Berlin, Deutschland (Weltexpress). Noch rasen sie… Doch schon bald wird der neue Bußgeldkatalog in Kraft und manch ein Autofahrer auf die Bremse treten. „Bis zu doppelt so hohe Bußgelder drohen dann Temposündern“, informiert Polizeioberkommissarin (POK) Cathleen Petermann. Dabei liegt Deutschland noch an der unteren Skala. In Finnland zum Beispiel werde nach dem Einkommen bewertet. Da habe laut Petermann ein Millionär tatsächlich 90.000 Euro berappen müssen, weil er auf der Autobahn zu flott unterwegs gewesen war.
Polizeihauptmeister (PHM) Karsten Schult sitzt mit im Videowagen. Er ist das „Urgestein“ der Spezialtruppe. Er sei „von Anfang an dabei“. „Das sind jetzt 27 Jahre auf dem Bock“, sagt der Ruhe ausstrahlende Beamte mit geballter Erfahrung im Aufspüren und Umgang von Verkehrssündern. Mit einem PS-starken und bis zu 250 Kilometern pro Stunde schnellen Flitzer fährt er auf der Autobahn. „Verkehrssicherheit steht in unserm Job obenan“, betonen die beiden erfahrenen Beamten, die zur Autobahn-Verkehrspolizei Grimmen, Abteilung besondere Verkehrsüberwachung, gehören. Diese untersteht der Polizei-Inspektion Stralsund. Dazu gehören auch sieben Beamte mit einer besonderen Fahrausbildung samt Sicherheitstraining. Nach drei Schulungen dürfen sie – bei Interesse – auf den Videowagen umsteigen.
„Die Unfallstatistik in M-V 2020“, weiß Cathleen Petermann, „weist einen bundesweiten Spitzenplatz auf. Geschwindigkeitsverstöße stehen dabei ganz oben.“ Ihre Hoffnung sei es, dass durch eine stärkere Überwachung und höhere Bußgelder die Unfallstatistik rückläufig werde. Das passt zum Tag der europaweiten Roadpol-Kontrolle. Die steht unter dem Motto: „Bleib am Leben, rette Leben!“
Wissen macht vorsichtiger
Unauffällig grau ist der Wagen, aber sprungbereit mit 300 PS unter der Haube und Allradantrieb. Dieser „Bolide“ würde das Herz jedes Autofans höher schlagen lassen. Das hüpft allerdings nicht mehr vor Freude, wenn vor ihnen plötzlich der rote Schriftzug POLIZEI samt Blaulicht in der Heckscheibe des Videowagens funkeln. Cathleen Petermann nimmt heute auf dem Beifahrersitz Platz und beobachtet den kleinen Farbmonitor im Fond. Der überwacht pausenlos mit einer Minikamera das Verkehrsgeschehen. „Wir messen mit Front- und Heckkamera“, merkt sie an. Petermann ist auch für den Papierkram zuständig, das heißt für die Aufnahme der Personalien und der Anzeige. Karsten Schult fährt und führt die Gespräche mit Verkehrssündern.
15 Uhr, es geht los. „Zuvor ist noch einmal der Reifendruck kontrolliert worden“, so Schult, „damit anschließend auch die Messwerte stimmen, das ist Vorschrift, auch die wechselnden Kennzeichen.“ HST komme dabei nicht vor. Der Hauptmeister grinst: „Manche Kunden kennen uns schon, das merken wir daran, dass sie plötzlich zahm werden und abbremsen.“ Spätestens jetzt sei der Verkehrsfunk informiert und warne vor uns. „Damit können wir leben“, meint die Oberkommissarin, „denn auch dieses Wissen lässt die Leute – zumindest zeitweilig – vorsichtiger fahren.“ Die beiden Polizisten machen „aus mäßigen Geschwindigkeitsüberschreitungen kein Dogma“, ihnen gehe es mehr um „unfallträchtige Situationen aufgrund von Gefährdungen.“
Fast immer gleiche Ausreden
Bundesstraße 96 und Werftstraße sind dicht, weil die Steuerungsanlagen auf der Rügenbrücke erneuert werden müssen. Am Platz des 17. Juni flitzt ein PKW bei Rot über die Kreuzung. „Keine Chance, den jetzt zu schnappen“, fädelt sich Schult über den Bahnhofsparkplatz in die Kolonne ein. Stoßstange an Stoßstange schiebt sich die Blechschlange, darunter viele Herbstferien-Urlauber, zentimeterweise Richtung Ziegelgraben.
