„In so einem Spiel muss man eben selbst bei der allerletzten Standardsituation auch an solch langen Mann wie Stuff dran bleiben“, beklagte nach dem Spiel Gästetrainer Oliver Reck. „Wenn wir da konsequent gewesen wären, hätten wir drei Punkte mitnehmen können.“ Das indes gelang nicht und so endete das Spiel des 1. FC Union gegen den MSV Duisburg 1:1. Was wohl auch als gerecht angesehen werden muss.
Aber auch Unions Übungsleiter Uwe Neuhaus bemühte den Konjunktiv. „Wir hatten uns schon gewünscht, dass wir zu Beginn einen Treffer landen. Wenn zum Beispiel der Schuss von Kohlmann nicht an die Latte, sondern eben mal rein gegangen wäre, hätten sich gewiss unserem Spiel mehr Räume ergeben. Damit hat Neuhaus wohl sogar Recht. Aber mein Vater meinte früher dann immer: Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätt’ er den Hasen gekriegt.
Nun lief an diesem Freitagabend allerdings alles anders. 15 076 Zuschauer waren ins Stadion An der Alten Försterei gepilgert. Mal abgesehen von den etwa 500 Gästen aus dem Ruhrpott wollten alle endlich mal wieder ihre Balltreter von der Wuhlheide siegen sehen. Unter anderem wurde das an diesem Abend wörtlich in einem Lied ausgedrückt, dass die Melodie des einst von Mary Hopkin geträllerten Gassenhauers „Those Were The Days“ nutzt. Ursprünglich stammt das Lied ja aus Russland und wurde bereits in den 1920er Jahren von Alexander Wertinski mit dem Text „Dorogoj dlinnoju“ (den langen Weg entlang) gesungen. Diese Zeile dürfte unfreiwillig besser die Situation der eisernen Kicker aus Köpenick beschreiben. Es dürfte tatsächlich noch ein langer Weg sein, bis die Mannschaft die Philosophie ihres Trainers auf dem grünen Rasen in eine objektive Realität verwandelt. Oder wie sagte der doch einst der große Fußballvordenker aus Trier, Karl Marx, in seinem Londoner Exil: Die Philosophen haben bisher das Fußballspiel immer nur interpretiert, es kommt aber darauf an, es zu verändern. Nun gut.
Unter dem etwas schummrigem Flutlicht an der Alten Försterei ging es derweil ziemlich zur Sache. Beide Parteien versuchten frühzeitig, die Aktionen der anderen zu sabotieren. Das gelang anfangs den Hausherren besser, so dass sie zumindest in den ersten 20 Minuten das Spiel bestimmten. Mal abgesehen von einem blinden Rückpass des Kapitäns Torsten Mattuschka in Richtung des eigenen Torwarts. Zum Glück scheiterte Maurice Exslager an Jan Glinker.
Im Duisburger Strafraum war es vorher ebenfalls zu einer kitzligen Situation für deren Torhüter Felix Wiedwald gekommen. Unions Stürmer Simon Terodde hatte einen langen Pass aufgenommen und lief allein auf den MSV-Schlussmann zu, hob den Ball auch clever an Wiedwald vorbei, kollidierte scheinbar mit dem und fiel im 16-Meter-Bereich. Frank Willenborg, Schiedsrichter vom SV Gehlenberg, pfiff und gab Terodde die Gelbe Karte. Ich hatte es anders gesehen. Terodde indes sagt nach dem Spiel: „Ich hebe den Ball über den Torwart, der springt auf mich zu und ich denke, der haut mich um. Da lasse ich mich fallen. Danach hab ich mich sowohl beim Schiedsrichter als auch beim Torwart entschuldigt.“ Ja, so unterschiedlich kann man eine Situation sehen. Gelb finde ich trotzdem zu hart. Aber der Realschullehrer aus Damme war kaum schuld an dem langsam schlechter werdenden Spiel der Unioner.
