Dr. Jörgen Schmidt-Voigt soll leben! – Serie: Das Frankfurter Ikonenmuseum wird zwanzig und feiert anrührend seinen Stifter (Teil 1/3)

Und das war es tatsächlich. Es gibt viele Jubiläen und viele Gedenkveranstaltungen, aber diese hatte ob Ihrer Innigkeit und gleichzeitigen Informationsflut eine völkerverbindende Weitläufigkeit, die zudem zu einer Geschichtsstunde wurde, die einem sagte: solche Menschen wie Dr. Schmidt-Voigt, aber auch solche politischen Situationen, in denen er lebte und seine Ikonen sammelte, sind so einmalig in ihre Zeit eingebunden, daß es auch aus ganz übergeordneten Gründen richtig ist, derer zu gedenken und im kollektiven Gedächtnis der Stadt Frankfurt festzuhalten. Ja, man soll sich erinnern und für viele der reichlich Gekommenen, die den Stifter nie persönlich erlebt hatten, ist es nun diese öffentliche Erinnerung, die sich in ihrem Fühlen und Gedächtnis festschreibt, so lebendig wurde an diesem Abend Jörgen Schmidt-Voigt in den Worten der Redner und in Foto- und Filmaufnahmen. Dazu trugen vor allem die unzähligen Anekdoten bei, die man gar nicht alle berichten kann, die aber die feierlichen Aussagen würzten, so daß Lachen und Schmunzeln in der Luft blieben.

Als Ehrengäste gekommen waren vor allem diejenigen, die als politisch Verantwortliche oder Initiatoren des Stiftungsgedankens das Ikonenmuseum als städtisches Museum durchsetzten. So konnte der Leiter des Museums, Richard Zacharuk, von Anfang an, nein, schon bei den Sondierungen zur Stiftung dabei, seine Mitstreiter von damals begrüßen: das ist der legendäre Erfinder des Museumsufers, der ehemalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann – im übrigen putzmunter und aktiv im Frankfurter Kulturgeschehen – , Ernst Gerhardt, der als Stadtkämmerer das alles finanziell über die Bühne brachte, Wolfram Brück, vor 1990 Oberbürgermeister der Stadt und der eigentliche Motor Friedhelm Mennekes, Jesuitenpater und in den Künsten – vor allem den modernen – zu Hause. Begrüßt hatte die große Zahl der Anwesenden auch die Stadträtin Elisabeth Haindl und der Generalkonsul der Russischen Föderation, Vladimir G. Lipaev. Bernhard Löwenberg hatte für den Förderverein des Museums als Jubiläumsgeschenk die Ikone eines „Johannes im Schweigen“ überreicht, die am nächsten Tag eine Rolle spielte (siehe Bericht).

Aber dann ging es nur noch um Jörgen Schmidt-Voigt, um seine so vielseitige Person genauso wie um sein Lebenswerk der Ikonensammlung, vor allem aber um die vielen Schelmereien, ja sogar Schlitzohrigkeiten, wie das alles zusammenkam: zum heutigen Ikonenmuseum. Um diese Zusammenschau machten sich drei Personen verdient, Friedhelm Mennekes in seinem erzählenden und analysierenden Reden, Snejanka Bauer, Kuratorin des Museums, durch die Vorstellung des von ihr initiierten und herausgegebenen Buches „Jörgen Schmidt-Voigt. Mediziner, Musiker und Mäzen“ und Andreas Bauer vom Hessischen Rundfunk durch einen Film, in dem er Originalaufnahmen des Arztes und der Museumsgründung zusammenschnitt mit den in heutigen Interviews geäußerten Erinnerungen der Mitstreiter Mennekes, Hoffmann und Brück.

Das Erstaunliche war, daß auf allen drei, medial doch unterschiedlichen Ebenen das Bild der Person Schmidt-Voigt gleich aufschien: Ein hellsichtiger, origineller, witziger, vielseitig gebildeter und die Künste selbst ausführender Mann, dessen berufliche Kompetenz die Kardiologie war, zu deren nachgefragter Koryphäe er wohl aufgrund seiner verschränkten Fähigkeiten und seines vernetztes Wissens gelangte. Wie Snejanka Bauer seine Fähigkeit, Herzrhythmusstörungen allein aufgrund des gehörten Taktes – also ohne Maschinen – zu analysieren und dabei die Differenzen lautmalerisch wiedergab, war so komisch und gleichzeitig so wahr und verständlich, wie auch die Personenanalyse, die Friedhelm Mennekes hinsichtlich der erlebten Doppelgesichtigkeit Schmidt-Voigts herausarbeitete: einerseits der zugewandte Mensch und Mediziner, andererseits der rationale und tief skeptische Denker, der bei aller Nähe doch immer auch Distanz wahrte. Oft der Preis derer, die viel, allzuviel wissen und für so viele und vieles Verantwortung tragen.