Schon bei Altefähr heißt es „freie Fahrt“. Die nutzt auch ein schwarzer Van mit Leipziger Kennzeichen. Der Fahrer dreht auf und belegt die linke Spur. Als die sich verengt, zieht er nach rechts, einem anderen direkt vor die Nase und wie auch später ohne ein einziges Mal zu blinken. So geht das munter weiter, auch mal über die durchgezogene Linie, mit bis zu über 150 Sachen – bis zur Abfahrt Samtens. Cathleen Petermann aktiviert die Videoanlage und setzt die Signale POLIZEI – BITTE FOLGEN! Der Wagen folgt brav. Sein Fahrer tut erst mal völlig überrascht, als Schuldt ihn anspricht und ihm auf dem tragbaren Monitor seine wilde Fahrt zeigt. Er gibt schließlich klein bei und meint entschuldigend: „Bin heute schon 700 Kilometer gefahren und muss Material zu einer Baustelle bringen.“ Er werde seinen Anwalt einschalten. Nachdem beide Beamten die Spur vermessen haben und dabei noch feststellen müssen, dass die Reifen keine zusätzliche Betriebserlaubnis haben, darf der Sachse weiterfahren. „Mit 150 Euro und einem Punkt in Flensburg ist er dabei“, überschlägt die POK das Bußgeld. Das Bußgeld werde letztlich von der Bußgeldstelle festgelegt. Zu einem Richterentscheid kommt es erst, wenn ein Betroffener nicht zahlt bzw. in den Widerspruch geht.
Bei Altefähr geht ihnen ein Passat ins Netz. Er habe keine Zeit – die meistbenutzte Ausrede – und müsse zum Arzt, begründet der Fahrer seinen flotten Ritt. Den Termin muss er jetzt wohl verschieben oder früher losfahren, wird ihm entgegnet. Alles in freundlicher, ruhiger Atmosphäre. Schult beherrscht diese Gesprächsführung perfekt, Petermann sichert ihren Kollegen, die rechte Hand an der Pistole: „Man weiß ja nie, wie manche reagieren…“
Wechsel zur südlichen B 96. Der Wagen bezieht eine Beobachtungsposition auf einem Hügel an der Abfahrt bei Wilmshagen. „Da kommt ein möglicher Kunde“, startet Schuldt den Wagen, der lossprintet wie ein Gepard. Noch ein Lieferwagen. Man wolle nach dem langen Arbeitstag nach Hause und abends noch eine Party feiern, so die Handwerker. Den Fahrer trifft´s hart, denn es ist schon seine zweite Übertretung mit jeweils 29 Sachen zu viel, wie er erzählt. „Da ist dann auch ein Monat Fahrverbot drin“, weiß Petermann. Auf den hinteren Bänken ploppt eine Bierflasche. „Schönen Feierabend!“, wird den Männern aus Gnoien gewünscht.
Keine Sonderrechte
Rückfahrt. „Ordentlich was los heute am Montagnachmittag“, meint Freizeit-Motorrad-Fahrer Carsten Schult, „aber trotz Herbstferienbeginn alles ganz normal, doch 120 gönnt sich hier fast jeder“. Ein BMW M 3 überholt zügig: „Wer so ein Auto fährt, der kennt uns“. Ein bisschen Fehlverhalten werde noch geduldet, auch wenn das schon einen Anfangsverdacht darstellt. „Ab 21 km/h zu viel hätte er es mit uns zu tun bekommen“, beobachtet Cathleen Petermann aufmerksam den Monitor, „dann drohen 70 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg im Straßenverkehrsregister.“ Stationäre Anlagen allerdings, die es längs des Zubringers auch gibt, würden gnadenlos schon ab 110 km/h blitzen, warnen die Polizisten. Nur durch Überwachungsdruck könne man die Fahrer disziplinieren. Die beiden in allen Straßenlagen bestens geschulten Beamten mögen ihren Beruf: „So was muss man wollen, sonst funktioniert´s nicht.“
Ob sie selber sicher seien vor ihren Polizei-Kollegen oder umgekehrt? Man habe keine Sonderrechte und müsse nachweisen, dass man „zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben“ unterwegs gewesen sei.
Nach rund 180 Kilometern und dreieinhalb Stunden mit relativ wenigen „Ausreißern“ steuert Carsten Schuldt die Polizeiinspektion an. „Drei Fälle in dieser Zeit, das ist normal“, bilanziert die Video-Crew. Nach Schichtende um 22 Uhr folgt am Computer die nächste Runde: Auswertung – grob gesagt: Wegstrecke durch Zeit – anhand von komplizierten Formeln, die nur der Rechner beherrscht. „Die Ergebnisse müsse vor Gericht hieb- und stichfest sein“, erklärt POK Petermann.