Von Odysseus bis Homo-Ehe – Erkundungen der Adria-Länder in einem poetisch facettenreichen Lesebuch von Uwe Rada

© Pantheon
Um sich einem Meer zu nähern, dessen Ränder in den letzten Jahrtausenden von verschiedensten Völkerscharen besiedelt und erobert wurden, konnte kein besserer Beobachter als Uwe Rada ausgesandt werden. Dem Leser bleibt schier die Luft weg angesichts der spielerisch eingestreuten Faktenfülle während einer detailgetreu geschilderten Adriarundfahrt, gepaart mit poetischer Blickkraft. Behende springt der über Udine an die italienische Adria reisende Autor durch die Jahrhunderte, aus einer frühen Badeurlaub-Kindheitserinnerung gelangen wir zunächst nach Adria an den Ursprung des Namens, den dieses Meer bei allen Anrainern seit der Spätantike trägt. 
Uwe Rada, Spezialist für europäische Flüsse und angrenzende Geschichten („Die Oder“, 2005, „Die Memel“ 2010, „Die Elbe“ 2013) verknüpft Geschichte mit Reiseerlebnissen zu einem sich für den Leser wunderbar erschließendem Kosmos; 
„Leider waren die Römer etwas ignoranter als die Griechen“, bedauert Fabrizio Boscarto und führt uns, etwas zögernd, in die römischen Abteilung seines Museums. „Die Römer haben sich geweigert, das Meer nach der Stadt Adria zu benennen. Stattdessen haben sie es Mare Superum genannt…“
Und so stromern wir leichtfüßig lernend munter rund um die Adria. Besonders spannend sind die eingeschobenen Zitate früherer Reiseschriftsteller und berühmter Besucher der Adria – hier gleicht Rada ab und erfrischt mit Lobeshymnen bis Hasstiraden. Obendrein streut Rada wertvolle Literaturtipps zu den besprochenen Ländern und Regionen ein, wie „Das Walnusshaus“ von Miljenko Jergovic (Schlüsselroman zu Dubrovnik und Ex-Jugoslawien). 
Wir erfahren Antworten auf viele Fragen, die wir uns so noch nicht gestellt hatten. Wie viele albanische Nachnamen finden sich heute in italienischen Tefefonbüchern? Was geschah im August 1480 in Otranto und was im August 1991 in Bari? Wo steht die drittgrößte Stadtmauer der Welt und welches Adria-Anrainerland hat kürzlich für die Homo-Ehe gestimmt? Wo fand Odysseus seinen Zyklopen? Wo ließ der Dichter D’Annunzio eine eigene Republik ausrufen und wer war eigentlich die rote Zora?
All diese Fragen werden im vorliegenden Buch beantwortet, während die Reise weiter geht. Mit prägnanten Fotografien zum mediterranen Flair und einer Karte mit allen erwähnten Orten angereichert, eignet sich dieses handliche Taschenbuch als Wegbegleiter. Vielleicht sollte das Buch erstmals in der Winterperiode studiert und anschließend im Sommergepäck verstaut werden, zum Vergleich vor Ort. Mit Uwe Rada könnten wir dann zum Beispiel erleichtert darüber lachen, dass hinter der griechisch-albanischen Grenze nicht die angedrohte löchrige Piste eines Räuberlandes auf den Autoreisenden wartet, sondern eine moderne, von der EU geförderte Schnellstraße. 
Radas Sympathie gilt immer den Menschen, so verschieden sie sein mögen. Das macht seine Aufzeichnungen liebenswert. Folgen wir seinem Appell zum Blick über den Tellerrand!
„Überall dort, wo es die Menschen geschafft haben, aus ihrer Randlage etwas zu machen, Aufmerksamkeit zu schaffen für sich und ihre Region, attraktiv für Touristen zu werden, dem Boden und dem Meer etwas abzuringen, schaut man über den Tellerrand hinaus.“

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Uwe Rada, Die Adria –  Die Wiederentdeckung eines Sehnsuchtsortes, 336 Seiten, Pantheon Verlag 2014, ISBN: 978-3-570-55222-3, 14,99 Euro (D)
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