Hilfreich auch die Tatsache, dass die Köpenicker jenseits aller Auf- oder Abstiegssorgen auflaufen können. Ihr siebter Platz in der gesicherten Mitte versetzt sie indes in die beneidenswerte Lage, den hochgehandelten Balltretern aus der deutschen Finananz-Hauptstadt noch etwas Pfeffer in den Kampf um den Aufstieg zu blasen.
Eines werden wir aber wohl etwas vermissen: Die geballte schwarz-rote Fan-Streitmacht aus der Main-Metropole. Schuld daran ist konkret das Gipfeltreffen am 13. Februar in Frankfurt gegen die Fortuna aus Düsseldorf. Damals blitzte, rauchte und donnerte es als die Gäste den Rasen betraten. Auch während des Spiels waren Feuerwerkskörper aus den Reihen des selbsternannten Randale-Meisters auf Spielfeld geflogen. Das Sportgericht des DFB verhängte daraufhin das Reiseverbot des Gäste-Anhangs nach Berlin. Außerdem soll Eintracht den Einnahmeausfall von Union ausgleichen.
Okay, auf hessische Chaoten können wir gern verzichten und die Stimmung im Stadion dürfte ebenfalls wieder spitzenmäßig sein. Und die paar Hundert Hessen, die sich über die solidarische Fan-Szene bei Union Karten beschafft haben, werden garantiert von den voll gefüllten Uniontribünen eher absorbiert werden, als dass sie sich entscheidend in Szene setzen können. Trotzdem ist es okay, wenn sich auch Frankfurter Anhänger des rasanten Rasengeschehens das Spiel im Original ansehen können.
Denn beim DFB schien es in letzter Zeit immer mehr in Mode zu kommen, alle Zuschauer zu bestrafen, wenn man selbst nicht weiß, wie man mit einzelnen Randgruppen auf den Rängen klar kommt. Geisterspiele, Stadionverbote oder Stehplatzausschlüsse – damit glauben die Sportfunktionäre die sich tatsächlich immer mehr hochschaukelnde Gewalt in und um die Fußballstadien bändigen zu können.
Das ist ein gewaltiger Trugschluss. Erstens erweisen sich die Fans, aber auch die Vereine als durchaus fantasievoll, alle möglichen Strafen zu umgehen. War der Verkauf von Solidaritäts-Souvenirs und Geisterspiel-Eintrittskarten bei Hansa Rostock im Dezember ein erster bescheidener Anfang, den Schaden etwas zu begrenzen, und sich von den Fans etwas zurückzuholen, was sie selbst eingerührt hatten, so steigerte sich das in Dresden zum ersten ausverkauften Geisterspiel in der Bundesdeutschen Geschichte. Wie man sieht: Im Osten gibt es nicht nur Jammer-Ossis, sondern eine ganze Menge einfallsreicher Zeitgenossen.
250 000 Euro ist der Erlös dieser Aktion. Davon gehen 30 000 an Initiativen, die sich für kreative und gewaltlose Fankultur engagieren. Ich kann mir vorstellen, wie die Herren in der Frankfurter DFB-Zentrale mit den Zähnen geknirscht haben.
Auch das Auswärtsfahrverbot wollte Dynamo zwar mit einer Public-Viewing-Aktion abmildern, trotzdem tauchten in Frankfurt 500 Sachsen auf. Als echte Stadionpartisanen hatten sie sich mit fremden Federn und Schaals geschmückt und sich erst im Stadion als gelb-schwarze Dresdner geoutet. Und das auch noch friedlich. Dabei gilt seit dem – leider wirklich in jeder Hinsicht missratenem – Dresdner Pokalgastspiel in Dortmund doch jeder Dynamo-Fan als ostdeutscher Terrorist.
Als Terroristen indes erwiesen sich mehrere hundert einheimischer Schwachmaten, die nach dem Spiel außerhalb des Stadions mit Flaschen, Steinen und Böllern den sächsischen Abenteurern auflauerten. Gewiss sollte das die Rache sein auf einen ähnlich höllischen Abgang ein halbes Jahr zuvor. Damals hatten Dresdner Knallköppe die Frankfurter Fans brutal gejagt. Vielleicht war es aber auch eine Reaktion auf den kriminellen Überfall hirnloser Hools kürzlich in Warnemünde auf sieben Frankfurter Fußball-Reisende. Zum Glück hat man diese Typen inzwischen festgenommen. Sie erwartet eine Strafe wegen Landfriedensbruch und gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Eine klare Ansage.
