Diese Ikone ist eine russische aus dem frühen 19. Jahrhundert und wurde von den Freunden des Museums als Geschenk zum zwanzigjährigen Bestehen einer privaten Sammlung abgekauft, die sie selbst schon zwei Generationen zuvor im Kunsthandel erworben hatte. Heute , am 22. April geht es um eine dreidimensionale Begegnung mit dieser Ikone, die ihrer schützenden und glänzenden Metallhülle beraubt ist, die sie auf unserer Abbildung trägt, denn nun steht sie nackt vor den zahlreich Gekommenen auf einer Staffelei, um sie zu hinterfragen: musikalisch, theologisch, kunsthistorisch. Boris Lewantowitsch begrüßt mit Bachs Präludien h-Moll am Flügel und bietet als Zäsur nach den theologischen Ausführungen von Stefan Scholz, Priester am Frankfurter Dom, und zum Abschluß noch einmal Bach: Siciliano und Orgelpräludien in der Fassung von Busoni. Der Konzertpianist ist im Ikonenmuseum fast seit Anbeginn dabei und organisiert dort auch Kammermusikabende sowie die Hofkonzerte zum Museumsuferfest.
Schade, daß wir auf die Ausführungen von Stefan Scholz nicht weiter eingehen können, der vor allem von den Unterschieden der drei synoptischen Evangelien (Markus, Lukas, Matthäus) berichtet , die auf Fragestellungen ihrer Gemeinden Antworten geben, im Gegensatz zum andersgearteten Evangelium des Johannes, der vom Ende her, von der Kreuzigung und Auferstehung her denkt und schreibt. Wir aber wollen heute die kunstgeschichtliche Würdigung dieser Ikone in den Mittelpunkt stellen, wie sie von Alexandra Neubauer, Kuratorin und Restauratorin am Ikonenmuseum, vorgetragen wird.
Es handelt sich um eine Hausikone, die man zur privaten Frömmigkeit nutzte, wobei wir den Unterschied zu herkömmlichen frommen Bilder aus unserem Kulturkreis kurz vorschalten wollen.
Denn die Anbetung der Ikonen selbst fand und findet in der Orthodoxie nicht statt, das war immer nur ein platter Vorwurf, der aus falschem Verständnis rührte. Aber die Ikone ist ein geradezu heiliges Mittel zum Zweck: nämlich als Mittler zu dienen zwischen dem Frommen vor der Ikone und dem, was hinter der Ikone als Transzendenz und damit Göttliches erfahren wird. Und darin sind sich katholische Marienbilder und Marienikonen wiederum einig, die als günstiger Weg zur Zwiesprache mit Maria verehrt werden. Verehrung, nicht Anbetung! Eine Ikone setzt allerdings auch ihre Beschriftung voraus, was bei dieser Johannes-Ikone oben gegeben ist, die sie als Johannesdarstellung benennt, wobei immer wichtig ist, daß es sich um den Evangelisten und nicht um Johannes den Täufer handelt. Das allerdings sieht man auf der Ikone sofort. Wir sehen einen älteren bärtigen Mann im Halbporträt, der sein Kennzeichen, die heilige Schrift vor sich hält. Seine Attribuisierung als alt ist Kennzeichen der Ostkirche, die sich anlehnt an die antiken Philosophendarstellungen, wo Alter eben immer mit Würde und Erkenntnis gekoppelt war. Im Westen dagegen wird Johannes der Evangelist auch beim Evangeliumschreiben jung gegeben, was die byzantinische Malerei nur dem Johannes zugesteht, der mit der Mutter Maria am Kreuz steht und dort von Jesus als Sohn ihr – und als Mutter ihm – zugewiesen wird. Alexandra Neubauer ging auch auf die Version des alten Johannes ein, die aus seiner langen Lebenszeit resultiere, dernach er nicht das Martyrium erlitt, sondern in einen todesähnlichen Schlaf fiel und nach syrischen Akten erst mit 120 Jahren stirbt.
Auch die besondere Handhaltung ist östlicher Prägung, die zum Titel „im Schweigen“ führt. Der Schweigegestus ist ebenso aus der Antike übernommen, bedeutet aber eigentlich nicht, durch Schweigen etwas zurückzuhalten, sondern vielmehr innezuhalten, Einkehr zu halten, also in sich zu gehen und seine Seele dem Göttlichen hinzugeben, das, was wir mit Meditieren umschreiben, also etwas Passives, Wortloses, während Beten umgangssprachlich eine aktive Komponente enthält. Hier allerdings hat der Gestus wiederum eine besondere Bedeutung: Johannes hört zu und hat dazu den Kopf leicht geneigt, was auch wir automatisch machen. Ihm flüstert nämlich ein Engel, der ein wunderschön gefaltetes Gewand trägt – der dramatische Barock läßt grüßen – die himmlische Botschaft ins Ohr, es sind die göttlichen Worte, denen er lauscht – der helle Strahl vom Engel zum Ohr kennzeichnet dies deutlich – und die er dann in der Osternacht seinem jungen Schreiber Prochoros in die Feder diktiert – so will es die Legende, die allerdings zwischen dem Evangelium in Ephesus und der Apokalypse auf Patmos nicht genau unterscheidet, genauso wenig, wie die Übereinstimmung mit dem Jünger Jesu namens Johannes sicher ist.
