„Und dann“ wurde 2012 in einer szenischen Lesung beim Stückemarkt des Theatertreffens vorgestellt, mit dem Hörspielpreis ausgezeichnet und von Deutschlandradio Kultur produziert. Claudia Bauer hat das Wagnis unternommen, dieses Stück am Schauspielhaus Leipzig auf die Bühne zu bringen. Die Inszenierung wurde sowohl zum Heidelberger Stückemarkt als auch zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, und Wolfram Höll wurde am Pfingstmontag für sein Stück mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet.
Wolfram Höll hat eine eigenwillige, rhythmische Sprache erschaffen, durch die das erzählende Kind Gestalt annimmt, ein kleiner Junge, der noch nicht lesen kann, was auf den Klingelschildern steht und der in Panik gerät, nachdem er auf den falschen Knopf gedrückt hat. Das Kind fürchtet, sein Zuhause könne verschwunden sein, so wie seine Mutter verschwunden ist „Verlierlinge“ nennt es die Findlinge vor dem Plattenbau, denen es sich verbunden fühlt, weil es sich als von seiner Mutter verloren empfindet, so wie der Gletscher die Findlinge verloren hat.
Das Kind erzählt atemlos, verhaspelt sich, reiht seine Erlebnisse und Erfahrungen mit „und dann“ aneinander, wiederholt sich wieder und wieder um zu verstehen, verstummt manchmal hilflos, erfindet Worte, um Unbegreifliches begreifbar zu machen und schützt sich mit seinem Sprechen davor, von den Veränderungen in seiner Welt überrollt zu werden.
In Claudia Bauers Inszenierung erscheint der Text nicht als Schutz, sondern als Bedrohung, über Lautsprecher, immer hochdramatisch, artikuliert von verschiedenen Stimmen, darunter tiefe, voll tönende Männerstimmen, musikalisch begleitet von Wagner-Klängen.
Die Kinderwelt hat Bühnen- und Kostümbildner Andreas Auerbach als hübsche Puppen-Szenerie gestaltet. In einem Spielhaus sind Pinocchios angesiedelt, SchauspielerInnen mit riesigen Stoffköpfen, die sich zierlich bewegen und manchmal beim Essen um einen Tisch herumsitzen und so tun, als steckten sie sich knisternde Papierschlangen in die verschmitzt lächelnden Münder. Zu Vater Pinocchio und seinen beiden Pinocchio- Kindern gesellen sich gelegentlich noch ein paar Pinocchio-Spielkameraden.
Auf der Filmleinwand erscheinen die SchauspielerInnen ohne Verkleidung, und einmal reißt eine Schauspielerin sich den Puppenkopf ab und spricht, so verwandelt, ihren Text weiter, als wolle sie ganz ausdrücklich darauf hinweisen, dass es im Stück nicht um niedliche Puppen oder Kinder, sondern um die durch Kindheitserlebnisse entstandenen Traumata von ernstzunehmenden Erwachsenen geht.
Kinder sind Mangelware in unserer überalterten Gesellschaft, die den Nachwuchs braucht, damit die Wirtschaft floriert und die Renten- und Sozialkassen gefüllt werden können. Da ein Erwachsenenleben ohne die Vorstufe der Kindheit nicht möglich ist, muss dafür gesorgt werden, dass Kinder gesund an Leib und Seele aufwachsen, denn sonst könnten Schäden entstehen, die im Erwachsenenalter ein erfülltes und erfolgreiches Leben unmöglich machen.
Das Kind, das in Wolfram Hölls Stück ganz direkt und unmittelbar sein Leben durch Sprache in den Griff zu bekommen versucht und dem das schließlich auch gelingt, kommt in Claudia Bauers Inszenierung nicht vor.
„Und dann“ von Wolfram Höll, war als Gastspiel de Schauspiels Leipzig im Rahmen der Autorentheatertage am 10. Juni in den Kammerspielen zu erleben.