Was noch zu erzählen war, drei Neuerscheinungen zum Mittelalter

Die Anzahl der populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Themen des Mittelalters sind beinahe unüberschaubar, wir können aber auf drei innovative Bücher hinweisen. In „Ritter auf dem Meer“ untersucht ein seefahrtsbegeisterter Mediziner von den plagenden Winden bis zur Besiedlungsgeschichte seiner Anrainer die Voraussetzungen für die Schifffahrt auf dem Mittelmeer. Sie gipfelte im Hochmittelalter in den italienischen Seerepubliken. Unterfüttert mit Bildmaterial erzählt der Autor von den Operationen und Gefechten auf dem Meer und in den Häfen, zumeist im Namen des Kreuzes ausgeführt. Zu den eher unrühmlichen Schlachten der schiffsreisenden Ritter zählte die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1203/4 durch eine von Venedig gestartete Flotte von mindestens 140 Lastschiffen und 72 Galeeren!

Fazit: neue Betrachtungsweise des Mittelalters mit gut lesbaren und ansprechend illustrierten Exkursen zur Navigation, zu Schiffsbau, Seerouten und -wesen einschließlich der damaligen der Kosten für Transport und Handel, wertvoll!

Das zweite Buch handelt vom Heiligen Krieg und nennt sich weiter „eine neue Geschichte der Kreuzzüge“. Der englische Historiker Jonathan Phillips untersucht auf  639 Seiten die Geschichte der Kreuzzüge und ihre Nachwirkungen nicht nur als Abfolge militärischer Kämpfe um die Stadt Jerusalem, sondern auch als politische Idee mit wechselndem geografischem Bezug, die Europa zwei Jahrhunderte lang dominierte. Hier kommen auch die zahlreichen Freundschaften und Bündnisse zwischen Christen und Muslimen zu ihrem Gewicht, das sie während der wechselvollen Geschichte trugen. Dass sich die Idee des Kreuzzuges bei den Abendländern bis in den ersten Weltkrieg hinein hielt und noch moderne Comic-Helden wie Batman inspiriert, weist Phillips schlüssig wie elegant nach. Besonders erfreulich ist die Aufmerksamkeit, die der Autor bisher weniger beachteten Protagonist/Innen schenkt, zum Beispiel der klugen Königin Melisende von Jerusalem. Besser bekannt ist das diplomatische Geschick des Kaisers Friedrich II. von Hohenstaufen, dem es gelang, Jerusalem ohne einen Schwertstreich wieder zu gewinnen. Ihm genügten philosophische Gespräche und ein beim Schachspiel ausgehandelter Übergabe-Vertrag. Doch wie ging es weiter nach dem Verlust des „Heiligen Landes“? Von den Tempelrittern bis zur Eroberung der neuen Welt und hin zu den emotional aufgeladenen Bannsprüchen moderner Kreuzfahrer a la Georg Bush werden sie in ihrer aggressiven Pose untersucht und bloßgestellt.

Fazit: ein modernes, frisch geschriebenes und erstmals Epochen übergreifendes Standardwerk zu den Kreuzzügen – besonders wertvoll!

Unsere letzte betrachtete Neuerscheinung befasst sich mit den „Katastrophen im Mittelalter“, und hier wird es richtig schaurig. Angeregt von den jüngsten Katastrophen in Japan überdenken die Sozial-und Wirtschaftshistoriker Gerhard Fouquet und Gabriel Zeilinger die Lage der Menschen in mittelalterlichen Zuständen. Ungeschützt, Wetter und Seuchen beinahe hilflos ausgeliefert, haben sich dennoch Berichte Überlebender solcher Ereignisse erhalten. Von Hochwasser am Rhein bis zur Sturmflut an der Nordsee, Stürmen auf See und Schiffbruch ist die Rede. Ergreifend nacherzählt wirkt das abenteuerliche Schicksal venezianischer Kaufleute, die im Winter 1431 im Nordmeer havarierten, zwei Monate auf offener See umher irrten und schließlich von einer Schäre gerettet wurden. Erdbeben, Hunger, Brände, Pest und Krieg, all diese Torturen werden an Beispielen analysiert, die Ursachen und die Auswirkungen betrachtet, angereichert mit Statistiken, Karten und Bildmaterial.

Fazit: gemäßigtes Bilderbuch des Schreckens, nachvollziehbare Analysen, faszinierende Geschichten von Extremsituationen: „Brisant“ in Überlänge; wertvoll!

Alle drei Bücher taugen sehr gut als Weihnachtsgeschenk!

Georg-Michael Fleischer, Ritter auf dem Meer, Seemacht und Seewesen zur Zeit der Kreuzzüge, 248 S., Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz, 2011, 24,90 €

Jonathan Phillips, Heiliger Krieg, Eine neue Geschichte der Kreuzzüge, Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, 638 S., Deutsche Verlags-Anstalt München, 2011, 29,99 €

Gerhard Fouquet, Gabriel Zeilinger,Katastrophen im Spätmittealter, Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz, 2011, 29,90 €

Vorheriger ArtikelDeutsche Bahn: Preise hoch, Lärm und Hygienemängel bleiben
Nächster ArtikelEs begann mit Speck und Eiern – Über Whistler in Westkanada