Die Duisburger standen kompakt und störten früh. Das ließ den in vergangenen Spielen beobachteten guten Spielfluss der Eisernen nicht aufkommen. Irgendwie machte sich Zerfahrenheit breit. Vor allem nach der Pause. Da war Union in den ersten zehn Minuten gar nicht auf dem Platz. Die Zebras dagegen spielten keineswegs wie eine Mannschaft, die auf dem 16. Tabellenplatz gegen den Abstieg kämpft. Ihre Konter sorgten immer wieder für Aufregung. Und so war es auch in der 62. Minute als Bruno Soares einen langen Pass aufnahm und den Ball quer vor Glinkers Tor spielte. Christoph Menz schien sich für das Spielgerät nicht zu interessieren, sondern sah ziemlich desinteressiert zu wie Exslager sich um den Ball kümmerte und ihn unhaltbar für den guten Glinker ins Netz versenkte.
Nun mussten die Gastgeber etwas tun. In der 69 Minute schien es soweit. Branmir Bajic nahm im Strafraum den langen Stuff in den Doppelten Nelson – klarer Schultersieg.
Ja, aber hier wurde Fußball gespielt. Diesmal zeigte Willenborg sofort auf den Punkt. Alles jubelte, die Fotografen rannten hinter das Tor von Wiedwald. Den Ball schnappte sich Silvio. „Das hatten wir so abgemacht“, erklärte später Mattuschka. „Auf das Tor an der Wuhleseite sollte ich, auf das an der Waldseite Silvio schießen.“ Das erwies sich als fatal. Der Brasilianer wollte die Kugel lässig in die von ihm aus linke untere Ecke schieben. Das aber schien Wiedwald geahnt zu haben. Sicher krallte er den Ball vor der Torlinie weg. Schockstarre auf den Rängen. Die Fotografen bekamen einen Schwall schalen Bieres ab. Einige Zuschauer hatten wohl auch Schüttelfrost bekommen, so dass die Bierbecher ihren Händen entglitten waren.
Das Spiel wurde ebenfalls immer chaotischer. Von geordneten Spielzügen war keine Rede mehr. Die Zebras versuchten die wild anrennenden Hausherren irgendwie im Zaum zu halten. Die Eisernen bolzten meist lange Bälle nach vorn und mühten sich, die zu erlaufen. Die Minuten rannen dahin. Auf den Rängen jubelte nur der kleine Gästeblock. Das eiserne Volk brüllte sein Team nach vorn. Beinahe fassbar die Angst, die allen die Nackenhaare sträuben ließ. „Bloß nicht wie zuletzt gegen die Löwen mit 0:1 verlieren“, dachten wohl die meisten. Den Akteuren auf dem Rasen wurden die Beine sichtlich dicker und schwerer. Aber keiner steckte zurück. Reiner Überlebenskampf bestimmt nun das Geschehen.
Drei Minuten Nachspielzeit wurde angesagt. Das schien die Hausherren noch einmal zusätzlich zu motivieren. Michel Parensen knallte den Ball verzweifelt aus 20 Metern nur knapp am Posten vorbei. Terodde scheitert aus zehn Metern am Duisburger Torwart. In der 92. Minute dann eine Ecke. Glinker taucht in seiner schwarzen Kluft wie ein Gespenst vor dem Gästetor auf. Alle erinnern sich an Ingolstadt, wo der Union-Torhüter mit einem Kopfball den Ausgleich einleitete. Der Ball kommt in den Strafraum, fällt irgendwie Terodde vor die Füße. Der drischt einfach mit rechts auf die Kugel, die setzt noch mal auf und springt über Wiedwalds Fuß ins Netz.
Es ist geschafft. Wieder einmal. Kurz darauf der Schlusspfiff. Die Spieler beider Mannschaften sinken zu Boden. Das Publikum tobt.
Während für die Unioner es schon zur Routine zu werden scheint, auf diese Art den Schlusspunkt zu setzen, sind die Gäste aufgewühlt. Für Trainer Reck und seinen Freund, dem Sportdirektor Ivo Grlic, ist der Abend ein kleiner Sieg. Bei einer Niederlage hätte Grlic seinem Trainer wohl in diesen Tagen den Entlassungsschein überreichen müssen. Das ist mit dem einen Punkt erst einmal vertagt. Der MSV hat sich auf den 13. Rang vorgearbeitet. Vielleicht eine Glückszahl.
Bei Union dagegen hofft wohl nicht nur der Trainer „mal wieder ein Spiel ohne Gegentor gewinnen zu können.“ Der Rang sieben, der erst einmal wieder erreicht ist, bietet die Möglichkeit jenseits von Gut und Böse ruhig weiter zu arbeiten. Vielleicht gelingt es dann, einmal den Hasen zu fangen.