein paar rechte Winkel, vielleicht um dem Titel „Geometer“ gerecht zu werden, daneben psychedelisch anmutende weiße Punkte mit lilafarbenem Rand. Schade nur daß die Kunstbetrachtung am Beginn der Ausstellung aufgrund der Lärmverschmutzung aus den schrillen Boxen eines Minibildschirms, der neben dem Gemälde in die Wand eingelassen ist, beeinträchtigt wird. Vielleicht könnte manfrau in den kommenden Stationen den Besucherinnen und Besuchern die Wahl lassen und Kopfhörer anschließen?
Wenn Lausen Körper malt, dann meist fragmentierte, verletzte, letztlich „unschöne“ Körper. Penisse, Brüste, Körperfragmente sind wiederkehrende Motive. Er kann keine „schönen“ Körper mehr malen, zeigt keine Ästhetik des unversehrten, jungen, fitten Körpers wie etwa eine Leni Riefenstahl. Seine Bilder zeigen ein Unbehagen an der Kultur, wie es Theodor W. Adorno 1951 formulierte: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch“. Lausen will keine hübschen Bilder malen, keine geheuchelte Harmonie í la Heimatfilm zeigen. Er variiert das Motiv Wohnzimmer in allen Varianten. Trotz Blümchentapete und Ohrensessel ist es ein Ort der Ungemütlichkeit und der Gewalt.
Seine Malerei ist befremdlich, schonungslos und radikal. Als Benno Ohnesorg 1967 vor der Deutschen Oper von einem Polizisten erschossen wird, malt Lausen ein Bild mit dem vielsagenden Titel „Töte“. Es mutet skizzenhaft reduziert an. Affirmativ ein Button im unteren Bildteil, mit der Aufschrift „Töte mit Lausen“, als handele es sich hierbei um einen lustigen Volkssport. Ja, in dem Bild wird geschossen, aber mit Farbe. In Zeiten der Wiederbewaffnung Deutschlands ein mutiges Statement des „Was wäre wenn?“.
Das Gemälde „Grandiose Aussichten“ von 1967 (unsere Abbildung) könnte ein Filmplakat für den „Baader-Meinhof-Komplex“ sein. Es nimmt visuell den deutschen Herbst der späten Siebziger Jahre vorweg. Das Bild ist von einer aufwärtsstrebenden Diagonale gekennzeichnet. Darüber das weiße Nichts, darunter ein klaustrophobisch wirkendes bürgerliches Wohnzimmer in steiler Untersicht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Hauptfigur im Bild ist ein leerer, in Blautönen gemalter Stuhl aus kindlicher Perspektive, der zwei Menschen trennt: Vater und Sohn? Rechts im Bild ein gewinnend wirkender junger blonder Mann mit Sonnenbrille, der ein deutsches Maschinengewehr in seinen Händen hält. Die Körperhaltung ist lässig, in seinem Mund steckt eine fast fertig gerauchte Zigarette. Er ist in schwarz-weißer Schattenmalerei in monumentaler Untersicht wiedergegeben. Im Hintergrund, links des leeren Stuhls ein, schmerzgekrümmter Mann mittleren Alters, aus dessen Stirn blaues Blut strömt. Mit seiner Rechten hält er sein Herz, aus dem blaue und orangene Farbe rinnt. Das jugendliche Opfer des Patriarchats ist selbst zum Täter geworden.
In seinen Gemälden zitiert und transformiert Lausen Arbeiten von David Hockney, Allen Jones, Richard Hamilton, Francis Bacon, Gerhard Richter, Georg Baselitz sowie Cy Twombly. Seine damals schockierend-skandalösen Bilder suchen den Befreiungsschlag. Vieles scheint eine Vorwegnahme späterer Tendenzen. In nur sieben Jahren schuf Lausen ein spannendes, teils unbehagliches, heterogenes Werk, das heute aktueller denn je erscheint. Noch bis zum 13. Juni ist es in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, anschließend in der Villa Stuck in München und dann in der Sammlung Falckenberg in Hamburg wiederzuentdecken.
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Ausstellung: „Uwe Lausen – Ende schön Alles schön“ bis zum 13. Juni 2010 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt.
Weitere Stationen der Ausstellung: Museum Villa Stuck, München (25. Juni – 3. Oktober 2010), Sammlung Falckenberg, Hamburg (22. Oktober 2010 – 23. Januar 2011).
Katalog: Uwe Lausen – Ende schön Alles schön, hrsg. von Selima Niggl, Pia Dornacher und Max Hollein, HachmannEdition, Bremen 2010, 132 S., 130 Abb., ISBN 978-3-939429-76-0, 24,80 €