Vor 100 Jahren in Stralsund als „Hindenburg“ getauft und vom Stapel gelaufen – Schiffsrarität mit wechselvoller Geschichte in den Schweizer Alpen wiederentdeckt

Als MS HINDENBURG auf dem Schweriner See. © Foto: Klaus Koppermann, BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wer hätte das gedacht, dass die „Hindenburg“ aus Stralsund immer noch schwimmt. Bei einer Tour durch die Schweizer Alpen wurde sie kürzlich wiederentdeckt: ein 21,60 Meter langes, 4,42 Meter breites und 1,35 Meter tief gehendes 34-Tonnen-Motorschiff. Es wurde 1925 unter der Bau-Nummer 480, angetrieben von einem Leipziger DWM-Diesel von 50 PS für acht Knoten, zu einem Preis von 20.000 Mark für Carl Schröder junior auf der Stralsunder Werft von Georg Schuldt gebaut. Sie lag dort, wo die Königliche und spätere Staatswerft Stralsund, der VEB Schiffs- und Reparaturwerft und seit der Wende die Strahlwerft an der Ziegelstraße ihre Anlagen hatten. Heute im Schatten der Rügenbrücke ein beschäftigungsloses Dasein fristend.

In Stralsund wurde das Fahrgastschiff auf den Namen „Hindenburg“ getauft, musste dann aber nach Schwerin überführt werden. Das ging nur über die Ostsee. Am 8. Mai 1925 war die See so ruhig, dass man den Sprung – mit Zwischenstationen in Warnemünde und Travemünde – wagen konnte. Über die Trave und den Elbe-Lübeck-Kanal wurde elbaufwärts Dömitz angesteuert, auf der Müritz-Elde-Wasserstraße und dem Störkanal schließlich am 23. Mai der Schweriner See.

Als MS SOWJETFREUNDSCHAFT zu DDR-Zeiten im Einsatz von Schwerin aus. © Foto: Klaus Koppermann, BU: Dr. Peer Schmidt-Walther
Als MS MECKLENBURG nach der Wende vor dem Schweriner Schloss. © Foto: Klaus Koppermann, BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Auf Anhieb schiffsverliebt

Während der Kriegszeit 1940 bis 1945 wurde das Schiff stillgelegt. 1946 passte der Name „Hindenburg“ – den trug der letzte Reichspräsident – nicht mehr in die politische Landschaft. Fortan hieß der schneeweiße Ausflugsdampfer „Schwerin“ (III). Bis 1949 mit der Gründung der DDR neue Herren das Sagen hatten. Weil man dem „großen Bruder“ im Osten einen Gefallen tun wollte, wurde auch „Schwerin“ am 9. September 1950 gekippt. „Sowjetfreundschaft“ prangte nun am Steven.

Bis zu Wende, dann war auch dieser ungeliebte Schiffsname obsolet geworden. „Mecklenburg“ sollte es dann sein. Passte ja auch zum neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern mit Regierungssitz im Schweriner Schloss in Sichtweite. Schon in den achtziger Jahren überlegte man beim VEB Weiße Flotte, das Schiff als technisches Denkmal zu erhalten.

Doch der Oldie blieb in Fahrt. Bis sich 2012 ein Käufer aus Baden-Württemberg für das kleine, solide Schiffchen interessierte. Natürlich war das wieder mit einem Namenswechsel verbunden: „Lieselotte von der Pfalz“ hieß die alte „Hindenburg“ nun. Auf eigenem Kiel mit neuem 130 kW-Deutz-Diesel und Bugstrahlruder dampfte die badische Crew mit 12 bis 14 Km/h hunderte Kilometer quer durch Deutschland bis zum Neckar. Heidelberg prangte als neuer Heimathafen am Heck.

2016 schließlich entdeckte Beat Schär von der Schweizer Reederei OLAGOMIO AG (www.olagomio.ch) den Oldtimer – seine Frau verliebte sich auf Anhieb in den „Dampfer“ – und kaufte ihn ihr. Neues Einsatzgebiet: Murten-, Neuenburger- und Bielersee, die zu den Jura-Seen nahe der Schweizer Hauptstadt Bern gehören. Diesmal wurde der Rhein bis zum Ende seiner Schiffbarkeit hinter Basel befahren, den Rest erledigte dann ein Tieflader.

Als MS LIESELOTTE VON DER PFALZ von Heidelberg aus auf dem Neckar unterwegs. © Foto: Klaus Koppermann, BU: Dr. Peer Schmidt-Walther
Begegnung mit dem 100jährigen MS MURTEN. © Foto: Klaus Koppermann, BU: Dr. Peer Schmidt-Walther
Beat Schär auf seiner MURTEN. © Foto: Klaus Koppermann, BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Unverwüstliche Qualität

Die „Lieselotte“ wurde gründlich restauriert und fast wieder in ihren Originalzustand zurückversetzt. Nun hieß sie „Murten“, bekam damit auch den Ehrentitel „historisches Traditionsschiff“ und erfreut sich seitdem größter Beliebtheit beim Publikum. Der Salon bietet nur noch 30 Gästen Platz, dafür aber sehr bequem. Unter dem Vordach achtern und vorn im Freien können jeweils 15 das faszinierende Gebirgspanorama vom Wasser aus genießen. Durchgeführt werden vor allem Charterfahrten zu Jubiläen, Betriebsfesten, Hochzeiten etc. Oder auch nur für eine Ausflugsfahrt auf den landschaftlich besonders reizvollen Jura-Seen

100 Jahre alt wird sie 2025 und ist noch voll im Saft – ein besseres Attest kann man dem unverwüstlichen Stralsunder Schiff dank bester deutscher Stahl- und Schiffbauqualität nicht ausstellen.

Die Geburtstagsvorbereitungen für Juni 2025 sind bei Familie Schär schon in vollem Gange. Ihr Haus liegt direkt am See. „Bei Nebel“, so Jeannine Schär, „hab ich das Gefühl, auf die Ostsee bei Stralsund hinauszublicken, weil man das andere Ufer nicht sieht“. Als Fans der Sundstadt und Region wünschen Sie sich nichts sehnlicher, wenn ein Stadtvertreter bei den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag auf MS „Murten“ auf dem Murtensee dabei wäre.

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