Dummerweise gibt es im Sportgericht des DFB für Straftaten in den Stadien keinen einheitlichen Strafkatalog, der sich wenigstens etwas am Zivilrecht orientiert. Sonst käme es nicht zu den oft willkürlich erscheinenden Urteilen.
Da wird zum Beispiel bei St. Pauli die Stehplatztribüne für das Spitzenspiel gegen Eintracht Frankfurt gesperrt, weil ein einzelner Fan eine Kassenrolle auf einen gegnerischen Spieler warf. Eine Kurzschlussreaktion, wie es sich zeigte. Immerhin stellte sich der Täter freiwillig und entschuldigte sich persönlich beim getroffenen Spieler Pirmin Schwegler.
Die Strafe für Pauli scheint in ihrer Höhe, schon durch fehlende Ticketeinnahmen die im unteren sechsstelligen Bereich liegen, sowie durch weitere Einnahmeverluste im Catering, nicht gerechtfertigt. Vor allem auch im Verhältnis zu anderen Strafen, die gegen andere Vereine verhängt werden – zum Bespiel gerade gegen Frankfurts Eintracht.
Andererseits greift zusehends auch die Staatsmacht ins Sportgeschehen ein. Natürlich weiß jeder, dass Hansa- und St. Pauli-Fans so etwas wie Totfeinde sind. Also dann wird eben einfach von der Polizei ein Verbot ausgesprochen für den Ticketverkauf an die Rostocker Fans, die am 22. April zum Spiel nach Hamburg möchten. Das erinnert schon an Sippenhaft. Und ich wage zu bezweifeln, das dies der in Deutschland garantierten Reisefreiheit entspricht. Oder gibt es die Mauer wieder? "Dieser Vorgang und der damit verbundene Eingriff durch die Polizei sind bislang in der deutschen Fußballgeschichte beispiellos", teilte der Klub mit.
"Der FC St. Pauli lehnt das Vorgehen der Polizei aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Das Präsidium hat sich deshalb entschlossen, die Untersagungsverfügung der Polizei beim Verwaltungsgericht prüfen zu lassen." Von Hansa kamen zustimmende Kommentare, auch dort will man sich das nicht bieten lassen. Das erinnert an 2010. Damals wurden den Rostockern von der Polizei nur 500 Karten zugestanden. Daraufhin lehnte der Verein komplett ab. Auch die Paulianer solidarisierten sich, in dem sie erst einige Minuten nach dem Anpfiff auf den Rängen erschienen.
Nun gut, vielleicht bricht ja tatsächlich eine neue Ära an. Die Publikums-Sportart Nummer eins in Deutschland findet künftig eben unter Ausschluss von persönlich anwesenden Zuschauern ab. Vereinsmitglieder können ja einen rabattierten Zugang zum Bezahlfernsehen erhalten oder Biergutscheine, um in Sport-Kneipen dem Geschehen auf dem grünen Rasen beizuwohnen. Das könnte vielleicht kalte Füße im Winter oder Sonnenbrände auf der Stirn im Sommer ersparen. Stadien könnte der Verein bei Auswärtsspielen öffnen, um auf einer Leinwand Public-Viewing zu bieten. Dann wären sogar zusätzliche Einnahmen möglich. Die Polizei hätte es auch einfacher. Kneipenschlägereien, die ja durchaus noch ausbrechen könnten, sind einfacher zu beherrschen. Und der Wirt dürfte versichert sein, so dass auch auftretende Schäden nicht vom Steuerzahler getragen werden müssten.
Nee, so richtig wollen wir das wohl nicht. Und wie man hinter den Kulissen hört, scheinen selbst in der DFB-Zentrale Gedanken kreisen, die Regeln aus der Bundesliga-Steinzeit zu überdenken. Schließlich hat sich die Fußballgemeinde entscheidend verändert. Nicht nur die Spieler hantieren mit Smartphones und Tablettrechnern, vor allem ist doch die junge Generation auf den Rängen inzwischen mehr vernetzt als ihre Großväter in den DFB-Sesseln. Und da verbünden sich schnell mal selbst verfeindete Fangruppen, Vor allem wenn es um solch Grundrecht wie Reisefreiheit geht.