Revolutionäre in weiß – Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin rüstet zu ihrem Jahreskongreß 2012

Wie der Präsident der Gesellschaft, Professor Joachim Mössner, hervorhebt, widmen die Internisten ihre Forschung und Praxis besonders der ganzheitlichen Behandlung der Patienten,die ja selten nur eine Krankheit haben, den unterschiedlichsten Behandlungsmethoden unterworfen sind und viele verschiedene Medikamente einnehmen. Es geht um die Komplexität der Krankheitsentstehung und die komplexe Behandlung der Patienten, denn viele leiden gleichzeitig unter Zuckerkrankheit, Übergewicht, Bluthochdruck und anderem. Nicht »Schrotschüsse« sollen helfen, sondern eine »personalisierte Medizin«, die den Patienten nach seinen Beschwerden individuell versorgt und Nebenwirkungen der Medikamente verringert. Diese Probleme sind nicht allein medizinisch zu lösen, sondern verlangen materielle und finanzielle Voraussetzungen.

Mit einer Einmischung in die Gesundheitspolitik tut sich die Gesellschaft allerdings schwer. Mössner beklagt zum Beispiel, dass ein »multimorbider« Patient mit 12 Medikamenten aus der Klinik entlassen wird, aber der Hausarzt sich nicht darum kümmert, ob er sie auch einnimmt. Die Frage ist aber: Was geschieht, wenn der Hausarzt mit seinem Budget nicht die nötigen Medikamente verschreiben kann und der Kranke von einem Arzt zum anderen geschickt wird, um ein Rezept zu erhalten, um nicht zu sagen, zu erbetteln? Wird sich der Kongreß dazu positionieren? Mössner: Aufgabe der Gesellschaft ist die Forschung, nicht die Politik. So weit reicht die Ganzheitlichkeit eben nicht.

Damit hat Professor Joachim Spranger, Klinikdirektor für Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin an der Berliner Charité, kein Herzdrücken. Die 30 bis 40 einschlägigen Universitätskliniken haben die Aufgabe, dafür Fachärzte auszubilden, aber ihn ärgert, dass die niedergelassenen Kollegen nicht genügend Patienten zu ihnen schicken, denn nur am Patienten kann der angehende Arzt Erfahrungen sammeln und kann die Klinik Therapien entwickeln. Spranger will nicht mehr Geld vom Staat, sondern er will von den Krankenkassen die gleichen Zahlungen für die ambulante Behandlung wie die niedergelassenen Ärzte. Dazu führt er den Streit auch öffentlich.

Nach der Pressekonferenz zu medizinisch-wissenschaftlichen Themen folgte als Sondermeldung ein Überraschungsei – es geht auf Ostern zu. Der Tagungsort in Wiesbaden wird ausgeschmückt mit der Ausstellung »Die Friedliche Revolution in Leipzig«, hergestellt vom Bürgerkomitee Leipzig e. V. Initiator ist das Leipziger Kongreßteam um den Präsidenten Joachim Mössner, Klinikdirektor für Gastroenterologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Mössner war bei der Revolution nicht dabei, sondern seinerzeit Oberarzt an der Universität Würzburg, aber er möchte seinem »Respekt vor dem Mut der aufbegehrenden Leipziger Bürger im Herbst 1989 Ausdruck verleihen«, und zwar »mit dem Novum einer zeitgeschichtlichen Kulturausstellung auf dem Internistenkongreß.« Die 8 000 Kongreßteilnehmer sollen die Revolution in Leipzig nacherleben.

Eine zeitgeschichtliche Kulturausstellung wäre auch mit ganz direktem Bezug auf Wiesbaden zu haben gewesen. Zum Beispiel haben die Historiker Hannes Heer und Sven Fritz die Vertreibung der »Juden« und »politisch Untragbaren« aus den hessischen Theatern 1933 bis 1945 erforscht und in der Ausstellung »Verstummte Stimmen« gestaltet.

Untersucht worden waren die Theater in Darmstadt, Wiesbaden, Kassel, Mainz und Gießen. Die Ausstellung wurde 2009 in Darmstadt gezeigt, aber in der Landeshauptstadt Wiesbaden wieder abgesagt. Aber gewiß, mit Leipzig 1989 kann man sich identifizieren und sich zu den Siegern der Geschichte zählen. Es erinnert an den Witz: Bestrafung der Unschuldigen, Auszeichnung der Unbeteiligten.

Die Geschichte ist sowieso ein Kapitel für sich. Nachdem im Jahre 2008 ein Historikerteam das Buch »Die Charité im Dritten Reich« und im vergangenen Jahr die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie das Buch »Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie 1933 – 1945. Die Präsidenten« herausgegeben haben, lag es nahe zu fragen, ob auch die Innere Medizin eine Geschichte in der Nazizeit aufzuarbeiten habe. »Ja«, sagt der Geschäftsführer der Gesellschaft, Maximilian Broglie, »die Zeit dafür ist reif. Leute, die im System ihre Karriere gemacht haben, wollten daran nicht erinnert werden.« Nun aber sei ein Auftrag an ein medizinhistorisches Institut im Prinzip vergeben. In zwei Jahren solle das Ergebnis vorliegen. Wer daran arbeitet, will Broglie noch nicht verraten. Nach dem Kongreß werde der Vorstand offiziell beschließen. Dann könne er mehr sagen.

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