Im Film konnte man dann staunend erleben, wie dieser ehrwürdige alte Mann offiziell als Grandseigneur, auch als Schalk unterwegs war, phantastisch Klavier und erst recht Geige spielte und in einem Haus wohnte, das – worauf auch Richard Zacharuk hingewiesen hatte – bin ins Bad und die Toiletten hinein vollgestopft mit Ikonen war, auch im großbourgeois eingerichteten Arbeitszimmer, das wir übrigens auch gerne hätten. Auf zwei Erklärungen wollen wir nun den vielstündigen Abend kaprizieren: Wie kam Schmidt-Voigt zu seinen Ikonen und wie kamen diese ins Ikonenmuseum? Das eine so abenteuerlich wie das andere.

Schmidt-Voigt war aufgrund seiner, auch in Lehrbüchern (1955) festgeschriebenen Entdeckungen von Herzfehlern schon 1958 zu einer Mediziner-Tagung in die UdSSR eingeladen, wo ihn der amtierende Patriarch Alexej I. um eine Untersuchung bat. Auf dem Weg dorthin sah er in der Dreifaltigkeitskirche des ehemaligen Klosters Sagorsk eine ungewöhnliche Ikone, auf der die Gottesmutter Maria einem kranken Kleriker zur Gesundung aus ihrer entblößten Brust Milch ins Gesicht spritzt. In der Kunstgeschichte als Caritasmotiv bekannt. Der Patriarch, der das Interesse des Mediziners für diese – medizinische – Ikone bemerkt hatte, schenkte sie ihm als erstes Stück seiner Sammlung, die die Folge war, als er die gesamte Nomenklatura der Sowjetunion untersuchte und Ikonen als Dank erhielt. Vor allem thematische, mit der Medizin zusammenhängende Ikonen interessierten Schmidt-Voigt, bis der rationalen Thematik schließlich andere Ikonen folgten, denn die mystischen und mythischen Qualitäten von Ikonen hatten den Skeptiker längst eingeholt, was jeder weiß, der sich der Spiritualität von Ikonen ausliefert, was gleichzeitig die Voraussetzung ist, diese überhaupt erfahren zu können.

In einer gesundheitlichen Lebenskrise also überlegte sich der Inhaber einer nun stattlichen Sammlung, was mit seinem Werk geschehen könne. Und nun kommt der Schalk erneut ins Spiel. Er wußte, wie begehrt die Moderne, aber wie nachlässig behandelt die Alte Schule, zu der auch Ikonen zählen, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war. Also wollte er der Stadt zusammen mit seinen Ikonen einen Beuys schenken. Denn er hatte drei Collagen. Die allerdings hatte er selbst aus Drähten und anderen Versatzstücken gefertigt. Aber alle, auch der Kenner moderner Kunst, Pater Mennekes, fielen darauf rein. Der lacht sich noch heute darüber krumm, wie alle, die an diesem Abend des „Kunstwerkes“ angesichtig wurden. Aber Schmidt-Voigt hatte sein Ziel erreicht. Die Ikonen waren ins Interesse gerückt. Wie das alles war, hat Hilmar Hoffmann in seinen aufschlußreichen Memoiren ausführlich dargestellt, auch wie trinkfest die beteiligten Herren auch noch in den frühen Morgenstunden waren. Lesen Sie also selbst, wenn Sie schon diesen denkwürdigen Erinnerungsabend in Frankfurt nicht miterleben konnten!

Daß die temperamentvolle und ausführliche Musikbegrüßung und Verabschiedung durch Henryka Tronek, Geige, und Mira Reiz, Klavier, hier nicht weiter gewürdigt wird, hätte den Musikfreund Schmidt-Voigt wahrscheinlich geärgert, weshalb wir ihm sagen müssen: heute ging seine Person vor!

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Jörgen Schmidt-Voigt. Mediziner, Musiker und Mäzen (1917-2004), hrsg. von Snejanka Bauer, Legat Verlag 2010

Hilmar Hoffmann, Erinnerungen, Hoffmann&Campe, als Taschenbuch bei Suhrkamp

Verweis auf die von Schmidt-Voigt herausgegebenen Bücher zu Ikonen und Medizin und die Ausstellungskataloge sowie das Programm in www.ikonenmuseumfrankfurt.de

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