Von der gehen wir aber hier erst einmal aus und stellen diesen Johannes als Evangelisten, auch als Johannes der Theologe vor, als letzten und jüngsten Apostel, Sohn des Zebedäus und der Maria Salome, also auch jüngerer Bruder von Jakobus dem Älteren und damit Mitglied der Heiligen Sippe. Er war immer in direkter Nähe zu Jesu, in der Ölbergnacht und der Verklärung am Berg Tabor auch. Das uns Ungewöhnliche sitzt links vor ihm in Gestalt eines Löwen. Wir kennen dies Tier als Symbolisierung des Evangelisten Markus. Aber das ist schon aus der Zeit, wo schon alles fix und fertig in den Zuordnungen von Symbolen und Attributen war. Ikonen, deren Hauptaufgabe bei der Fertigung war, exakt die Vorbilder nachzuahmen, damit sich das Göttliche in ihnen fortsetze, haben zum Teil eben eine weit zurückliegende Tradition aus einer Zeit, wo sich die Symbole überhaupt erst bildeten, und aus der Zuschreibung des Löwen an Johannes durch Irenäus von Lyon im 2. Jahrhundert dann die bis heute gültige Deutung des Kirchenvaters Hieronymus im 4. Jahrhundert wurde, die dem Evangelisten Johannes den Adler zuweist, weshalb wir beim Löwen erst einmal stutzen, wenn man von der Westkunst herkommt.
Geradezu zum Schmunzeln führende Aussagen kamen dann zu den Patrozinien. Aber so steht es geschrieben. Für wen stand dieser Johannes eigentlich ein: für Bildhauer, für alle Berufe rund um Bücher, für Glaser, Graveure, Porträtmaler, Notare, Sattler, Schreiber, Spiegelmacher und Weingärtner. Eigentlich noch für viel mehr, die aufzuschreiben uns zu mühselig wurde, genauso wie die Wunder, die er vollbrachte und gegen was er die Gläubigen mit dem Johannessegen schützt: gegen Zauberei, Vergiftung, Ertrinken, Blitz. Dafür aber nutzt Johannes der Schönheit, der Genesung und dem Glück in der Ehe. Und grundsätzlich ist er auch ohne Segen einfach gut zur Erhaltung der Freundschaft, bei Fußleiden, hilft bei Hagel und bringt Erntesegen. Ganz schön viel zu tun hat unser Johannes im Schweigen, der es sich gefallen lassen muß, daß eine andächtige Meute ihn über eine Stunde lang fixiert, weil die Ausführungen zu ihm so spannend sind.
Wir befragten Alexandra Neubauer abschließend zum kunsthistorischen Wert der Ikone: „Die geschenkte Ikone ’Heiliger Johannes Evangelist im Schweigen` ist eine sehr schön und fein gemalte Arbeit in einem vorzüglichen Erhaltungszustand. Die aufwendigen Goldmalereien auf dem Gewand, die feinen Strukturen von Haar und Bart, die Oberfläche der Inkarnate, das Evangelistensymbol des Löwen, wie man es auf Ikonen des Hl. Johannes immer wieder antrifft, alles ist wunderbar erhalten und ohne oberflächliche Abreibungen.“
Wir geben auch gerne ihre folgenden Ausführungen wieder: „Ohne die immer wieder großzügige Unterstützung unseres Fördervereins könnten wir die meisten Ausstellungsprojekte in unserem Haus nicht mehr durchführen. Alle Kataloge und Publikationen der letzten Jahre waren nur mit den Geldern der Freunde und Förderer realisierbar. Ausstellungen gehen, aber die Publikationen bleiben und bilden die Grundlage wissenschaftlicher Auseinandersetzung, so wie es auch unser musealer Auftrag ist und der Wunsch unseres Stifters Dr. Schmidt-Voigt war. Die Zusammenarbeit mit unserem aktiven Förderverein macht sehr viel Freude, ein Geben und Nehmen im besten Sinne des Wortes und bei weitem nicht nur finanziell. Wir bedanken uns für die Erfüllung unseres Geburtstagswunsches!"
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Jörgen Schmidt-Voigt. Mediziner, Musiker und Mäzen (1917-2004), hrsg. von Snejanka Bauer, Legat Verlag 2010
Hilmar Hoffmann, Erinnerungen, Hoffmann&Campe, als Taschenbuch bei Suhrkamp
Verweis auf die von Schmidt-Voigt herausgegebenen Bücher zu Ikonen und Medizin und die Ausstellungskataloge sowie das Programm in www.ikonenmuseumfrankfurt.de