Im Tarifstreit mit dem Berliner Senat haben die Orchester der Komischen Oper und der Deutschen Oper bereits zweimal Opern- und Ballettaufführungen bestreikt. Was sagen Sie zur Forderung des Deutschen Bühnenvereins, die Streiks zu beenden? Haben Sie die Absicht, das Publikum zu vergraulen?
Die Arbeitgeber verwechseln Ursache und Wirkung. Selbstverständlich sind wir für unser Publikum da. Es gibt keinen Musiker, der nicht gerne spielt. Dass wir streiken müssen, hat uns die Arbeitgeberseite durch ihre sture Haltung aufgezwungen. Wir verlangen nicht mehr, als was den Musikern der Opern- und Kulturorchester in den anderen Bundesländern durch den neuen Tarifvertrag seit 1.Januar zusteht. Wenn wir streiken, sprechen wir mit den Opernbesuchern. Fast alle sagen, ihr habt recht.
Sie haben erklärt, es ginge Ihnen nicht um Prozente.
Die Deutsche Orchestervereinigung sagt aber, dass die Berliner Orchester um 12 % unter dem Flächentarifvertrag liegen. Der Senat bietet 4,46 %, und es bliebe eine Abstand von etwa 8 %. Was wollen Sie erreichen?
Es geht natürlich um Lohngerechtigkeit und Gleichbehandlung. Mit unseren Gehältern stehen wir noch beim Jahre 2002. Aber wir wollen nicht alles auf einmal. Es geht uns wirklich nicht nur um Prozente, sondern um die Garantie, die sowohl im alten als auch im neuen Tarifvertrag steht, dass unser Tarif erhöht wird, wenn die Tarife im öffentlichen Dienst steigen. Gerade dies war in der Vergangenheit der Grund dafür, dass Orchester nicht gestreikt haben. Aber nicht wir haben den Tarifvertrag gekündigt, sondern der Berliner Senat, nämlich indem er aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten und dem neuen Orchestertarif nicht beigetreten ist. Wir haben einen tariflosen Zustand. Der Arbeitgeber kann bei Neueinstellungen Gehälter nach Belieben festlegen. Junge Musiker können in Berlin schlechter bezahlt werden als anderswo. Kriegen wir damit gute Leute? Die Qualität der Orchester ist ihre Zukunft und nur so lässt sich die Zukunft unserer Häuser sichern.
Unsere Gewerkschaft hat ein Angebot gemacht: Wir stimmen dem sogenannten Potsdamer Abschluss zu, das heißt 4,46 Prozent mehr Gehalt plus 65 Euro ab 1. Januar 2010 und zwei Einmalzahlungen von 300 Euro 2011 und 2012. Dafür wird der alte Tarifvertrag vom 1.Juli 1971 wieder in Kraft gesetzt. Dann sind wir bereit zu verhandeln, bis wann wir das volle tarifliche Gehalt bekommen. Sicher muss aber sein, dass wir dem öffentlichen Dienst angepasst werden.
In der Presse wird von 4,46 oder gar 7 Prozent Gehaltserhöhung gesprochen. Werden dabei die Zugeständnisse beachtet, die Ihre Gewerkschaft gemacht hat?
Eben nicht. Wenn wir den neuen Tarifvertrag bekämen, würde das Urlaubsgeld gestrichen und das 13. Gehalt von 82 auf 72 Prozent gekürzt. Der Aufschlag von 65 Euro gleicht nur diese Einbußen aus.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf der Berliner Zeitung, die Opernorchester wollten nur ihre Privilegien wahren – sie wären unverschämt, unsolidarisch und verantwortungslos? Sie wollten nicht die Bedingung annehmen, mehr gegenseitige Aushilfen zu leisten.
Fühlen Sie sich unsolidarisch, wenn Sie nicht die gleiche Tariferhöhung akzeptieren wie die der Tänzer, Choristen und Solisten?
Das ist unsauberer Journalismus. Gerade wir in der Komischen Oper haben einen riesigen Sparbeitrag von einer Million Euro jährlich geleistet, seitdem die Stiftung Oper in Berlin errichtet wurde. 5 Musikerstellen wurden gestrichen. Gehälter neu eingestellter Musikerinnen und Musiker wurden gekürzt. Unsere Gehälter werden Monat für Monat später ausgezahlt und eine zusätzliche Sparsumme muss jedes Jahr aus dem laufenden Budget des Orchesters erbracht werden. Über die gegenseitigen Aushilfen werden wir dann sprechen, wenn wir das Gehaltsniveau des Flächentarifvertrages erreicht haben. Nicht später, aber eben auch nicht früher. Zur Solidarität mit anderen Berufsgruppen: Wir sehen uns als Vorkämpfer für die anderen Gewerkschaften. Die können nämlich ihren Tarifvertrag 2012 wieder kündigen. Man hofft dort auf einen besseren Abschluss auf unserer Seite.
Öffentlich sichtbar waren die Streiks der Orchester der Deutschen Oper und der Komischen Oper. Genügt das? Wie weit sind die Orchester miteinander solidarisch?
Bis jetzt streiken wir nur punktuell, mal eine halbe Aufführung – eigentlich nur Warnstreiks. Probenstreiks sieht man draußen nicht, aber sie machen Druck nach innen, auch in der Staatsoper und im Konzerthaus. Wenn die Arbeitgeber nicht einlenken, werden wir den Vollstreik anwenden. Wir haben einen langen Atem. Pamphlete wie in der Berliner Zeitung haben unsere Kollegen nur aufgebracht. Sie wollen, dass wir kämpfen.
Haben Sie Angst vor Streikbrecher-Orchestern, die aus dem Ausland eingeflogen werden sollen?
Nein, aber das wäre sicherlich eine neue Provokation der Arbeitgeber. Genau wie die völlig unverhältnissmässige Kündigung des Tarifvertrags und die gezielte Lancierung von falschen Zahlen über Gehälter und angeblichen Tarifangeboten (die es nie gegeben hat) in der Presse.
Wie soll es weitergehen?
Im Gegensatz zur Arbeitgeberseite stellen wir keine Ultimaten. Wenn wir ein Signal der Arbeitgeber erhalten, dass man gewillt ist, auch einmal über unsere Vorschläge nachzudenken, sitzen wir am nächsten Tag am Verhandlungstisch und reden miteinander.
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Das Interview wurde in junge Welt am 20.10.2010 erstveröffentlicht.